Schutz der BewohnerSo bekämpfen Europas Städte den Massentourismus
Beliebte Ferienorte wie Amsterdam und Venedig gehen selbst während der Pandemie gegen Exzesse im Tourismus vor. Doch Experten sagen, das werde das Problem nur verlagern.
Die Corona-Krise hat bei vielen beliebten Reisezielen zu einem Umdenken beim Massentourismus geführt. Zwar erwies sich das Ausbleiben der Gäste aus wirtschaftlicher Sicht als katastrophal. Doch war es für die Einheimischen eine neue, meist als positiv empfundene Erfahrung. Plötzlich waren sie wieder in der Lage, «ihre» Stadt zurückzuholen und einen Rundgang durch die leeren Gassen zu machen.
Unbeliebte Besucher wie Sauftouristen waren weg. Historische Stadtzentren erholten sich von Umweltverschmutzung und wurden wieder bewohnbar.
Branchenkenner bezweifeln indes, ob die Abkehr vom Massentourismus anhalten wird. «Ferienorte mit bekannten Sehenswürdigkeiten werden auch nach der Pandemie massenhaft Touristen anziehen», sagt Christian Laesser, Tourismusprofessor an der Universität St. Gallen. «Einflussnehmer in den sozialen Medien verstärken diesen Trend mit ihren Beiträgen nur noch.»
Jürg Stettler, Tourismusprofessor an der Hochschule Luzern, sieht das ähnlich: «Wenn sich der internationale Tourismus wieder erholt, dürfte es auch in der Schweiz an immer mehr Hochfrequenzorten wie Interlaken und Luzern Kapazitätsprobleme geben.» Er hält es für denkbar, dass Schweizer Ferienorte versuchen werden, einen Andrang von Touristen mit Obergrenzen zu lösen.
So gehen Städte im Ausland und in der Schweiz gegen den Massentourismus vor:
Amsterdam
In der niederländischen Hauptstadt wehren sich die Einheimischen gegen den Massentourismus. Rund 30’000 Amsterdamer schlossen sich in einer Bürgerinitiative zusammen und forderten eine Begrenzung des Tourismus auf höchstens 12 Millionen Übernachtungen von Gästen pro Jahr.
Von der Stadt gibt es Unterstützung, allerdings nicht in dem von der Initiative gewünschten Umfang. Sie legte in einer Verordnung die Obergrenze bei 20 Millionen fest.
Demnach muss die Stadt einmal im Jahr die Zahl der Übernachtungen vorlegen. Sobald der Höchstwert überschritten wird, verpflichten sich die Behörden zum Eingreifen: Massnahmen sind eine Erhöhung der Touristensteuer und die Einschränkung der privaten Zimmervermietung über Onlinevermittlungsportale wie Airbnb.
Tourismusprofessor Laesser hält solche Eingriffe für wenig wirksam. «Die Touristen weichen für die Übernachtung aus, etwa an einen nahe gelegenen Ort wie Haarlem. Das Problem geht somit nicht weg.»
Venedig
Anfang April beschloss die italienische Regierung, Kreuzfahrschiffe aus der Lagunenstadt zu verbannen. Sie sollen nun rund 10 Kilometer entfernt im Industriehafen von Marghera anlegen.
Die Politik reagierte damit auf den zunehmenden Ärger der Venezianerinnen und Venezianer. Kreuzfahrtschiffe, die nur wenige Meter an der historischen Altstadt entfernt vorbeifuhren und die Gewässer verschmutzten, empfanden die Einheimischen als störend.
Ein weiterer Kritikpunkt: Die Schiffe brachten täglich grosse Menschenmassen in die Stadt, welche die engen Gassen zusätzlich verstopften.
Das Problem der Kurzzeitvermietungen über Airbnb will Venedig stärker angehen als zuvor. Die Stadtverwaltung verlangt von der italienischen Regierung, dass Vermieter künftig ihr Objekt nur noch 90 Tage pro Jahr anbieten dürfen.
