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Folgen eines Kirchenskandals
Der einst oberste Reformierte ist aus der Kirche ausgetreten

Er hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und will sich zu seinem Kirchenaustritt nicht erklären. Gottfried Locher in einer Aufnahme von 2019.
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Er galt als charismatischer, aber auch machtbewusster Theologe. Gottfried Locher hatte aus dem locker organisierten Evangelisch-reformierten Kirchenbund die hierarchisch strukturierte Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz gemacht, kurz EKS. Die Kirche machte ihn zum Präsidenten ihrer Leitung, des Rats EKS.

Nachdem seine Wiederwahl als oberster Reformierter 2018 schon umstritten gewesen war, kam es 2020 zu seinem abrupten Abgang von der Kirchenspitze. Der Auslöser waren Vorwürfe, er habe gegenüber Mitarbeiterinnen «Grenzüberschreitungen» begangen.

Jetzt ist der Theologe und Pfarrer Gottfried Locher ganz aus der Kirche ausgetreten. Das bestätigen zwei voneinander unabhängige Quellen. 

Locher hatte sich nach seinem Rücktritt aus der Öffentlichkeit völlig zurückgezogen. Er will sich zu seinem Austritt nicht äussern. Auch sein Vertrauter Josef Hochstrasser, selbst Pfarrer und Autor eines Buchs über den «reformierten Bischof» Locher, lässt sich zum Thema nichts entlocken. «Das bin ich meinem Freund schuldig», sagt er.

Nachfolgerin nicht informiert

Rita Famos ist Lochers Nachfolgerin als Präsidentin des Rats der Evangelischen Kirche Schweiz. Sie wurde nicht von Locher über den Austritt informiert. Sie lässt mitteilen, dass sein Austritt einem «Bruch mit der Kirche» gleichkomme. Denn mit der Mitgliedschaft ende auch sein Anspruch, für die Kirche als Pfarrer tätig zu sein, sagt EKS-Sprecher Dominic Wägli.

Rita Famos war eine Konkurrentin von Gottfried Locher bei der Wahl ins EKS-Präsidium 2018. Nach seinem Rücktritt wurde sie seine Nachfolgerin.

Gottfried Locher war Mitglied der Kirchgemeinde Muri-Gümligen bei Bern. Formell musste er der Kirchgemeinde gegenüber den Austritt erklären. Deren Pfarrer Manuel Perucchi sagt: «Über Kirchenmitglieder geben wir keine Auskunft, denn diese Angaben sind besonders schützenswerte Daten.»
Für Kircheninsider kommt der Austritt Lochers nicht überraschend. Gerüchte darüber kursierten schon länger. Locher hatte sich ganz aus dem kirchlichen Leben zurückgezogen. «Alle Versuche, mit ihm in Kontakt zu treten, lehnte er ab», sagt Kirchensprecher Wägli.

Die Hintergründe des Skandals

Lochers Schweigen ist vor dem Hintergrund des Skandals zu sehen, der seinem Rücktritt vorausging. Mehrere Frauen hatten gegenüber der Synode, dem Kirchenparlament, den Vorwurf erhoben, er habe die Macht seines Amtes mehrfach missbraucht, um Frauen unter Druck zu setzen und sich ihnen gegen ihren Willen ungebührlich zu nähern.

In einem offenen Brief trugen zwölf evangelische Theologinnen und Theologen Teile der Vorwürfe an die Öffentlichkeit. Darauf, am 27. Mai 2020, teilte der Rat EKS mit, Locher trete als Präsident zurück. Die Begründung: Die Diskussionen würden seine Handlungsfähigkeit als Präsident einschränken. 
Die Synode beauftragte eine Untersuchungskommission damit, den Fall aufzuarbeiten. Die Kommission stellte ein Jahr später fest, es liege ein «Missbrauch» einer Mitarbeiterin durch Locher vor, «wodurch sie in ihrer sexuellen, psychischen und spirituellen Integrität verletzt wurde».

Zudem habe der Rat EKS es «versäumt», die Mitarbeiterin «gegen diesen Machtmissbrauch zu schützen». In der Untersuchung verweigerte Gottfried Locher jegliche Aussage. Strafrechtlich gilt für ihn die Unschuldsvermutung.

Vorwurf der Scheinjustiz

Im letzten September wandte sich Lochers Frau in einem offenen Brief an einzelne Mitglieder der Kirchensynode. Darin warf sie dem Rat EKS vor, gegen ihren Mann einen Schauprozess durchgeführt zu haben: «Am Rechtsstaat vorbei haben Sie Ihre eigene Scheinjustiz installiert – ohne Strafanzeige, ohne Strafverfahren, ohne Rechtsmittel.»

Für die Evangelisch-reformierte Kirche ist der Fall nicht abgeschlossen. Eine der betroffenen Frauen stellt finanzielle Forderungen. Laut EKS-Sprecher Wägli werden diese momentan juristisch abgeklärt. Der Rat EKS hat zudem aufgrund der Untersuchungen einen Aktionsplan verfasst, der das künftige Vorgehen in solchen und ähnlichen Fällen definiert. Der Plan wird im Juni von der Synode behandelt.