Überraschung in der Premier LeagueDas rote Rätsel aus Manchester
Manchester United ist in Englands höchster Liga an der Spitze. Das hat mit einem ambitionierten Portugiesen zu tun – und einem sympathischen Stürmer.
Sie rätseln derzeit auf der ganzen Insel, die Journalisten und gegnerischen Mannschaften. Sie werweissen über die wahre Schaffenskraft dieses neuen Manchester United.
Die Mannschaft ist im Hoch und punktgleich mit Liverpool an der Spitze, letztmals war das im Januar 2013 der Fall, in Sir Alex Fergusons Abschiedssaison. Es läuft also. Trotzdem traut man dieser Mannschaft nicht so richtig, zu unbeständig, zu normal sieht das immer wieder aus, und vor allem: so gar nicht glorios. Es ist der Fluch der Erinnerung. Kein Beckham ist in der Mannschaft, kein Ronaldo, kein Scholes. Bloss Pogba, Lingard oder James, nicht schlecht zwar, doch längst nicht so ruhmvoll wie ihre Vorgänger. Am Club haftet seit Jahren das Etikett des gefallenen Königreichs, das niemals wieder so gross und prächtig sein wird.
Drei Persönlichkeiten haben sich nun aufgemacht, dies zu ändern.
Bruno Fernandes – der Komplette
Paul Scholes war einer der Anführer des roten Königreichs, eine Legende in der legendenhaften Geschichte von United. Heute verdient er sein Geld mit Expertisen am Fernsehen, er sagt über den Mann mit der Nummer 18, Bruno Fernandes: «Er ist besser, als ich es war.» Das ist ein ziemlich grosses Kompliment.
Seit einem Jahr spielt der Portugiese in Manchester – und hat alle beeindruckt. An über der Hälfte aller geschossenen Tore war er beteiligt. Unter seiner Führung hat United im Frühling doch noch die Champions League erreicht, unter seiner Anleitung ist man nun an der Spitze. Fernandes ist Mann der stehenden Bälle und Taktgeber, er kann das Spiel schnell machen, aber auch beruhigen. Er hat einen prächtigen Schuss – und ist ein Meister des Auf-den-Ball-Stehens, einem Feldherrn gleich wacht er dann über Ball und Platz, bereit für den nächsten Vorstoss.
Diese Vollständigkeit hat er sich in seinen frühen Wanderjahren beigebracht. Er wechselte als 18-Jähriger in die Serie B (Novara) und eignete sich trotz des filigranen Wuchses Standhaftigkeit an, natürlich das taktische Geschick (Italien!) und das Gefühl für das Tempo in all seinen Variationen.
Wer so viel Brillanz vereint, fällt auf. Als Leicester kurz vor Jahresende Fernandes zustellte, war Manchester wieder das Manchester der alten Tage. Blass, einfallslos, berechenbar. Der 26-Jährige allein reicht also nicht.
Fernandes ist ein sehr ambitionierter Spieler. So kommt es vor, dass man ihn dabei beobachten kann, wie er seine Kollegen auf ihre Mängel hinweist. Er macht das jeweils so nachdrücklich, dass kürzlich Trainer Solskjær zu diesem «Rollicking» gefragt wurde, ob das dem Team nicht schade. Die Antwort: Fernandes mache das zum Wohl der Mannschaft.
Ole Gunnar Solskjær – der Gelassene
Der Trainer war ja auch einer aus diesen gloriosen Tagen unter Ferguson. Noch immer ist nicht restlos geklärt, wie gut sich denn dieser Solskjær an der Seitenlinie macht. Es scheint, dass sein Team besonders dann überzeugt, wenn es gegen spielstarke Mannschaften antritt und kontern darf. Und es gibt immer wieder totale Systemausfälle wie im Herbst gegen Tottenham, als man 1:6 verlor. #OleOut wurde in den sozialen Medien stets nach Niederlagen zu einem Trend. Irgendwie konnte der Norweger aber jeweils einen Gegentrend einleiten.
Besonders deutlich sah man dies im Spätherbst. Manchester United hat zu bemerkenswerter Konstanz gefunden, und die Rivalen beginnen langsam, aber sicher, Solskjær ernst zu nehmen. So muss man ein Zitat von Jürgen Klopp deuten, das dem Liverpool-Trainer jüngst im Frust entfahren ist. Er sagte: «Manchester United bekam mehr Penaltys in zwei Jahren als ich in fünfeinhalb Jahren bei Liverpool.» Solskjær reagierte gelassen: Wenn Klopp sich mit Elfmeterzählen beschäftigen möchte, nur zu, er habe keine Zeit dafür.
Das grosse Manchester United unter Ferguson hatte sich vor allem durch zwei Dinge ausgezeichnet. Erstens durch diesen unnachahmlichen Geist im Team. Und zweitens durch die guten Transfers.
Den Geist hat Solskjaer als Zeitzeuge mitbekommen, er versucht ihn gerade neu zu erschaffen. Bei den Zuzügen hat er als Manager schon mehrere Male ein gutes Händchen offenbart. Bruno Fernandes war sein Transfer. Edinson Cavani hat der Mannschaft Feuerkraft gegeben. Und gerade eben hat Solskjær einen neuen Stürmer geholt. Amad Diallo für 37 Millionen Pfund von Atalanta Bergamo, offenbar das neueste Wunderkind. Es ist das Fussballgeschäft dieser Tage. Der 18-Jährige hat für die Italiener erst fünf Partien gespielt. Doch Solskjær weiss schon jetzt, der wird ihm helfen. Ganz bestimmt.
Marcus Rashford – der Normale
23 Jahre alt ist er nun, seit bald fünf Jahren gehört er zum Team und hat seither in allen Belangen zugelegt. Körperlich, spielerisch, charakterlich. Oft hat er sich in der Vergangenheit schuldig gemacht (verpasste Chancen und verlorene Bälle). Nun ist er effizient und steter Quell von Gefahr. Sieben Tore und sechs Assists stehen in der Liga auf seiner Habenseite, dazu kommen sechs Treffer in der Champions League, in der man die Gruppenphase nicht überstanden hat.
Rashford ist die Zukunft des Teams, der «Guardian» verglich sein Spielverständnis mit jenem von Wayne Rooney. Dazu macht der Stürmer es den Fans ziemlich leicht, ihn zu mögen. Er hatte in der ersten Corona-Welle über 20 Millionen Pfund gesammelt, um 1,3 Millionen Schulkindern aus armen Familien Gratismittagessen zu garantieren. Er legte sich dafür mit Boris Johnson an und gewann (hier geht es zum Artikel), er setzt sich gegen Food-Waste ein, und als im Februar ein junger Fan ihn fragte, ob er beim Gedicht-Wettbewerb an seiner Schule Jurymitglied sein möchte, sagte Rashford sogleich zu. Nicht nur das: Weil es eine Gehörlosenschule war, lernte Rashford die Gebärdensprache.
Rashford ist normal, gar nicht abgehoben, richtig sympathisch. Es habe mit seiner Kindheit zu tun, erzählte er kürzlich der BBC. Als kleiner Bub musste er manchmal ohne Nachtessen ins Bett, so wenig Geld verdiente seine alleinerziehende Mutter. Trotzdem ist er seinen Weg gegangen – und zu einem Vorbild einer ganzen Nation geworden.
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