Erdbeben-Film am ZFFUnd immer die Hoffnung, dass unter den Trümmern noch jemand lebt
2023 bebte in der Türkei und in Syrien die Erde, 60’000 Menschen starben. Der Film einer syrischen Dokumentarfilmerin und Aktivistin bringt die Bilder mit voller Wucht zurück.
- Am Zurich Film Festival wurde am Freitag der Film «Death without Mercy» gezeigt.
- Der Film begleitet zwei Protagonisten, die in den Trümmern nach Angehörigen suchen.
- Regisseurin Waad al-Kateab konnte selbst nicht in die Region reisen, trotzdem ist sie nah am Geschehen.
- In Zürich ist es ihr wichtig, zu betonen, dass es sich hier nicht «bloss» um eine Naturkatastrophe handelte.
Allein der Titel des Films lässt erahnen, dass die nächsten eineinhalb Stunden nur schwer zu ertragen sind: «Death without Mercy» – Tod ohne Gnade.
Und die Dokumentation ist genau das. Gnadenlos – auch zu jenen, die sie sich anschauen. Sie nimmt das Publikum mitten hinein in eine Gesellschaft, die eine der grössten Naturkatastrophen der jüngeren Vergangenheit zu bewältigen versucht. Es ist ein Stück voller Trauer und voll roher Brutalität.
Der Film spielt im Norden Syriens und im Südosten der Türkei. Die Region wird im Februar 2023 von einem Erdbeben heimgesucht. Mindestens 60’000 Menschen sterben. Es ist eines der verheerendsten Erdbeben des 21. Jahrhunderts.
Um 4.17 Uhr bebt die Erde ein erstes Mal, Stärke 7,8. Festgehalten ist das in «Death without Mercy» auf Bildern von Überwachungskameras, die einen Teil dieses Filmes ausmachen. Dazu Handyvideos, Fotos der betroffenen Familien und Berichte aus Tagesschauen aus aller Welt.
Das Ausmass der Katastrophe wird schnell ersichtlich. Ganze Häuserblocks stürzen ein, als wären sie aus Karton. Und noch während sich die geschockten Überlebenden auf den Strassen versammeln und erste Rettungsversuche unternehmen, folgt das zweite Beben. 13.24 Uhr, Stärke 7,5 diesmal.
Regisseurin Waad al-Kateab flüchtete und wurde für einen Oscar nominiert
Am vergangenen Freitag wurde «Death without Mercy» am Zurich Film Festival gezeigt. Auch Regisseurin Waad al-Kateab war da, im Arthouse Piccadilly nahe dem Bahnhof Stadelhofen. Manchmal zitterte ihre Stimme, als sie Fragen beantwortete und von ihrer Arbeit erzählte.
Waad al-Kateab ist ein Pseudonym, zum Schutz der Familie. Die Filmemacherin und Aktivistin ist Syrerin und flüchtete einst aus Aleppo in die Türkei. Die Belagerung ihrer Heimatstadt dokumentierte sie, das Material sandte sie an den britischen Sender Channel 4 News. Daraus entstand die Serie «Inside Aleppo». Kateab gewann dafür einen Emmy.
Die heute 33-Jährige bekam 2017 Asyl in Grossbritannien. Dort stellte sie den Dokumentarfilm «For Sama» fertig, der 2020 für den Oscar nominiert wurde. Heute lebt sie in London. Wäre sie noch in der Türkei, hätte sie diesen Film kaum realisieren können.
Wegen ihres Flüchtlingsstatus war es Kateab unmöglich, im Winter 2023 in die vom Beben betroffenen Gebiete zu reisen. Dass sie es dennoch schafft, im Film so nahe am Leid der Menschen zu sein, liegt an Fadi und Fuad, die sich laufend selbst filmen oder gefilmt werden und so das Hauptmaterial für das Werk liefern. Die Geschichten der zwei jungen Männer, ebenfalls Filmemacher aus Syrien, sind der Kern dieses Werks.
Fuad ist im Ausland, als die Erde bebt, Fadi nicht, er lebt in Syrien, wird aber verschont. Unabhängig voneinander machen sie sich auf in die Türkei, um ihre Angehörigen zu suchen. Die Verzweiflung ist schon dann da, als Fadi die Einreise in die Türkei verwehrt wird. Fadi fleht und besticht Beamte, erst am fünften Tag nach dem Beben schafft er es über die Grenze.
Fadi erreicht die Stadt Antakya nahe der syrischen Grenze bald. Und wie er rastlos über die Trümmer steigt, immer nahe am Zusammenbruch, hofft man mit ihm. Darauf, dass er zumindest eines seiner 13 Familienmitglieder lebend bergen kann. Auch am zehnten Tag lebt diese Hoffnung.
Was das Beben in der Türkei 2023 mit Erdogan zu tun hat
Fadi, Fuad und dessen Frau Safa sind keine Schauspieler. Sie sind Menschen, denen fast alles genommen wurde. Und dieses blanke Elend zeigt der Film schonungslos. Wir sehen Fadi Leichensäcke öffnen und in Gesichter von toten Bekannten blicken. Wir hören Fuad unter Tränen erzählen, wie er einen seiner Söhne barg und mit blossen Händen dessen Grab schaufelte.
Geschichten wie jene von Fuad und Fadi gab es im Winter 2023 unzählige. Regisseurin Kateab bringt die Katastrophe nun mit einer Wucht zurück, die einen fassungslos zuschauen lässt. Sie kam am Freitag aber nicht nur deswegen nach Zürich. Sie war da, um einen Appell dazulassen. Denn dieses Beben war für sie und viele andere mehr als eine Naturkatastrophe.
In den Wochen und Monaten nach dem Erdbeben geriet die türkische Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan immer stärker in die Kritik. Ausgebliebene Hilfe, ein lascher Katastrophenschutz, Pfusch an Bauten und Korruption.
Mit «Death without Mercy» versucht Kateab also nicht bloss, der Welt einen Einblick in die zerstörten Familien zu gewähren, ihr Werk ist auch ein Ruf nach Gerechtigkeit für diese. Das wird im Film deutlich. In der Türkei übrigens wird er kaum erscheinen. Zu gefährlich für Fadi, Fuad und Safa.
Im Rahmen des Zurich Film Festival wird «Death without Mercy» noch zweimal gezeigt. Am Dienstag, 8. Oktober, und am Mittwoch, 9. Oktober, jeweils im Kino Corso.
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