Dating via Video«Dass es dann eine Datingplattform wurde, ist eher Zufall»
Die 22-jährige Start-up-Unternehmerin Laura Matter verkuppelt Paare durch Videocalls. Ihren Traum erfüllt sie sich damit nicht. Erfolgreich ist sie trotzdem.
«Don’t dream it, do it»: Motivierende Sprüche wie dieser tapezieren die Wände des Co-Working-Space in Winterthur. Im Home of Innovation sollen Träume verwirklicht werden. Eine, die sich von dieser Start-up-Atmosphäre mitreissen lässt, ist Laura Matter. Sie ist mit ihrem Unternehmen in der umfunktionierten Industriehalle eingemietet.
Noii ist eine Video-Datingplattform, die die 22-Jährige vor über einem Jahr mitgegründet hat. Wie sie selbst sagt, soll Onlinedating durch Videocalls authentischer gemacht werden. Jeweils montags kann man sich eine Stunde lang im Schnelldurchlauf mit anderen Singles unterhalten, die zuvor durch einen Algorithmus ausgewählt wurden. Wenn die Chemie stimmt, darf das Ganze dann ins echte Leben verlegt werden.
Viele Junge empfinden den gut gemeinten Ratschlag, ihrer Leidenschaft nachzugehen, als Last.
Kürzlich sicherten sich Matter und Geschäftspartner Thomas Kuschel in der Fernsehshow «Höhle der Löwen» 200’000 Franken für zehn Prozent der Firmenanteile. In der Sendung versuchen Start-ups eine Jury aus erfahrenen Geschäftsleuten – die «Löwen» – von ihrem Geschäftsplan zu überzeugen, damit diese dann investieren. Noii erhofft sich dadurch einen weiteren Schub.
Bisher zählt die Plattform über 5000 Registrierte, die Mehrheit davon ist zwischen 23 und 38 Jahre alt. Noch ist Noii ein kleiner Fisch. Tinder-Konkurrent Bumble soll 1,5 Millionen zahlende Nutzerinnen und Nutzer weltweit haben. Doch Matter sieht eine Nische: Ihr Zielpublikum habe keine Lust mehr auf lockeres Hin- und Herwischen auf Tinder. Ganz bereit für die Ernsthaftigkeit auf Parship sei sie aber auch noch nicht.
Einnahmen bringen das Premium-Abo, das es für 29 Franken im Monat gibt, und kostenpflichtige Anlässe im realen Leben. 500 solcher Abos hat sie bisher verkauft und damit also 15’000 Franken eingenommen.
Grosser Druck, seine Leidenschaft zu finden
Die Datingplattform ist nicht nur ein Nebenprodukt der Pandemie. Mit Noii versucht Matter, ihren Weg im Berufsleben zu finden: Lange habe sie gedacht, sie müsse eine gesellschaftliche Erwartung erfüllen, die eine Passion finden und diese zum Beruf machen. Doch bei ihr gab es diese eine Leidenschaft nicht. Matter habe nicht von Noii geträumt, wie die Plakate in ihrem Büro andeuten. Gemacht hat sie es trotzdem. Was treibt Menschen wie sie an?
Viele Junge empfinden den gut gemeinten Ratschlag, ihrer Leidenschaft nachzugehen, als Last. «Die Gen Z tickt anders. In ihrer medialen Welt mit medialen Vorbildern sind Werte wie Selbstverwirklichung und Entfaltung wichtiger geworden. Das produziert Druck», sagt Silke Zemp, Leiterin des Berufsinformationszentrums in Kloten ZH.
Würden Influencer damit werben, es geschafft zu haben, könne dies einen Erfolgsdruck und eine hohe Erwartung an die eigene Person auslösen. Selbstverwirklichung im Beruf werde zum Ziel, sagt Zemp. Junge Menschen verlangten deshalb von sich selbst, schon früh zu wissen, was sie für sich möchten.
«Hätte man mich vor zwei Jahren gefragt, ob es mein Traum sei, ein Unternehmen zu gründen, hätte ich Nein gesagt.»
Auch Matter erzählt im Gespräch von diesem Gefühl. Sie habe mit dem Spruch «Mach dein Hobby zum Beruf, und du wirst keinen Tag arbeiten müssen» nie wirklich etwas anfangen können, sondern lieber ausprobieren wollen. «Man merkt dann schon, ob man es gern macht oder nicht.»
Bei vielen Jungen ist der Job heute nicht mehr nur zum Geldverdienen – ein Job soll zur Berufung werden. Das Bedürfnis nach einer sinnhaften Tätigkeit sei bei der Generation Z viel stärker, sagt Zemp. «Auch wegen der Klimakrise, wegen Corona und des Krieges gibt es immer mehr junge Menschen, die etwas Eigenes starten möchten.»
Dabei sei es wichtig zu wissen, dass diese Sinnsuche ein Prozess sei und Zeit benötige. «Besser, man findet ‹step by step› heraus, was man machen möchte», rät die Leiterin des Berufsinformationszentrums. Denn auch diejenigen, die ein «Unternehmer-Gen» in sich trügen, brauchten «Entdecker-Zeit».
Bezahlte Selbstverwirklichung
So war es auch für Laura Matter: «Hätte man mich vor zwei Jahren gefragt, ob es mein Traum sei, ein Unternehmen zu gründen, hätte ich Nein gesagt.» Sie hat erst durchs Ausprobieren gemerkt, dass ihr Selbstständigkeit liegt. «Dass es dann eine Datingplattform wurde, ist eher Zufall», sagt sie.
Die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung verdankt sie ihren Eltern: «Ich kann meinem Machtinstinkt nur nachgehen, weil ich meinen Eltern auf der Tasche hocke», sagt sie. Matter lebt mit ihnen und wird, wie sie sagt, «durchgefüttert».
Wer eine solche Absicherung hat, kann auch eher Risiken eingehen. Darin sieht Matter den Vorteil, jung eine Firma zu gründen. Es bestehe kein Druck, eine Familie ernähren zu müssen.
Nur selten musste sich Matter ihres Alters wegen beweisen. Wird Erfahrung gefordert, verweist sie auf Mitglieder des Gründungsteams, die etwas älter sind. Matter lernt zusammen mit dem kleinen Team an acht Teilzeitmitarbeitenden erst, wie es ist, Menschen zu führen.
Als Chefin würde sie sich aber nicht bezeichnen: «Es steht zwar CEO drauf, aber ich mache einfach meinen Job.» Das Projekt sei noch am Anfang, da gehe es nur darum, einfach zu erledigen, was zu erledigen sei.
Bis 2024 will Noii schwarze Zahlen schreiben. Zuerst müsse Matter aber dafür sorgen, dass das Geld nicht ausgehe. Denn als Start-up ist man schnell weg vom Fenster. Das stresst Matter aber nicht: «Falls alles bachab geht, mache ich etwas anderes.» Nur ihren Eltern müsse sie dann beichten, dass sie noch länger bei ihnen wohnen werde.
Fehler gefunden?Jetzt melden.