Mehr Geld für OpferhilfeKanton Zürich verschärft den Kampf gegen häusliche Gewalt
Der Regierungsrat hat ein neues Massnahmenpaket vorgestellt, um Gewaltopfern zu helfen. Unter anderem sollen sie in Strafverfahren besser begleitet werden.
7458 Mal: So oft mussten Polizistinnen und Polizisten letztes Jahr im Kanton Zürich wegen Familienstreitigkeiten und häuslicher Gewalt ausrücken. 1341 Mal endete ein solcher Einsatz mit einer Wegweisung oder einem Kontakt- und Rayonverbot für den Gewalttäter. So oft wie nie zuvor.
Das sind Zahlen, die den Zürcher Regierungsrat beunruhigen. Deshalb will er den Kampf dagegen weiter verschärfen – auch im Hinblick auf die Istanbul-Konvention, welche die Vertragsstaaten verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu bekämpfen.
Am Mittwoch stellten Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos), Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) zusammen mit Regina Carstensen, Fachverantwortliche der Interventionsstelle Häusliche Gewalt (IST), und Sandra Müller, Leiterin der Opferhilfestelle, neue Massnahmen vor.
Neu im Fokus: Die Männer
Neu im Fokus sind dabei die Männer und queere Personen. Eine Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat gezeigt, dass sich Männer proportional viel seltener an eine der acht Opferhilfe-Beratungsstellen im Kanton wenden als Frauen.
«Männer sehen sich seltener als Opfer, und sie schämen sich eher, Hilfe anzunehmen», sagt Opferhilfe-Leiterin Sandra Müller. «Ihnen müssen wir unser Angebot besser bekannt machen, etwa mit spezifischen Kampagnen und Infomaterial.» Auch queere Personen fühlen sich bisher zu wenig angesprochen.
Besser geschützt werden müssten auch die Kinder, sagt Regina Carstensen. «Sie gehen gern etwas vergessen, weil die involvierten Fachleute wie Polizei, Anwälte und Opferhilfe alle ihren fachspezifischen Blickwinkel haben.» Der Regierungsrat will deshalb einen gemeinsamen Qualitätsstandard für den Umgang mit betroffenen Kindern ausarbeiten.
Ab 2026 werden die acht Opferhilfestellen zudem kontinuierlich personell aufgestockt, damit sie besonders verletzliche Opfer in Strafverfahren begleiten können. Der Regierungsrat hat dafür jährlich drei Millionen Franken budgetiert. Denn auch das hat die Studie der ZHAW gezeigt: Viele Geschädigte schrecken vor einer Anzeige zurück oder geben irgendwann im Verlauf des Verfahrens auf. Die Folge ist, dass viele Täter ungeschoren davonkommen.
Lernprogramm soll ausgebaut werden
Neben diesen neuen Schwerpunkten will der Kanton bestehende Angebote ausbauen, denn diese seien sehr erfolgreich, so Justizdirektorin Jacqueline Fehr. «Wir sind auf gutem Weg, aber der Kampf gegen häusliche Gewalt braucht einen sehr langen Schnauf.»
Künftig sollen noch mehr Täter und Täterinnen am Lernprogramm «Partnerschaft ohne Gewalt» teilnehmen. «Dieses Programm ist ein grosser Erfolg», sagt Jacqueline Fehr. Die Zahl der Zuweisungen hat sich seit dem Start im Jahr 2001 verzwölffacht.
Doch das Programm sei bisher fast nur den Strafbehörden bekannt: «Es gibt im Moment noch zu wenig Anordnungen durch Zivilbehörden wie die Kesb.» Je früher Täter lernen, mit ihren Emotionen anders umzugehen als mit Gewalt, desto mehr Leid kann Partnerinnen und Kindern erspart werden.
Eine positive Zwischenbilanz zieht Jacqueline Fehr für den im April 2024 lancierten Dienst der Forensic Nurses. Die speziell ausgebildeten Pflegefachpersonen kommen im Spitalnotfall zum Einsatz, wenn Gewaltopfer dort Hilfe suchen. Sie sichern Spuren, ohne dass die Betroffenen sofort bei der Polizei Anzeige erstatten müssen. Seit dem Start des Pilotprojekts sind die Forensic Nurses bereits 150 Mal ausgerückt.
Betroffenen ist oft unklar, in welcher Situation sie sind
Und nicht zuletzt setzt der Kanton auf Prävention. Eine neue Kampagne ist kürzlich angelaufen; statt «Stopp Gewalt gegen Frauen» heisst der Slogan nun «Stopp Häusliche Gewalt». Die Sujets zeigen blaue Flecken, etwa in Herzform und mit der Aufschrift «Liebe darf nicht wehtun». Sie verweisen auf die Seite www.hilfe-finden.ch, wo alle Hilfsangebote des Kantons verlinkt sind.
Solche Kampagnen seien wichtig, weil sich viele Betroffene nicht im Klaren seien, dass sie in einer gewalttätigen Beziehung steckten, sagt Justizdirektorin Fehr.
Und doch: Es hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung in den letzten Jahren viel getan. Davon ist Sicherheitsdirektor Mario Fehr überzeugt. Dass die Zahlen der erfassten Taten steigen, liege vor allem an der gestiegenen Sensibilisierung. «Heute wird man als Opfer von der Gesellschaft ganz anders getragen», sagt Fehr. «Die Botschaft ist klar: Im Kanton Zürich gibt es keine Toleranz gegenüber häuslicher Gewalt.»
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