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Beliebtester Schweizer Weisswein
Der Chasselas wird neu erfunden

Laura Paccot zeigt das zweite Conservatoire Mondial du Chasselas auf dem Weingut La Colombe. 
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Laura Paccot stellt vier identische Weinflaschen auf den Tisch. Ihr Inhalt ist viermal beinahe derselbe: Chasselas aus dem Jahr 2020, die gleiche Reblage, in einer 5-Liter-Glasblase vergoren und ausgebaut. Die Winzerin schenkt ein – und beim Verkosten machen sich markante sensorische und geschmackliche Unterschiede bemerkbar. Es handelt sich um vier verschiedene Klone der am häufigsten angepflanzten Schweizer Weissweinsorte: Der Fendant roux etwa erweist sich als besonders fruchtig (gelber Apfel, reife Birne), die Blanchette hingegen besticht mit blumigen Noten und mehr Eleganz.

Die Winzerin Paccot vom Weingut La Colombe in Féchy VD hat kürzlich das zweite Conservatoire Mondial du Chasselas vorgestellt. In einer Parzelle im Mont-sur-Rolle, mit Blick auf den Genfersee, sammelt sie seit einigen Jahren verschiedene Spielarten der weissen Sorte. Inzwischen wachsen dort 30 Unterarten. Man müsse dem Chasselas zuhören, sagt Paccot. Dann komme man dem Ziel näher, die Eigenarten bezüglich Wachstum, Krankheitsresistenz, Wetter und Klima zu erforschen. Nur so könne man verschiedene Pflanzen im Rebberg zusammenstellen, die jährlich eine möglichst konstante Ernte trotz Klimaerwärmung garantierten. «Die Wetterextreme nehmen zu», kommentiert sie. «Zudem ist Höchstertrag nicht mehr das oberste Ziel im Waadtländer Weinbau.»

«Man muss dem Chasselas zuhören»: Das ist Laura Paccots Credo.

Da das Klonen von Rebstöcken eine leichte Sache ist – grundsätzlich reicht es aus, einen Zweig abzutrennen und in die Erde zu stecken –, stellt Laura Paccot die Varietäten dieses Conservatoire auch anderen Weingütern zur Verfügung. Eine erste solche Chasselas-Sammlung hat übrigens Louis-Philippe Bovard schon 2008 im nahen Rivaz ins Leben gerufen.

Bei den beiden Projekten geht es um nichts weniger als die Neuerfindung des Chasselas; dieser Traubensorte, die auf mehr als zwei Dritteln aller Waadtländer Weinberge wächst. Und die schon seit vielen Jahren mit einem schlechten Ruf zu kämpfen hat. Verstaubtes Etikettendesign (Schlösser, gotische Typografie, rote Siegel …) tut da das eine dazu, alte Traditionen wie die Fête de Vignerons das andere. Dass lange Zeit Quantität vor Qualität kam – man denke an günstigen Fonduewein –, dürfte ebenso einen Anteil daran haben, dass die Rebsorte es nur schwerlich schafft, auch bei einer jungen, urbanen Kundschaft zu punkten.

(Lesen Sie hier mehr darüber.)

Dabei hat der Chasselas viele Vorzüge: Es ist keine Alkoholbombe, sondern ein sogenannter Easy-Drinking-Wine – und passt damit zum Zeitgeist. Die Qualität ist inzwischen flächendeckend mehr als befriedigend, gerade was die Waadtländer Grands Crus angeht. Und die wenigen Flaschen, die es in die ausländische Spitzengastronomie schaffen, werden von internationalen Weinkritikern stets gelobt. 

Chasselas-Rebberge im Lavaux am Genfersee.

Hinzu kommt: Als am Genfersee beheimatete Sorte erfüllt der Wein alle Kriterien, die ein regionales Produkt mitbringen muss. In der Kulinarik sind Swissness und Regionalität ja schon länger Verkaufsargumente. Dass wie bei La Colombe in vielen Weingütern die junge Generation übernimmt (Laura Paccots Vater Raymond gilt als Pionier des biodynamischen Anbaus), könnte für besagte Neuerfindung der Sorte ebenso hilfreich sein. Doch wie sieht der Chasselas der Zukunft aus?

«Hast du deinen Chasselas schon gefunden?»

Etwa fünf Kilometer weiter westwärts bittet die Führungscrew von Schenk SA zu Tisch. Es handelt sich beim Familienunternehmen um einen der grössten Chasselas-Anbieter des Landes. Die weiss gedeckte Tafel steht auf einer Wiese unter einer ausladenden Baumkrone, rundherum schaukeln Rebstöcke gemächlich im Wind. Zum Portfolio von Schenk gehören das angesehene Château Maison Blanche in Yvorne (dessen Weine problemlos 15, 20 Jahre altern können) ebenso wie der Aigle Les Murailles, auch bekannt als «Eidechsliwy». Es ist der erklärte Lieblingswein von Schwingerkönig Nöldi Forrer und von Sängerin Melanie Oesch. «Die Verkaufszahlen dieses Chasselas steigen auch aktuell noch jedes Jahr», sagt François Schenk.

Auch der Traubensaft «Grapillon» wird von François Schenks Unternehmen produziert.

Doch er weiss, dass ein solcher Selbstläufer eher die Ausnahme denn die Regel darstellt. Und so dreht sich das Gespräch beim Mittagessen auch hier um die Frage, wie das Image des Chasselas (im Wallis Fendant, in Deutschland Gutedel genannt) verjüngt werden kann: Erst diesen Sommer verkündete das Haus Schenk, dass man bis 2030 nur noch biozertifizierte Trauben verarbeiten werde. «Wer da nicht mitzieht, hat in spätestens zehn Jahren ein gröberes Problem», findet François Schenk. Da viele internationale Weingüter im nahen Ausland bis zu diesem Zeitpunkt höchstens die Hälfte aller Reben auf bio umstellen werden, könnte seiner Meinung nach daraus ein Marktvorteil entstehen. «Schade, dass wir das nicht schweizweit umsetzen können.»

Aus Chasselas-Trauben lassen sich viele verschiedene Weinstile keltern.

Für das zugehörige Weingut Henri Badoux hat eine Deutschschweizer Werbeagentur die Linie «Henri» entwickelt, deren Etikette durchaus Gäste in einem urbanen Szenelokal in der Deutschschweiz ansprechen dürfte. Nicht zuletzt ist man sich am Tisch einig: Chasselas ist mehr als nur ein Apérowein. Er kann im Fass ausgebaut werden. Oder als Schaumwein. Es gibt ihn als cremig-mundfüllenden Speisenbegleiter, und sogar Naturweine sind möglich. Kurz: Es gibt Chasselas für jeden Geschmack – und nach ein, zwei Gläsern gereiftem Clos du Rocher 1988 geistert die Idee für eine Kampagne mit dem Slogan «Hast du deinen Chasselas schon gefunden?» herum. Ja, das wärs …

Bloss müsste man dafür halt auch stolz sein auf diese Sorte, sie stets auf den Weinetiketten erwähnen – doch damit haben viele Winzerinnen und Winzer noch immer sichtlich ihre Mühe. Nicht umsonst prangen Begriffe wie «Yvorne», «Mont-sur-Rolle» oder «Aigle» meist in grösserer Schrift auf den Labels als das Wort «Chasselas». (Mehr über Weinetiketten lesen Sie hier.) Und nicht selten wird die Traubensorte überhaupt nicht erwähnt. Schade, denn verstecken müsste sich diese Varietät längst nicht mehr.