Barcelona
Die katalanische Hauptstadt hat schon vor der Pandemie Massnahmen ergriffen, um den Massentourismus einzuschränken. Hotels und Pensionen bekommen keine Lizenzen mehr in der Innenstadt. Kurzzeitvermietungen über Internetportale sind streng reguliert.
Im Februar hat die Stadtregierung diese Regelungen nochmals verschärft. Vermieter dürfen neu nur noch Zimmer in ihrer eigenen Wohnung vermieten, wenn der Gast mindestens 30 Tage bleibt. Weiter sollen Reisebusse mit Tagestouristen etwa von der Costa Brava künftig ausserhalb der Innenstadt ankommen.
Interlaken
Gemäss der gängigen Definition ist der Ort im Berner Oberland mit 144 Übernachtungen pro Einwohner im Jahr nicht vom Massentourismus betroffen. Das wäre erst bei 200 Übernachtungen pro Einwohner der Fall.
Die Tendenz war aber bis zum Ausbruch der Pandemie steigend. Und es kam vereinzelt zu Überlastungen, etwa bei beliebten Aufenthaltsorten wie der Höhematte. Das ist ein grosser Park mit Panoramablick auf die Berge und offener Rasenfläche im Zentrum von Interlaken.
Wie bei Interlaken Tourismus zu erfahren ist, steuerte die Organisation bislang mit kleinen Eingriffen entgegen. Ein Beispiel: Überlastete Wanderrouten bewirbt sie im Internet ohne Fotos.
Luzern
In der Stadt gab es vor der Pandemie vor allem während der Hauptsaison zu Stosszeiten viel Verkehr mit Reisebussen am Eingang zur Altstadt. Um die Situation zu entschärfen, hat Luzern ein Carregime eingeführt, das die Fahrten in der Innenstadt und das Parken im Zentrum regelt. Dank einer App können die Chauffeure sehen, wo es freie Parkplätze gibt.
Weitere Massnahmen erarbeitet der bekannte Ferienort aktuell im Rahmen der «Vision Tourismus Luzern 2030». Dabei geht es auch darum, wie das Carmanagement weiterentwickelt werden kann. Erste Vorschläge sollen im Herbst vorliegen.
Dubrovnik
Die erfolgreiche Fantasyserie «Game of Thrones» sorgt im kroatischen Hafenort Dubrovnik für einen Ansturm der Filmfans. Alle wollen die Originaldrehorte der Serienstadt Königsmund sehen. Stimmen, die Massnahmen gegen den zusätzlichen Ansturm von Touristen forderten, wurden deshalb immer lauter.
Bereits durchgesetzt hat Dubrovnik eine eingeschränkte Zahl von Kreuzfahrtschiffen, die anlegen dürfen: Pro Tag sind nur noch zwei Schiffe erlaubt. In Kraft getreten ist ausserdem ein Verbot von Souvenirständen in der Altstadt. Und die Stadt erwägt, die Zahl der Sitzplätze und der Tische im Freien stärker zu begrenzen.
Prag
Die tschechische Hauptstadt hat einen Nachtbürgermeister eingesetzt. Seine Aufgabe ist es, das Nachtleben zu koordinieren. «Während der Pandemie haben wir daran gearbeitet, die Rahmenbedingungen für den Tourismus in Prag zu verbessern», sagte Bürgermeister Zdenek Hrib gegenüber der Deutschen Welle. Die Stadt habe betrügerische Wechselstuben und andere Touristenfallen geschlossen. Sie seien eine «Schande für Prag» gewesen.
Weiter sollen in Zukunft Grossanlässe ausserhalb des Stadtzentrums stattfinden und in der Nebensaison mehr Förderung erhalten. Prag will so sein Image als Reiseziel für Junggesellenpartys ablegen. So will die Stadt mehr verantwortungsvolle Touristen anlocken, die das Leben der Einheimischen respektieren.
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