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Rudolf Strahm im Interview
«Das ist ein Affront gegenüber der KMU-Wirtschaft»

Konstatiert ein Reputationsproblem der höheren Berufsbildung und spricht von einem «völlig inkompetenten Entscheid» des Ständerats: Rudolf Strahm.
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Rudolf Strahm, wie war Ihre Reaktion, als Sie erfuhren, dass der Ständerat nichts vom «Professional Bachelor» für Berufsleute wissen will?

In der Berufsbildungsszene wurde das mit Konsternation zur Kenntnis genommen. Und ich persönlich ärgerte mich über den völlig inkompetenten Entscheid. Für mich zeugt er von einer völligen Unkenntnis des Arbeitskräftemarktes und der Fachkräfte-Problematik, aber auch der internationalen Situation bezüglich der Titel. Hinter den Gegnern steht die Hochschullobby, aus standespolitischen Interessen. Die akademische Szene nimmt die höhere Berufsbildung einfach nicht wahr.

Warum hilft ein Titel gegen den Fachkräftemangel?

Übergeordnete Titel sind heute ein wichtiges Karrierekriterium. An den Universitäten gibt es neben den Berufsbezeichnungen die drei Titel Bachelor, Master und Doktorat. In der Berufslehre gibt es das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) und das Eidgenössische Berufsattest (EBA). In der höheren Berufsbildung aber gibt es 440 verschiedene Berufsbezeichnungen und keinen übergeordneten Titel. Wenn Eltern in der Berufsberatung nach den Karrieremöglichkeiten fragen, kann die Berufsberaterin das Berufsbild nennen, aber keinen eingängigen, bekannten Titel. Das ist ein Reputationsproblem.

Also drängen die Eltern ihren Nachwuchs zu einer akademischen Laufbahn, und am Ende fehlen die Berufsleute?

Genau da liegt von der individuellen Karriereplanung her betrachtet das Problem. Es gibt aber noch die Sichtweise des Arbeitsmarktes. Wissenschaftliche Studien zeigen seit Jahren, dass die begehrtesten Fachkräfte heute solche mit einer Lehre plus einer höheren Berufsbildung sind. In der Verbreitung neuer Techniken sind das die entscheidenden mittleren Kader, weil sie das Handwerk von der Pike auf kennen – und zusätzlich zur Praxis auch die Theorie. Sie sind es, die die neuen Technologien in die KMU-Wirtschaft tragen. Wir haben heute nicht mehr einen generellen Akademikermangel, wie die Hochschulen behaupten.

Sondern?

Wir haben zu wenig Ärztinnen, Ingenieure und Informatikerinnen, aber wir haben nicht zu wenig Akademiker. Der Ärztemangel in den Spitälern wird heute von einem Mangel an diplomiertem Pflegefachpersonal überlagert. Oder nehmen wir die Energiebranche: Da braucht es jetzt Fachleute, die nicht nur fähig sind, eine Montage zu bewerkstelligen, sondern auch eine Gebäudesanierung zu berechnen. All das läuft über die höhere Berufsbildung, deren Absolventinnen und Absolventen am begehrtesten sind.

«Über das Schicksal der Berufslehre wird die höhere Berufsbildung entscheiden.»

Woran liegt das?

Die Technologie verändert sich so rasch, dass man nicht alles im Studium oder in der Lehre lernen kann. Es braucht irgendwann mal Weiterbildungen während der Berufskarriere. Eine Meisterprüfung oder ein Diplom einer höheren Fachschule kann man auch noch mit 30, 40 Jahren berufsbegleitend absolvieren. Deshalb sage ich: Über das Schicksal der Berufslehre wird die höhere Berufsbildung entscheiden. Dass der Ständerat das nicht versteht, halte ich für einen Affront gegenüber der KMU-Wirtschaft.

Haben wir wirklich genügend Akademiker? Deutschland hat trotz vergleichbarem Berufsbildungssystem eine viel höhere Maturaquote.

Deutschland hat die höhere Berufsbildung mit dem «Professional Bachelor» aufgewertet. Gerade weil mehr als die Hälfte der Heranwachsenden das Abitur machen will, hat Deutschland einen Mangel an qualifiziertem Personal. Deshalb müssen deutsche Firmen ihre Produktion nach China oder nach Osteuropa verlagern. Bei uns ist die höhere Berufsbildung der Königsweg für jene, die keine Matur machen wollen. Das sind dann die mittleren Kader, an denen es am meisten mangelt. Dagegen haben viele Uniabgängerinnen und
-abgänger Mühe, eine feste Anstellung zu finden. In Deutschland ebenso wie in der Schweiz.

Immer noch?

Gemäss Hochschulabsolventenbefragung des Bundesamtes für Statistik von 2020 hat ein Jahr nach dem Uniabschluss die Hälfte noch keine feste Stelle. Fünf Jahre nach dem Diplom sind es immer noch 28 Prozent. Viele hangeln sich dann von Praktikum zu Praktikum, das ist dann die sogenannte Generation P. Bei der höheren Berufsbildung ist das nicht der Fall. Das sind heute die begehrtesten Leute.

«Dass die höhere Berufsbildung so verkannt wird, liegt vor allem daran, dass es keine übergeordneten, einprägsamen Titel gibt.»

Wozu brauchen diplomierte Berufsleute neue Titel, wenn sie so begehrt sind?

