Daten von Threema, Proton und Co.Schweizer Techfirmen wehren sich gegen Ausbau des Überwachungsstaats
Der Bundesrat will die Möglichkeiten zur Überwachung ausweiten. Anbieter wie Proton, Google Schweiz, Threema oder Tresorit müssten Daten herausgeben – was ihr Geschäftsmodell bedroht.

- 2023 wurden schweizweit 9400 Überwachungsmassnahmen von Fernmeldediensten durchgeführt.
- Der Bundesrat möchte Behörden erweiterte Überwachungsrechte ermöglichen.
- Schweizer Techfirmen wie Threema und Proton lehnen neue Vorschriften kategorisch ab.
- Threema zeigt sich bereit, eine Volksinitiative zu lancieren. Proton droht mit Auswanderung.
Eine vermummte Gestalt huscht in der Dunkelheit zu einer Paketabholstelle in Luzern, greift nach einem Paket und verschwindet wieder in die Nacht. Mit diesen Aufnahmen einer Überwachungskamera kann die Polizei zwar nichts anfangen. Die Ermittler vermuten aber, dass Betrüger im Internet Waren auf andere Namen bestellen, die Pakete an besagte Abholstelle umleiten lassen und sie dann nachts abholen.
In weiteren bestellten Paketen findet die Polizei Mobiltelefone, deren eindeutige Identifikationsnummern sich einer Person und zwei Telefonnummern zuordnen lassen. Das bringt den Durchbruch. Es kommt zu Festnahmen, rund hundert Betrugsfälle lassen sich aufklären.
Möglich machte dies der Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (ÜPF), wie dessen Geschäftsbericht 2023 zu entnehmen ist. Die Behörde gewährte der Luzerner Polizei eine Auskunft zur Identifikation der Smartphones und ordnete eine rückwirkende Überwachung von Telefonnummern an. Allein 2023 kam es schweizweit zu 9400 Überwachungsmassnahmen.
Nun will der Bundesrat die Kompetenzen des Dienstes ÜPF ausweiten und hat dazu eine Vernehmlassung eröffnet. Die Teilrevision sei nötig, um Rechtssicherheit zu schaffen und Prozesse zu standardisieren.
Damit sollen Strafermittler und der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) neue Überwachungsarten und Zugriff auf weitere Kommunikationsanbieter erhalten. Das würde alle Nutzerinnen und Nutzer betreffen, die Telecomnetze oder Dienstleistungen wie Kurznachrichtendienste und E-Mail nutzen, nicht nur Gmail und Bluemail, Whatsapp und SMS, sondern auch solche, die die als besonders sicher geltende Threema-App oder Protonmail nutzen.
Neue Art Echtzeitüberwachung geplant
Beispielsweise soll eine rückwirkende Überwachung ermöglicht werden, um bei Internetverbindungen Teilnehmer identifizieren zu können. Weiter ist vorgesehen, dass diese Firmen dem Dienst ÜPF mitteilen müssen, auf welchen E-Mail-Dienst ein Nutzer zuletzt zugegriffen hat.
Ebenfalls geplant ist, dass sogenannte Randdaten in Echtzeit überwacht werden können. Gemeint sind Daten, die Informationen über die Nutzung von Fernmeldediensten enthalten – also mit wem, wann, wie lange und von wo aus eine Person kommuniziert hat.
Gemeinnützige Organisationen wie die Digitale Gesellschaft sind nicht nur über den Ausbau des Überwachungsstaats alarmiert. Mit der Revision erhöhe sich neu die Wahrscheinlichkeit für die Kundschaft von Internetfirmen mit Sitz in der Schweiz, dass Behörden gezielt auf Daten zugriffen, sagt Sprecher Martin Steiger. Dazu gehörten geschützte Daten. «Das liegt daran, dass die Behörden weniger Aufwand betreiben müssten», so Steiger.
Seine bisherigen Erfahrungen mit dem schweizerischen Überwachungsstaat zeigten: Weniger Aufwand der Behörden führe jeweils zu mehr Überwachung.
Deutlich mehr Firmen kriegen Überwachungspflichten
Brisant: Der Bundesrat will neben der bisherigen Kategorie Fernmeldedienstanbieter mit vollen Überwachungspflichten wie etwa der Swisscom den sogenannten «Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste» neue Vorgaben machen. Darunter würden ausgerechnet hiesige Messenger-Dienste wie Threema und Proton fallen, welche sich 2021 dank einem Bundesgerichtsurteil grösseren Überwachungspflichten entziehen konnten.
Mit den neuen Vorgaben weitet der Bundesrat die Zahl der Firmen mit Mitwirkungspflichten bei der Überwachung klar aus. Für Techfirmen besonders stossend ist, dass sie bereits bei der Schwelle von mehr als 1 Million Nutzern und 100 Millionen Franken Umsatz vollumfänglich mit den Behörden zusammenarbeiten müssen. Mit 12 Millionen respektive 100 Millionen Nutzern trifft das Threema und Proton.
