England in AufruhrDer geheime Deal von Liverpool und Manchester United platzt
Die beiden Topclubs wollten, dass eine Viertelmilliarde Pfund in die unteren Ligen fliesst. Es war das schöne Geschenkpapier, das die eigentliche Idee versteckte.
Natürlich reden die Engländer auch über andere Themen. Wie das Nationalteam gegen Dänemark verloren hat zum Beispiel. Oder über den sportlichen Wert der Nations-League-Partien. Und man erzählt sich die Geschichte des 22-jährigen Stürmers Marcus Rashford, dem die Königin einen Ritterorden verliehen hat, weil er sich in der Corona-Krise für hungrige Kinder einsetzt.
Aber vor allem reden die Engländer seit vier Tagen über einen Vorstoss, der ihren Fussball auf den Kopf zu stellen drohte: das Projekt «Big Picture», lanciert vom Liverpool FC und Manchester United. Am Sonntag war das Projekt vom «Telegraph» geleakt worden, und seither zerlegen es die Medien in seine Einzelteile.
Everton fordert sogar Entschuldigung
Drei Tage später, am Mittwochabend, trafen sich die 20 Premier-League-Clubs und lehnten das Projekt ab. Zwei Stunden hatte die Debatte gedauert. Die meisten Clubs waren skeptisch, einige sogar empört. Und irgendwann verlangte Denise Barrett-Baxendale, die Chefin des Everton FC, dass sich Manchester United und Liverpool entschuldigen.
Die beiden Top-Vereine sahen keinen Grund für diese Entschuldigung – schliesslich war ihr Plan doch in wunderschönes Geschenkpapier gepackt.
Dieses Geschenkpapier sah im Wesentlichen so aus: Die Premier League zahlt 100 Millionen Pfund an den Englischen Fussballverband und 250 Millionen an die English Football League (EFL), den Verband der zweit-, dritt- und vierthöchsten Liga. Zudem sollen die EFL-Clubs stärker an den TV-Einnahmen beteiligt werden: Bisher kassierten sie vier Prozent des 8,6 Milliarden schweren Dreijahresvertrags (2019-2022), in Zukunft sollten es 25 Prozent sein.
Das grösste Kuchenstück in der Geschichte
Noch nie lag für die Unterklassigen ein grösseres Kuchenstück auf dem Tisch. Und in der aktuellen Notlage hörte sich der Deal ganz wunderbar an, denn im Vergleich zu den Premier-League-Teams sind sie stärker von den Ticket-Einnahmen abhängig. Diese sind wegen der Corona-Krise eingebrochen. Also hat sich Rick Parry, der Chef der chronisch unterfinanzierten EFL, öffentlich für das Projekt «Big Picture» ausgesprochen.
Doch die Premier League war dagegen. Denn unter dem schönen Geschenkpapier versteckte sich eine Idee, die gegen jedes Demokratieverständnis verstösst: Im Gegenzug für die Hilfsgelder an die unteren Ligen sollten die «traditional nine» das Recht erhalten, fast allein über das Geschehen im englischen Club-Fussball zu bestimmen. Diese neun sind die dienstältesten Liverpool, Manchester United, Arsenal, Chelsea, Manchester City und Tottenham sowie Everton, Southampton und West Ham United.
«Das ist genau die Art von Hinterhof-Deals, die das Vertrauen in den Fussball untergräbt.»
Seit die Premier League 1992 eingeführt worden ist, gilt das Prinzip «One Member, one Vote». «Big Picture» hätte dieses Demokratieverständnis umgestossen: Die «traditional nine» hätten mit einer Zweidrittelmehrheit darüber entscheiden können, wie zum Beispiel TV-Gelder verteilt werden oder welche Investoren Vereine übernehmen dürfen.
Der nächsten Milliardärin, die an der Türe der Premier League steht, um dereinst die Topclubs zu bedrängen, hätte man einfach den Eintritt verwehren können.
Die Topclubs wollen die globale Fangemeinde selbst bedienen
Und es gab weitere Gründe, warum das Projekt am Mittwochabend keine Chance hatte. «Big Picture» wollte die Premier League von 20 auf 18 Teams verkleinern sowie den Ligapokal und den Supercup abschaffen. Die Lücken im Spielkalender hätten die Topclubs für mehr internationale Topspiele oder lukrative Vermarktungsreisen nutzen können.
Aber gerade der Ligapokal erlaubt kleinen Clubs grosse Träume: 2013 zum Beispiel gewann ihn der Swansea City AFC und spielte in der Europa League, die er über die Liga wie immer deutlich verpasst hatte.
Zudem hätte eine weitere Idee die Topclubs bevorteilt: «Big Picture» sah vor, dass jeder Club acht Spiele pro Saison auf den eigenen Streaming-Kanälen übertragen darf. Für einen kleinen Verein wie beispielsweise Brighton & Hove Albion ist das kaum interessant – für die Besitzer von Manchester United jedoch sehr: Liebend gerne würden sie die riesige globale Fangemeinde selbst bedienen und die Einnahmen für sich behalten.
Die Regierung verurteilt solche «Hinterhof-Deals»
Das Projekt «Big Picture» hätte den kleineren Clubs aus unteren Ligen also mit einer Viertelmillionen Pfund kurzfristig geholfen. In der Premier League und längerfristig hätte es jedoch dazu geführt, dass die Kluft zwischen den Topclubs und der Mittel- und Unterklasse noch grösser geworden wäre.
Sogar die britische Regierung schaltete sich ein. Der Sprecher des Premierministers Boris Johnson sagt: «Das ist genau die Art von Hinterhof-Deals, die das Vertrauen in den Fussball untergräbt.» Trotzdem ist man sich einig, dass es eine Reform braucht. Bis Ende 2020 soll eine nächste Idee auf dem Tisch liegen.
Und obwohl «Big Picture» keine Chance hatte, wurde Geld für die unteren Ligen gesprochen. Insgesamt 50 Millionen Pfund sollen die Teams in der Ligue one und Ligue two erhalten. Und die Clubs aus der Championship, der zweithöchsten Division, sollen zinslose Darlehen beantragen können.
Diese Tranche ist deutlich kleiner als die 250 Millionen aus der Idee von Liverpool und Manchester. Dafür ist sie nicht an eine Machtübernahme der Topclubs geknüpft.
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