Zerreissprobe im Schweizer FussballDer Druck auf die Fans wird erhöht
Die Sicherheitsdirektoren fordern ab der neuen Saison eine Ausweispflicht in der Super League. Der Liga ist klar, dass etwas geschehen muss – aber wie reagieren die Fankurven darauf?
Die Bilder vom letzten Zürcher Derby mit Pyros werfenden Chaoten haben Wirkung hinterlassen. Die Nachrichten von einem Böller zündenden St. Galler Pöbel im Luzerner Bahnhof haben das ebenfalls getan. Darum kommt aus der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen -und direktoren an diesem Freitag die Meldung, dass ab der nächsten Saison in der Super League nur noch personalisierte Tickets ausgestellt werden sollen.
«Nein», sagt Paul Winiker, «das ist nicht einfach eine Absichtserklärung. Das ist mehr. Im Englischen würde man sagen: strongly recommended.» Der Luzerner Regierungsrat, in seinem Kanton zuständig für das Justiz- und Sicherheitsdepartement und darum Mitglied des Wortungetüms namens KKJPD, übersetzt gleich noch, was er mit «strongly recommended» meint: «Wir fordern die Bewilligungsbehörden auf, diese Massnahme ab 2022/23 einzuführen.»
Die Stellungnahmen aus dem Fussball fallen zurückhaltend aus. «Ich kenne die Details noch nicht», sagt FCZ-Präsident Ancillo Canepa, «darum möchte ich noch keine Stellungabnahme abgeben.» Für die Swiss Football League sagt CEO Claudius Schäfer: «Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass eine solche Massnahme eingeführt werden könnte. Wir kommen nicht darum herum, etwas zu machen.»
Die Liga legte kürzlich selbst einen Vorschlag auf den Tisch, wie auf den Gewaltausbruch am 23. Oktober im Letzigrund reagiert werden könnte. Sie redete von der Schliessung der Gästesektoren. Damit verbunden war auch die Problematik der Zustände in den Extrazügen und der Sachschäden, die da angerichtet werden. Bei der KKJPD, die in Mendrisio tagte, war ebenfalls das ein Thema und eine Möglichkeit. Dann allerdings beschloss sie, die Ausweispflicht bei Spielen der höchsten Schweizer Fussballliga dringend zu empfehlen.
Jetzt dürften die Fanproteste kommen
Am 10. Dezember werden die Bewilligungsbehörden von Kantonen und Städten darüber befinden, was sie damit anfangen wollen. «Unsere Aufforderung ist ein deutlicher Hinweis an sie», sagt SVP-Regierungsrat Winiker, «man sollte sie nicht leichtfertig in den Wind schlagen.»
Die Reaktionen aus den Fankurven dürften nicht ausbleiben. Ein Proteststurm ist zu erwarten, allenfalls schon an diesem Wochenende. Denn die Kurven sehen sich mit der Ausweispflicht bevormundet und eines Stückes ihrer Freiheit beraubt. Das mag verstehen, wer will. So ist ihr Denken. Sie fühlen sich bei dieser Nachricht aus dem KKJPD wohl nur darin bestätigt, was sie schon immer vermutet haben: dass über die Corona-Massnahmen ein neues Sicherheitsregime eingeführt werden soll.
Beim FC Sion gab es auf diese Saison hin einen Feldversuch mit personalisierten Tickets. Wer das im Endeffekt anordnete, der Kanton in Person von Staatsrat Fréderic Favre, der Club von Christian Constantin oder eben doch beide zusammen, war nicht ganz klar. Jedenfalls kamen pro Spiel nur noch 4000 Zuschauer ins Tourbillon. Constantin hob dann die Massnahme auf, und kaum hatte er das getan, erschienen 8350 Zuschauer zum Match gegen Basel.
Das Vorgehen im Wallis sei «ein No-go» gewesen, sagt Paul Winiker im Rückblick. Was er damit zum Ausdruck bringen will: Das Vorpreschen eines einzelnen Kantons oder Clubs bringt nichts. Darum betont er: «Wir sind der Überzeugung, dass es nur flächendeckend geht.» Damit in St. Gallen die gleichen Regeln gelten wie in Zürich und in Basel wie in Genf.
Die Einführung einer Ausweispflicht betrachtet Winiker als «niederschwellige Massnahme», die den wesentlichen Effekt hat, Stadion- und Rayonverbote von Hooligans ohne grossen Aufwand überprüfen zu können. Winiker nimmt das Länderspiel vom Montag der Schweiz gegen Bulgarien als Beispiel, wie schlank das Prozedere ablaufen kann. Es habe kaum Rückstau gegeben, sagt er.
Vorerst soll die Massnahme nur für die Super League gelten, nicht auch für die Challenge League, sie hätten das «Fueder» nicht gleich überladen wollen, erklärt Winiker. Bei Bedarf könne man noch immer reagieren. Für den Vorsitzenden der KKJPD, den St. Galler Regierungsrat Fredy Fässler, sei nun einfach wichtig gewesen, dass die Konferenz eine klare Haltung vertrete – «damit nicht von Laisser-faire die Rede sein kann», sagt Winiker.
«Alle haben das gleiche Ziel»
Aber eben, wie reagieren nun die Kurven auf die Ankündigung aus Mendrisio? Solidarisieren diejenigen sich künftig, die sich sonst spinnefeind sind? Und boykottieren die Spiele, wie das bei Sion Woche für Woche der Fall war, bis Constantin nachgab? Wieso wollen sie in der Schweizer Liga nicht, was im Ausland zum Teil schon gilt oder jetzt bei jedem Restaurantbesuch Pflicht ist? Was schreckt sie davor ab, einen Ausweis zu zeigen? Wieso soll der Gang in ein Stadion gleichbedeutend sein mit dem Eintauchen in einen rechtsfreien Raum?
Die Clubs berufen sich darauf, dass sie über Jahre mit der Gewalt im Stadion keine Probleme mehr gehabt hätten – bis zu diesem Ausbruch im Letzigrund. Was nach dem Derby allerdings fehlte, war die öffentlich wahrnehmbare Distanzierung der Südkurve von diesem gewaltbereiten Teil, der Pyros in die GC-Kurve schoss. In St. Gallen war das anders. Nachdem jüngst Chaoten im Luzerner Bahnhof getobt hatten, reagierte die Kurve und verkündete in einem Flugblatt, sie wolle mit denen nichts zu tun haben.
Sie kämen nicht darum herum, etwas zu machen, sagt also Liga-CEO Schäfer. Und fügt bei: «Dabei dürfen wir nicht ins Blaue schiessen, sondern müssen konstruktiv zusammenarbeiten. Alle haben doch das gleiche Ziel.» Und das Ziel heisst: höchstmögliche Sicherheit im Stadion.
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