Kolumne von Michael HermannDer eingebildete Starke
Skrupellose Autokraten wie Wladimir Putin sind eine Herausforderung für liberale Demokratien, weil auch im Westen viele auf die skrupellosen Führer hereinfallen.
Liberale Demokratien sind laut und chaotisch, es wird gestritten, und das Glück des Einzelnen steht über dem Schein des Ganzen. Das Führerprinzip greift hier nicht – zumindest nicht auf Dauer. Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der «Parlamentarismus» deshalb als schwach und geschwätzig eingeschätzt – mit den bekannten, katastrophalen Folgen.
Nun ist es ein skrupelloser russischer Führer, der unserer Ordnung den Krieg erklärte. Es ist Wladimir Putins Krieg, doch das mentale Fundament dazu bildet eine Erzählung, die in Russland einen starken Boden hat. Das Trauma vom Zerfall des Sowjetimperiums unter dem vermeintlich schwachen, westorientierten Michail Gorbatschow hat Putin erst möglich gemacht. Er steht für den starken Führer, der dem Westen die Stirn bietet und damit Russland zumindest symbolisch wieder etwas Grösse verschaffte. In den vergangenen Jahren hat sich der Putinismus jedoch immer mehr auch in der westlichen Hemisphäre eingenistet. Dies, obwohl Putins Russland, was Freiheit, Demokratie und Wohlstand betrifft, weit abgeschlagen ist.
Es ist das schäbige Bedürfnis, Skrupel, Moral und Gerechtigkeit als kleinliche Regungen hinzustellen.
Es geht denn auch nicht um Führungskunst und wahre Überlegenheit. Es ist eine faschistoide Bewunderung für den starken, furchteinflössenden Führer, die Putin und den Putinismus im Westen stark gemacht hat. Es ist das schäbige Bedürfnis, Skrupel, Moral und Gerechtigkeit als kleinliche Regungen hinzustellen. Es ist ein durch «Realismus» getarnter Zynismus, und es ist das Verlangen, im Zweifel auf der Seite des Stärkeren statt auf der Seite des Rechts zu stehen.
Es sind jedoch nicht nur die Trumps, Le Pens und Köppels, die Putin im Westen Auftrieb gaben. Auf subtilere Weise haben auch Militärhistoriker und Weltstrategen wie Herfried Münkler dazu beigetragen: Durch ihre verengte geopolitische Brille haben sie aus Putin immer den Starken und aus dem vielstimmigen Europa das Schwache gemacht. Dazu kommen viele, ganz normale Menschen, die unter dem Eindruck der prorussischen Propagandamaschine an der Kraft des demokratischen Westens zu zweifeln begannen.
Doch eigentlich wissen wir es aus dem Leben nur zu gut: Wer sich gegen aussen besonders stark und furchteinflössend gibt, ist tief drinnen nicht selten schwach. Das gilt für den Pausenhof ebenso wie für die grosse Politik. Einen wie Donald Trump haben zumindest in Europa viele durchschaut: Zu plump warf er sich an den Hals anderer Möchtegerns; zu inszeniert und gefallsüchtig ist sein Grossmannsgetue.
Kühler, durchtriebener
Putin dagegen war immer kühler und durchtriebener. Während er innenpolitisch schonungslos durchgegriffen hat, drückte er sich aussenpolitisch vor der grossen Konfrontation. Der Erfolg seiner eigenen Erzählung weit über Russland hinaus hat ihm nun womöglich selbst den letzten Zweifel genommen. Er hat mutwillig einen Angriffskrieg begonnen. Die Maske ist gefallen, und hinter dieser Maske öffnet sich ein Abgrund: eine marode, unmotivierte Armee. Katastrophale Fehleinschätzungen und eine geeinte westliche Welt als Gegner.
Jeder demokratische Staatenlenker wäre mit einer derart desolaten Leistung längst aus dem Amt gejagt worden. Doch Putin, der Diktator, der eingebildete Starke, setzt auf die Methoden, die in seiner Karriere bisher immer griffen: Lügen, Drohen, Knüppeln und Morden. Zumindest für kurze Zeit erscheint er damit nochmals als bedrohlich und vielleicht sogar stark. Doch am Ende wird er keinen Ausweg finden. Die von ihm gelegte Blutspur mag lang und länger werden, die Ukraine wird sich ihm nicht unterwerfen, und er kann sie, rein zahlenmässig, nicht unter Kontrolle bringen.
Für Putins Bewunderer wirkt nichts so stark wie die Sprache der Macht. Wenig verachten sie so sehr wie Verlierer. Neben dem Elend dieser Tage besteht deshalb zumindest ein kleines Stück Hoffnung. Endet Wladimir Putin irgendeinmal als Verlierer auf dem Friedhof der Tyrannen, dann verliert auch der Putinismus seine ganze Kraft.
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