Tourismus trotzt Ukraine-Krieg«Das Reisen wird teurer werden»
Martin Wittwer, Präsident des Schweizer Reise-Verbandes, erwartet trotz steigender Preise mehr Buchungen. Denn die Schweizerinnen und Schweizer hätten grossen Nachholbedarf.
Herr Wittwer, wie stark hat der Krieg in der Ukraine Ihre Erwartungen für die Erholung des Reisegeschäfts gedämpft?
Es ist eine furchtbare Situation, die kurzzeitig zu einem Buchungsknick geführt hat. Aber jetzt hat die Nachfrage dennoch wieder angezogen. Ich erwarte, dass wir dieses Jahr 80 Prozent des Umsatzes von 2019 erreichen werden.
Trotz der steigenden Treibstoffpreise?
Ja. Der Preisaufschlag wird sich erst im Herbst bemerkbar machen. Bis dann sind die Flugpreise durch die Airlines und Reiseveranstalter grösstenteils abgesichert, es lohnt sich deshalb, früh die Ferien zu buchen.
«Wir beobachten auch, dass die Zahlungsbereitschaft höher ist.»
Wird es also erst im Herbst richtig teuer?
Das Reisen wird tendenziell teurer werden, dies hängt aber mit der grossen Nachfrage und der Verknappung des Angebots zusammen. Beispielsweise sind die Mietwagen und Camper in Nordamerika und Kanada stark gefragt und darum auch teurer. Wir beobachten aber auch, dass die Zahlungsbereitschaft höher ist, denn die Menschen haben fast zwei Jahre lang gespart und ein Nachholbedarf besteht. Und der starke Franken begünstigt zudem die Reiselust.
Sie waren 20 Jahre lang CEO von TUI Suisse. Im Februar 2020 haben Sie Ihr Amt niedergelegt, also ganz kurz vor Ausbruch der Pandemie. Wie war das für Sie?
Wenn man so lange in einem Unternehmen arbeitet, fällt es einem natürlich nicht leicht, bei so einer Krise die Hände in den Schoss zu legen. Aber ich hatte den Konzern verlassen und finde: Wenn man geht, muss man das durchziehen und nicht noch einen Fuss in der Tür lassen.
Konnten Sie also fast zwei Jahre lang nur tatenlos zu sehen?
Nein, ich habe Reisebüros in der Krisenzeit beraten, und dadurch hat sich unter anderem auch ergeben, dass ich das Präsidium des Schweizer Reise-Verbandes übernehmen durfte.
Seit November 2021 sind Sie nun im Amt. Was ist momentan die grösste Herausforderung der Reisebranche?
Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine waren definitiv Gamechanger für die Branche. In Zukunft, denke ich, werden uns vor allem Themen wie Nachhaltigkeit, politische Rahmenbedingungen, Digitalisierung sowie der Fachkräftemangel beschäftigen.
Der Fachkräftemangel ist ein grosses Problem. Wie wollen Sie Nachwuchs für einen Beruf gewinnen, der durch das Internet zu verschwinden droht?
Der Reisebedarf bei den Menschen ist zurzeit besonders gross, darum werden in Zukunft das Reisen und die Freizeitgestaltung noch relevanter werden. Und schliesslich ist es eine stark zukunftsorientierte Branche, die weltweit jeden zehnten Arbeitsplatz generiert.
Was heisst das konkret?
Wir müssen in die Ausbildung von Reisebürofachpersonen investieren und dass diese digital ausgerichtet wird. Das beinhaltet einerseits die Grundausbildung und andererseits, dass auch Quereinsteiger den Weg in unsere Branche finden.
Reisebestimmungen, Tipps und Empfehlungen für vor Ort lassen sich im Internet und auf Blogs von Reiseinfluencern nachlesen. Kommen die Kunden nur wegen der Beratung noch ins Reisebüro?
Wir haben während der Pandemie das Comeback der Reisebüros erlebt. Die Kunden hatten viele Fragen, und Reisebüros konnten ihnen mittels Beratung diese Unsicherheiten nehmen.
Wann kommt die Branche wieder aufs Vorkrisenniveau?
Ich erwarte, dass wir nächstes Jahr wieder praktisch das Niveau von 2019 erreichen werden.
Wie sieht es bei den Geschäftsreisen aus? Zoom und Co. sind eine attraktive Alternative geworden.
Der Bereich Geschäftsreisen wird wieder zulegen, aber bestimmt nicht mehr so stark wie vor Covid. Wir haben ja gelernt, wo uns die Technik mit Videocalls unterstützt, und tendenziell wird man deshalb geschäftlich weniger reisen, dafür aber gezielter.
«Anstatt einer grossen Gruppenreise kann man kleinere geführte Touren mit ökologischem Ansatz buchen.»
Nachhaltigkeit wird auch für die Reisebranche immer wichtiger. Sehen Sie das als Trend an, oder wird das Reisen in Zukunft wirklich ökologischer?
Ich würde es nicht einfach nur als Trend einstufen. Die Tourismusindustrie und die lokalen Leistungserbringer vor Ort müssen nachhaltig mit den Ressourcen umgehen, sonst schaden sie eigentlich langfristig ihrem Geschäftsmodell. Wir müssen in der Schweiz aufpassen, dass wir nicht anderen zu fest vorschreiben, wie und was sie machen sollen.
Wie meinen Sie das?
In den touristischen Regionen der Welt wird nach fast zwei Jahren Pause auch überlegt, wie man die Personalressourcen einteilt und mit Kapazitätsbeschränkungen umgeht. Und als Konsument kann man vieles steuern. Anstatt einer grossen Gruppenreise kann man kleinere geführte Touren mit ökologischem Ansatz buchen.
Also doch keine Pauschalreise nach Mallorca buchen?
Auch eine Pauschalreise kann nachhaltig sein, wenn man auf Reiseveranstalter setzt, die ihre soziale Verantwortung wahrnehmen.
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