Barça-Heilsbringer XaviSchlägt er ein wie Guardiola – oder scheitert er wie Pirlo?
Vor ausverkauftem Haus wird Xavi als neuer Barcelona-Coach vorgestellt. Er weiss um den «bestialischen» Druck, der auf ihm laste, verspricht aber eine Rückkehr zur Club-DNA.
Welche Erwartungen Xavi Hernández als neuer Trainer in der katalanischen Hauptstadt weckt, konnte man bereits am Montagmorgen kalibrieren. 10'500 Karten hatte der FC Barcelona für Xavis Präsentation zur Verfügung gestellt – die Clublegende war der erste Trainer der Vereinsgeschichte, der im Stadion vorgestellt wurde. Ein Augenzwinkern dauerte es nur, schon waren die Karten vergriffen.
Xavi, der im dunklen Anzug und mit weissem Hemd erschien, ergriff das Mikrofon und sagte, dass er liebend gern seine Gefühle verbergen würde. «Aber ich bin gerührt. Ich habe Gänsehaut.» Dann unterschrieb er einen Vertrag bis 2024, im Wissen, dass er so viel Zeit hat wie der milliardenschwer verschuldete Club Geld. Barça ist Tabellenneunter der spanischen Liga, mit elf Punkten Rückstand auf Tabellenführer San Sebastián. «Der Druck ist bestialisch», sagte Xavi. «Das ist der schwierigste Moment der Clubgeschichte», meinte er auch. Doch er lächelte.
Angebot der Seleção ausgeschlagen
Er unternahm auch nichts, um den Druck zu verringern. Im Gegenteil. «Wir sind der beste Club der Welt, und wir werden bei unserer Arbeit höchste Anforderungen stellen», erklärte er. «Barça darf sich nicht erlauben, Unentschieden zu spielen oder zu verlieren. Es geht darum, alle Spiele zu gewinnen. Visca el Barça i visca Catalunya!» Es lebe Barça, es lebe Katalonien. Und die Menge jubelte, als wäre ein Titel gewonnen worden.
Welch einen Stellenwert der Job für ihn hat, stellte Xavi selbst klar, als er versicherte, eine Anstellung als brasilianischer Nationaltrainer abgelehnt zu haben. Er wäre der erste nichtbrasilianische Coach der Seleção überhaupt geworden. Trainer Tite hatte ihm angeboten, schon jetzt Teil des Trainerstabs zu werden, «nach der Weltmeisterschaft in Katar hätte ich die Mannschaft übernommen», verriet Xavi. «Aber mein Traum war Barça.»
Er habe längst alle Tage bis zu seinem Debüt als Trainer durchgeplant, sagte er, das heisst: vom ersten Arbeitstag auf dem Trainingsplatz, der am Dienstag um 11 Uhr anstand, bis zum Debüt am 20. November gegen den Ortsrivalen Espanyol im Camp Nou. «Anstrengung», «Opferbereitschaft», «Haltung», «Arbeit», «Normen» und «Ordnung» waren die Worte, die er in seiner Regierungserklärung immer und immer wieder in den Mund nahm, er artikulierte sie viel häufiger als Termini, die die DNA des FC Barcelona und eben seiner Gurus Johan Cruyff oder Pep Guardiola geprägt haben.
«Dies ist der schwierigste Club der Welt, weil man nicht nur gewinnen, sondern auch gut spielen und überzeugen muss.»
Obschon er fussballerisch genau dorthin zurückwill: Barcelona werde unter seiner Ägide ein klares Positionsspiel haben, hoch pressen, den Ball möglichst im gegnerischen Feld erobern, die Flanken besetzen, aggressiv und intensiv sein, «ich enthülle da nichts Neues», sagte Xavi. Aber, wie gesagt: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Wie unter Guardiola, «der war diesbezüglich ein Meister».
