Mamablog: Wanderlust und FrustDer Berg ruft!
Die Familienwanderung beginnt bei unserer Autorin regelmässig mit einem Parkplatz-Tief am Berg – mit hungrigen oder motzenden Kindern. Gespannt, warum sie sich das trotzdem antut?
Ein Zeckenspray fliegt durch die Luft, jemand sucht schnaubend nach Socken. Es fehlt ein linker Wanderschuh. Treppauf, treppab. Die Sonnencreme, eben noch auf dem Küchentisch, hat soeben der Erdboden verschluckt. Berge von Snacks wandern in den Rucksack. Wenn der Berg ruft, geht es hoch her bei uns.
Gestatten, wir sind die Auf-den-letzten-Drücker-Familie. Wir gehören leider nicht zu denen, die um 8 Uhr in der Früh mit gekühltem Grillgut im Gepäck aufbrechen. Wir sind meist die, die eine gefühlte Ewigkeit brauchen, um es gerade noch kurz vor der erbarmungslosen Mittagshitze an den Berg zu schaffen. Und zwar ohne die Snacks, denn die mussten schon während der Hinfahrt dran glauben.
Die nicht minder chaotische Fahrt zum Berg, musikalisch untermalt von Ava Max und leisen elterlichen Seufzern, mündet regelmässig in einem Parkplatz-Tief. Dort kaum angekommen, ist eines der Kinder garantiert eingeschlafen, ein zweites findet Wandern jetzt doch doof. Das Dritte hopst vergnügt auf dem Fahrersitz herum und denkt gar nicht daran, auszusteigen. Und jemand hat immer Hunger. Und so ist der erste Halt nach gefühlten zehn Metern Wanderung in der nahenden Hitze das nächstbeste Restaurant, das Pommes, Apfelschorle und einen Schattenplatz bietet.
Kollektiver Glückszustand
Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Oder fragen Sie sich vielleicht, warum wir uns das alles antun? Nun, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass nach all dem morgendlichen Chaos jedes Mal der Moment kommt, an dem etwas absolut Wundervolles passiert. Dass sich nach einer halben bis einer Stunde Wanderung jegliche Anspannung klammheimlich in Bergluft auflöst. Alltags- und Schulstress sind passé, die Köpfe frei. Und wenig später liegt auf Papas Schultern ein selig schlummerndes Knäuel, während ein paar Meter weiter hinten zwei Geschwister friedlich plaudernd und Kleeblüten-essend nebeneinander hergehen.
Endorphine tanken vom Feinsten – in einer Idylle, dass es einem fast schwindelig wird.
Dann wandern wir glückselig und zeitvergessen vor uns hin, immer den Nasen nach, als hätten wir nie etwas anderes getan. Mal im Gespräch, mal schweigend nachdenklich. Mal herumalbernd, mal verträumt vor uns hin summend. Es gibt nur noch uns, malerische Landschaften, ab und zu ein paar freundlich grüssende Gleichgesinnte oder genüsslich kauende, treuäugige Kühe. Endorphine tanken vom Feinsten – in einer Idylle, dass es einem fast schwindelig wird.
Eine Frage der Perspektive
Der Mensch ist und bleibt eben ein Bewegungstier und der gemeinsame Streifzug durch die Natur mit Blick ins Tal scheint einen meditativen Effekt auf uns zu haben. Schliesslich soll die mystische Wirkung des Gebirges auf uns Sterbliche ja uralt sein, nicht umsonst griffen anno dazumal etliche Dichter und Denker im Angesicht der Berge demütig zur Feder.
Wie dem auch sei: Wandern ist gesund und tut dem Menschen gut, daran besteht kein Zweifel. Vermutlich wird der Erholungsfaktor in unserem Fall aber noch durch den psychologischen Effekt verstärkt, den die britische Kinderbuchautorin Julia Donaldson im Buch «Mein Haus ist zu eng und zu klein» thematisiert. Darin verspürt Oma Agathe grosse Erleichterung, nachdem sie Huhn, Ziege, Schwein und Kuh, die sie sich zuvor ins Haus geschafft hatte, wieder nach draussen befördert. Will heissen: Ohne den morgendlichen Aufbruchsstress wäre die Entspannung hinterher doch nur halb so schön.
Nein, man muss natürlich nicht auf einen Berg steigen, um sich als Familie verbunden zu fühlen. Die Vogelperspektive hat aber doch den grossen Vorteil, dass man sich für ein paar Stunden ganz wunderbar vormachen kann, die Welt da unten sei genauso friedlich und intakt, wie sie von oben aussieht. Und dann greift man suchend nach den kleinen Händchen neben sich und würde sie am liebsten nie wieder loslassen.
Wie gestalten sich Ihre Familienwanderungen, liebe Leserinnen und Leser? Stressig oder durchwegs tiefenentspannt? Diskutieren Sie mit.
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