OECD-MindeststeuerDer Kniff von Ueli Maurer
Die globale Mindeststeuer von 15 Prozent bringt die Schweiz in arge Zeitnot. Nun hat der Finanzminister einen kreativen Ausweg gefunden – er ist dabei auf das Volk angewiesen.
Es war die eine grosse Frage: Kann Ueli Maurer die Zeit überlisten? Kann der Finanzminister den trägen direktdemokratischen Weg beschleunigen, damit er nicht vom Ausland abgehängt wird? Ueli Maurer findet am Donnerstag: Er kann.
Die Reaktion der Wirtschaft auf Maurers Können folgt sogleich. Ein glückliches Seufzen. Endlich etwas Planungssicherheit.
Was ist geschehen? Was will Maurer machen? Ab 2023 soll für alle Unternehmen dieser Welt mit weltweit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz eine Mindeststeuer von 15 Prozent gelten. In der Schweiz sind davon rund 200 Schweizer Firmen und rund 2000 ausländische Tochterunternehmen betroffen. (Lesen Sie hier unseren Hintergrund zum Thema.)
Maurer will sich bei dieser Steuereintreiberei nicht verspäten, weil sonst ausländische Staaten diese Steuern anstelle der Schweiz erheben (und er als Finanzminister Steuersubstrat verliert). Damit das nicht geschieht, braucht es eine Verfassungsänderung und ein neues Gesetz, gewöhnlich ein jahrelanger Prozess. Diesen Prozess will er nun portionieren und damit beschleunigen.
Erst folgt eine Verfassungsänderung mit einer temporären Verordnung, die durch das Parlament geht und schliesslich am 18. Juni 2023 vor das Volk kommen soll. Dann folgt der übliche Gesetzgebungsprozess, bei dem es erneut zu einem Referendum kommen könnte. Das Vorgehen sei zwar nicht üblich, aber legitim, sagt Staatsrechtsprofessor Markus Schefer von der Universität Basel. «Es darf aber sicher nicht zum Normalfall werden. Man sollte es auf diese Bereiche beschränken, wo der Gesetzgebungsprozess nicht genügend schnell ist.»
Kommt man den Firmen entgegen?
Maurers Plan ist klar formuliert, und doch steht an diesem Donnerstag in Bundesbern noch eine andere Frage im Raum: Werden die betroffenen Firmen die höhere Besteuerung schlucken oder nach einem anderen Standort Ausschau halten?
Nach einem kurzen Applaus für Maurers Plan kommt der Dachverband Economiesuisse in seiner Einschätzung rasch auf das Aber zu sprechen. Die höheren Steuern stellten «in Verbindung mit den hohen Lohn- und anderen Standortkosten» eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz dar. Ergo müsse der Erhalt der Standortattraktivität ein «zentrales Element des Massnahmenplans von Bund und Kantonen» sein. Ähnlich sieht es Swissholdings, der die grössten Firmen in der Schweiz vertritt. Um weiter attraktiv zu sein, müssten «griffige neue Standortmassnahmen eingeführt werden».
Über diese Massnahmen sollen laut Bundesrat Maurer die Kantone «souverän» entscheiden. Schliesslich seien für Basel mit seiner Pharmaindustrie andere Massnahmen zu evaluieren als in den Zentralschweizer Kantonen, wo die Finanzindustrie dominiere. Trotzdem lässt er schon einmal zwei Katzen aus dem Sack: Bei der Emissionsabgabe und der Verrechnungssteuer könne man den Unternehmen entgegenkommen.
In Bezug auf die Dringlichkeit dieser Kompensationsmassnahmen zeigt Maurer keine Zweifel: Die internationalen Steuerberater seien bereits «stark unterwegs», um den Firmen neue Standorte schmackhaft zu machen. Kaspar Michel, Finanzdirektor des Kantons Schwyz, weicht Fragen nach konkreten Beispielen für neue Erleichterungen für die betroffenen Grossfirmen aus. «Es gibt noch kein generelles Konzept.» Die Kantone müssten zuerst wissen, was möglich sei. Sprich: was von der OECD akzeptiert wird.
Zur Diskussion stehen etwa Erleichterungen bei den Sozialabgaben, um den Druck durch die hohen Lohnkosten etwas zu erleichtern. Offen ist auch, ob Abzüge für Forschungs- und Entwicklungsausgaben international akzeptiert würden.
Widerstand von links ist vorprogrammiert
Maurer geht mit seinem Plan davon aus, dass die Reform beim Volk durchkommt. Allerdings gibt es innenpolitischen Hürden. Das zeigt zum Beispiel die Kritik von linken Parteien an der Abschaffung der Stempelsteuer und der Verrechnungssteuer. Die erwähnten Kompensationsmassnahmen könnten neuen Widerstand von linker Seite entfachen. Wohl an diese gerichtet, erklärt Maurer, dass es ihm Sorgen bereite, wie leichtsinnig mit der Standortattraktivität umgegangen werde.
Bleibt noch die Frage, was geschieht, wenn das Volk im Juni 2023 diese Steuerreform ablehnt. «Es wäre mehr als ein Schildbürgerstreich», sagt Ueli Maurer und schildert gleich sein Szenario dieses Streichs: Hunderte von Millionen Franken weniger Steuergelder, Zehntausende verlorene Arbeitsplätze, grosse Unsicherheit. Der ultimative Albtraum eines jeden Standortförderers.
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