Seit 26 Jahren vermisstDas Rätsel der verschwundenen Angela Celentano bleibt ungelöst
Nach mehr als einem Vierteljahrhundert kam in einem der undurchsichtigsten Fälle der italienischen Kriminalgeschichte Hoffnung auf.
Seit 26 Jahren sind die Eltern von Angela Celentano davon überzeugt, ihre Tochter irgendwann wiederzufinden, und während der letzten zwei Wochen war die Hoffnung besonders gross. Eine junge Südamerikanerin sah dem von einer Software erstellten Bild verblüffend ähnlich, das zeigen soll, wie die Verschollene heute als 30-jährige Frau aussähe.
Verschwunden ist Angela Celentano am 10. August 1996, während eines Ausflugs mehrerer befreundeter Familien. Auf dem Monte Faito in der Nähe von Neapel nahmen die Teilnehmer der Wochenendreise ein Picknick ein, die Eltern liessen die damals Dreijährige für einige Minuten aus den Augen und haben sie seither nie mehr gesehen. Dass sie verunfallt ist, scheint unwahrscheinlich, blieb doch die tagelange Suche Hunderter von Polizisten und Soldaten erfolglos.
Die Südamerikanerin – laut italienischen Medien eine Venezolanerin oder Argentinierin – sieht Angelas Phantombild nicht nur verblüffend ähnlich, sondern hat auch ein Muttermal am Rücken, an genau derselben Stelle wie die Verschwundene. Am Dienstag hat nun der Anwalt der Familie das Resultat des DNA-Tests verkündet. Er ist negativ. Die Südamerikanerin ist nicht Angela Celentano.
Celentanos Eltern haben das von der Software generierte Bild weltweit auf Internetseiten publiziert, auf denen vermisste Personen gesucht werden. Laut Ralph Mülli, dem stellvertretenden Fachbereichsleiter Biometrie des Forensischen Instituts Zürich, sind «Veränderungen vom Entwicklungsalter eines Kleinkindes bis zum jungen Erwachsenen hoch interindividuell, was eine allfällige Aussage über eine Identitätsübereinstimmung stark erschwert.»
Mit anderen Worten: Es gibt zumindest in diesem Alter bei der physiognomischen Entwicklung zu wenige allgemeine Gesetzmässigkeiten, um ein zuverlässiges digitales Bild der späteren Gesichtszüge zu zeichnen. «Daher erscheint mir eine einigermassen sichere Aussage nicht möglich», schreibt Mülli. In der Schweiz sei ihm kein Labor bekannt, das in der Forensik eine Alterungssoftware anwendet.
Es fehlt die Endgültigkeit
Jeannette Brodbeck ist Fachpsychologin für Psychotherapie an der Universität Bern und an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW. Die Bewältigung von Trauer, etwa nach dem Verlust eines Familienmitglieds, gehört zu ihren Spezialgebieten. «Wenn ein Kind einfach verschwindet, ist es für Eltern besonders schwierig, darüber hinwegzukommen, weil das Element der Endgültigkeit fehlt», sagt Brodbeck – jene Endgültigkeit also, mit der sie sich nach dem Tod eines Kindes konfrontiert sehen.
«Wir werden die Hoffnung nicht aufgeben.»
Die Realität des Verlustes zu akzeptieren, abzuschliessen, loszulassen – wie soll das gehen, wenn stets eine leise Hoffnung bleibt, es könnte auch alles ganz anders sein? Es gebe, führt Brodbeck aus, auch keine gesellschaftlichen Rituale, die es Angehörigen von vermissten Kindern erlaubten, ihre Trauer mit anderen zu teilen. Die Psychologin glaubt, es sei noch schwieriger, den Verlust einer geliebten Person zu akzeptieren und zu überwinden, wenn man sie dank einer Software altern lassen und mittels vermeintlich aktueller Bilder immer weitersuchen kann. «Die Alterungssoftware lässt einen verschwundenen Menschen gewissermassen virtuell weiterleben – wie sollen die Angehörigen unter diesen Umständen jemals abschliessen können?»
Nach dem negativen DNA-Test schrieben Angela Celentanos Eltern in einer Stellungnahme: «Wir werden die Hoffnung nicht aufgeben, unsere geliebte Tochter wieder umarmen zu können.»
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