Mit der Materie vertraute Juristen wollen in der entsprechenden Verordnung aber auch Hinweise darauf gefunden haben, dass Schweizer Cloud-Betreiber wie Google und Tresorit sowie Anbieter von virtuellen Netzwerken (VPN) wie Nym betroffen wären. Bedeutende Netzbetreiber wie Swisscom, Sunrise und Salt hingegen bleiben als Fernmeldeanbieter eingestuft und haben eine Mitwirkungspflicht.
Google Schweiz will dazu keine Stellung nehmen und verweist auf den Schweizerischen Verband der Telekommunikation (Asut). Auf Anfrage sagt Asut-Geschäftsführer Christian Grasser, dass die Revision zu einer «deutlichen Ausweitung der Anzahl betroffener Dienste und Unternehmen führen» könne, obwohl «gar kein Bedarf für entsprechende Massnahmen besteht».
Threema-Chef: «Überwachung durch die Hintertür»
In der Branche regt sich nun Widerstand. Bislang konnten hiesige Dienstleister international damit punkten, ihre Server in der sicheren Schweiz zu betreiben und damit dem Zugriff ausländischer Behörden zu entziehen. Mit der Revision dürfte es aber schwierig werden, diesen Anspruch aufrechtzuerhalten.
Der Bundesrat versuche, die Überwachungsmöglichkeiten, die das Bundesgericht 2021 zurückgewiesen habe, «durch die Hintertür wieder einzuführen», sagt Threema-Chef Robin Simon. Threema vertrete das Menschenrecht auf Privatsphäre. Deshalb werde das Unternehmen den Kern seines Messenger-Dienstes nicht verraten, so Simon.
Denn neu müsste Threema Kundendaten sammeln und mindestens sechs Monate speichern. «Wir sammeln aber keine Kundendaten; jegliche Speicherung von Daten auf Vorrat birgt Risiken.» Bei Anfragen der Überwachungsdienste lieferte Threema bisher nur eine Momentaufnahme.
Ebenfalls ein rotes Tuch ist für Simon die Echtzeitüberwachung, zu der Threema verpflichtet werden könnte. Das würde für die Firma mit ihren 55 Mitarbeitenden zusätzlichen Aufwand bedeuten: Sie müsste einen Pikettdienst betreiben, der rund um die Uhr für den Dienst ÜPF erreichbar sein müsste.
Mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Schweiz sagt der Threema-Chef: «Dieser würde durch die Revision geschwächt und für Tech-Start-ups unattraktiv.» Aktuell lasse sich Threema alle Optionen offen.
Simon: «Wir können nicht nur juristisch dagegen kämpfen. Wir sind bereit, eine Volksinitiative zu lancieren, die den Ausbau des Überwachungsstaats verhindert und die Privatsphäre verteidigt.»
Speziell: Der Bundesrat nutzt Threema als Gruppenchat. Die Bundesverwaltung nutzt die besonders sichere Threema-Version für Staaten und Unternehmen für vertrauliche Botschaften.
Die Armee setzt ebenfalls auf Threema und lässt die Konkurrenten Signal, Whatsapp und Telegram nicht mehr zu. Threema hat Verträge mit Behörden, Militär und Sicherheitsdiensten von 14 Ländern.

Heftige Kritik gab es vor einer Woche von Proton-Chef Andy Yen. Er sieht einen «aggressiven Ausbau des Überwachungsstaats» und kündigte an: «Unter keinen Umständen können wir dieses Gesetz erfüllen.» Als letzte Konsequenz würde sich Proton gezwungen sehen, die Schweiz zu verlassen.
Was ist mit dem Schutz der Privatsphäre?
Der Schutz der Privatsphäre sei stets gewährleistet, hält die Rechtsabteilung des Dienstes ÜPF fest. Das Vorgehen ist folgendes: Bei strafrechtlichen Verfahren wie im Luzerner Fall untersteht demnach jede Massnahme einer dreistufigen Kontrolle: Die Staatsanwaltschaft muss eine solche anordnen. Dann prüft der Dienst ÜPF, ob sie zulässig ist. Schliesslich muss ein Zwangsmassnahmengericht die Massnahme bewilligen.
Anders verhält es sich, wenn der Nachrichtendienst eine Überwachung verlangt. Er braucht dazu die Genehmigung des Bundesverwaltungsgerichts sowie die Freigabe durch den Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS).
Die Vernehmlassung dauert bis zum 6. Mai. Bis dahin haben betroffene Unternehmen wie Threema und Proton, aber auch Privatpersonen Zeit, ihre Bedenken in Form von Stellungnahmen einzureichen.
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