In der höheren Berufsbildung gibt es pro Jahr etwa 26’000 Abschlüsse. Dass sie so verkannt wird, liegt vor allem daran, dass es keine übergeordneten, einprägsamen Titel gibt. Hotelfachschulen schliessen sich deshalb mit einer zweitklassigen englischen Uni zusammen und bieten den Absolventen nach ein paar Monaten sogar den Bachelor an, ohne den Zusatz «Professional». Fachhochschulen und Unis bieten teure Nachdiplomkurse an, in denen auch Leute ohne entsprechende Vorbildung einen CAS, DAS oder MAS bekommen, also ein Certificate, ein Diplom oder einen Master of Advanced Studies. Dann haben sie zwar einen Titel, aber oft keinen Bezug zum Arbeitsmarkt. Im Gegensatz dazu werden die Abschlüsse der höheren Berufsbildung von der jeweiligen Branche bestimmt – und sind deshalb arbeitsmarktnah und vermitteln die neuesten Technologien.

«Ich vermute sogar, dass die Universitäten den ‹Professional Bachelor› fürchten.»

Haben Sie kein Verständnis, dass die Unis und Fachhochschulen eine Vermischung und ein Titel-Wirrwarr fürchten?

Nein, denn ein «Professional Bachelor» ist kein Bachelor. Ich vermute sogar, dass die Universitäten den «Professional Bachelor» fürchten. Denn die Professoren wissen natürlich, dass heute Fachspezialisten mit einer praktischen Vorbildung am Arbeitsmarkt begehrter sind. Und es sind die Universitäten, welche mit den Titeln CAS, MAS, DAS das grösste Wirrwarr veranstalten. Jede Uni kann anbieten, was sie will. Eidgenössische Diplome der höheren Fachschulen, die höhere Berufsprüfung oder Fachprüfung hingegen sind gesetzlich mithilfe der Branchen definiert. Ein «Professional Bachelor» wäre keine Vermischung, sondern eine Klärung der Situation.

Das Bildungs-Staatssekretariat SBFI hat angekündigt, die Einführung zu prüfen. Trauen Sie ihm das nicht zu?

Nein. Seit das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie vor einem Jahrzehnt in das neue Staatssekretariat SBFI integriert wurde, erleben wir eine permanente Benachteiligung und Abwertung der Berufsbildung beim Bund. Die derzeitige Staatssekretärin Martina Hirayama kommt von der Fachhochschule und ist eine Fehlbesetzung. Und ihr für die Berufsbildung zuständiger Stellvertreter war jahrelang gegen den «Professional Bachelor». Jetzt bekämpft er ihn zwar nicht mehr aktiv, schiebt das Thema aber immer weiter hinaus. Eine Botschaft an das Parlament soll es erst Ende nächsten Jahres geben.

«Gegenüber dem SBFI, den Professoren und Rektoren hat Bundesrat Parmelin als Winzer eine Beisshemmung.»

Stossen Sie bei Bildungsminister Guy Parmelin ebenfalls auf taube Ohren?

Man muss ihm zwar zugestehen, dass er das Problem erkannt hat und den «Professional Bachelor» unterstützt. Aber gegenüber dem SBFI, den Professoren und Rektoren hat Bundesrat Parmelin als Winzer eine Beisshemmung. Zusammen mit dem schwachen SBFI gibt das kein Gegengewicht gegen die Hochschullobby.

Haben Sie Beispiele, was das Fehlen international anerkannter Titel aus Sicht der Betroffenen bedeutet, die im Ausland arbeiten möchten?

Jede Menge. Im Hotelmanagement etwa gehört es zur Karriereplanung, dass man im Ausland Erfahrungen sammelt, bevor man ein gut situiertes Hotel in der Schweiz managt. Ich kenne zum Beispiel diplomierte Gastrofachpersonen, die sich in Doha und in Abu Dhabi in englisch geführten Hotels bewarben. Ihre Diplome wurden einfach nicht anerkannt, obwohl sie höchst qualifiziert waren. Das ist einfach tragisch.

Betrifft das nur die Hotellerie?

In internationalen Berufen wie Informatik, Gebäudetechnik, internationale Logistik oder Automation besteht das gleiche Problem. Ein Mechatroniker zum Beispiel bekommt nach der Weiterbildung an einer höheren Fachschule ein «Advanced Federal Diploma of Higher Education». Das heisst alles oder nichts, in England kann jede Schule von sich behaupten, sie biete «higher education» an. «Professional Bachelor» darf er sich aber nach Schweizer Recht nicht nennen. Diese Leute sind wirklich benachteiligt.

Gilt das auch für Stellenbewerbungen im Inland?

Im Gewerbe gibt es diese Benachteiligung nicht, bei internationalen Konzernen aber sehr wohl. Personalchefs sind häufig Leute, die unser System nicht kennen. Mir ist zum Beispiel ein grosser Versicherungskonzern bekannt, der nur Bachelors nimmt. Dabei gibt es bei uns hoch qualifizierte Controller und Rechnungsprüfer mit höheren Berufsabschlüssen.

Schweizer Berufsleute haben zwar keine verständlichen Titel, gehören aber international zu den besten: Die Goldmedaillengewinner am 5. Wettkampftag an den Worldskills 2017 in Abu Dhabi.