Gleichwohl: Es gehe nicht darum, Härte zu zeigen, stellte Xavi klar. Sondern darum, dass Regeln befolgt werden und intensiv trainiert wird. Was so klang wie: intensiver als in den vergangenen Jahren, zum Beispiel unter seinem Vorgänger Ronald Koeman. Erst danach komme die Inspiration, die auch notwendig sei. «Dies ist der schwierigste Club der Welt, weil man nicht nur gewinnen, sondern auch gut spielen und überzeugen muss: Ein 1:0 in letzter Minute ist hier nicht genug.» Er paraphrasierte allerdings auch Luis Aragonés, Spaniens Europameister von 2008: «Barça ist siegen, siegen und nochmal siegen.»
Es gebe Spieler, die darob Druck verspüren würden, er selbst habe ihn auch erlebt: Xavi war 17 Saisons lang Profi beim FC Barcelona. Diesen Spielern wolle er helfen, gerade den jungen, «wir haben sehr viele und sehr gute, die nach oben drängen. Sehr viele», sagt er. Zum Beispiel Ansu Fati, Gavi, Nico oder Pedri. Aber es gibt auch solche Spieler, die in Ungnade gefallen sind, weil sie teuer in der Anschaffung waren und extrem viel Geld im Unterhalt verbrennen. Auch sie würden bei Null starten, sagte Xavi.
Das gelte auch für den Dauerverletzten Ousmane Dembélé. «Gut bearbeitet kann er der beste Fussballer der Welt auf seiner Position sein. Er bringt spektakuläre Voraussetzungen mit. Aber: Es ist sehr wichtig, dass er Siegermentalität und Leistung zeigt. Für mich ist seine Vertragsverlängerung, Stand heute, eine Priorität.» Danach kam schon die Stunde der Bestätigung der offenen Geheimnisse der jüngeren Vergangenheit.
Messi zu Scherzen aufgelegt
In den vergangenen Jahren habe er dem FC Barcelona zweimal abgesagt. Er habe sich nicht gerüstet genug gefühlt – jetzt aber sei er bereit, die grösste Herausforderung seiner Karriere zu anzunehmen. Er verliess dafür den katarischen Club al-Sadd, es floss eine millionenschwere Ablöse. Energisch widersprach Xavi den Gerüchten, wonach er einst abgesagt hatte, weil er den mittlerweile zu Paris Saint-Germain abgewanderten Lionel Messi nicht trainieren wollte. Das Gegenteil sei der Fall. Messi sei der beste Spieler der Geschichte, sein Abgang im Sommer bedauerlich, aber es helfe nichts: «Er steht uns nicht mehr zur Verfügung.» Der Kontakt zu Messi sei intakt. «Er hat ein SMS geschickt und mir viel Glück gewünscht. Und Scherze gemacht – er macht gern Scherze.»
Man darf fast drauf wetten, dass ein Jux von Xavis Umgang mit den heiligen Kühen des FC Barcelona handelte – um die Anführer Piqué, Busquets, Sergi Roberto und Jordi Alba. «Von ihnen werde ich mehr verlangen als von den anderen», betonte Xavi – und auch auf sie zurückgreifen, um die Mannschaft zu führen. Zu den wichtigsten Referenzgrössen zählt er auch den deutschen Goalie Marc-André ter Stegen, mit dem Xavi noch den vierten (und letzten) Champions-League-Titel holte und auf den er grosse Stücke hält. «Piqué, Busi, Alba, ter Stegen und Sergi Roberto müssen den Laden schmeissen. Sie werden noch mehr Macht in der Kabine haben.» Es ist eine Kabine, die kaum jemand besser kennt als er.
Es gibt Beispiele von Clublegenden, die bei ihren Vereinen scheiterten. Frank Lampard war so ein Fall bei Chelsea, Andrea Pirlo bei Juventus, und Ole Gunnar Solksjaer kann als Trainer von Manchester United auch nichts damit anfangen, dass er 1999 den FC Bayern in Barcelona vom Königsklassenthron schoss. «Ich hoffe, am Ende in der Gruppe von Pep (Guardiola), Zidane und Co. zu sein, nicht bei den anderen», sagte Xavi und lachte – als wäre ihm erst klar geworden, in welche Reihe er sich da gestellt hatte, als er seine eigenen Worte hörte.
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