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Boeings Kritik am Airbus A321XLR
Das «ideale Post-Corona-Flugzeug» oder eine Gefahr für Passagiere?

Mit diesem Bild hat Airbus den A321XLR vorgestellt, das Mittelstreckenflugzeug könnte vor allem zwischen Europa und den USA eingesetzt werden.
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Für den europäischen Flugzeugbauer Airbus ist der A321XLR das ideale «Post-Corona-Flugzeug», für den US-Konkurrenten Boeing ist die Maschine allerdings ein Sicherheitsrisiko. Die Amerikaner kommen selber kaum aus den Negativschlagzeilen heraus – nach dem Grounding der Boeing 737MAX gibt es nun Triebwerksprobleme bei der Boeing 777 –, kritisieren den grössten Mitbewerber im Mark nun aber öffentlich scharf.

Das Haar in der Suppe hat Boeing im neuen Tank des A321XLR gefunden. Damit diese Mittelstreckenmaschine eine erweiterte Reichweite (Extra Long Range, XLR) erhält, will Airbus einen Teil des Frachtraums umbauen, direkt unter den Füssen der Passagiere, um mehr Kerosin mitnehmen zu können. So soll das Flugzeug bis zu 8700 Kilometer weit fliegen können und damit zahlreiche Verbindungen zwischen der US-Ostküste und Europa schaffen. Für diese Strecken benötigen die Airlines derzeit eine grössere Langstreckenmaschine, die oft über 300 Passagieren Platz bietet, mehr Treibstoff frisst und weniger kosteneffizient ist.

Gerade in der Zeit nach der Corona-Pandemie wird es schwierig sein, diese grossen Flugzeuge zu füllen. Das könnte positiv sein für Passagiere, die weniger Sitznachbarn haben, wird aber eher dazu führen, dass Strecken gar nicht angeboten werden, wenn zu wenig Interesse dafür besteht. Hier will Airbus mit seinem 321XLR einspringen und den Airlines ein Flugzeug anbieten, das auch bei geringerer Nachfrage eine Verbindung gewinnbringend fliegen kann. So können die Firmen einerseits Strecken wieder langsam aufbauen und andererseits Verbindungen anbieten, die sich bislang aufgrund fehlender Passagiere nicht gelohnt haben.

Langstreckentrend: Kleinere Flugzeuge

In der Luftfahrt der Zukunft werde es mehr Punkt-zu-Punkt-Verbindungen ohne Umsteigen geben, ist Airbus überzeugt. Das Hub-System, wie es in Zürich betrieben wird, wo Passagiere von anderen Flughäfen anreisen, um die Langstreckenmaschinen füllen zu können, sei nicht mehr gefragt, da Reisen möglichst kurz sein sollten. Nachdem die Flugzeuge eine Zeit lang immer grösser und grösser wurden, Stichwort Superjumbo A380, soll es nun also auf der Langstrecke wieder in die andere Richtung gehen. Tatsächlich sind die doppelstöckigen Boeing 747 und der A380 bereits bei vielen Airlines aussortiert worden oder kommen nach Corona wohl nie mehr zum Einsatz.

Grössere Reichweite, weniger Treibstoffverbrauch und weniger Platz, der gefüllt werden muss: So wirbt Airbus für sein «Post-Corona-Flugzeug».

Für Boeing ist diese neue Ausgangslage ein gröberes Problem, denn die Firma hat für den Post-Corona-Bedarf kein passendes Flugzeugmodell im Angebot. Und dies, obwohl die Amerikaner eigentlich Vorreiter in diesem Bereich waren, ihr genau darauf ausgerichtetes Modell B757 war Ende des 20. Jahrhunderts ein Hit, auch die Schweizer Belair flog damit längere Strecken. Heute sind B757 noch in den USA und China teilweise im Einsatz, die meisten als Frachtmaschinen. Das schmalrumpfige Flugzeug mit einem Mittelgang wurde 2005 letztmals gebaut, ist nun in die Jahre gekommen, und eine aktualisierte Variante gibt es nicht. Boeing hat sich auf die 737MAX und die neuen 777X oder den Dreamliner 787 fokussiert, die beiden letzteren sind «wide bodies» mit zwei Mittelgängen.

US-Airlines bestellen in Europa

Während die Amerikaner sich mit dem MAX-Debakel rumschlugen, hat Airbus mit dem 321XLR schon 2019 ein Produkt vorgestellt, das nach der Pandemie sogar noch sinnvoller sein könnte als vor der Pandemie. 24 Fluggesellschaften haben bereits über 450 Maschinen vorbestellt, die grössten Abnehmer sind American Airlines, United Airlines, Qantas, aber auch die Billigairline Air Asia X, die in Asien ausschliesslich Langstreckenflüge anbietet, oder Jetblue, ein US-Billigflieger, der mit Flügen nach Europa liebäugelt.

Insbesondere die Grossbestellungen der US-Airlines American und United dürften Boeing geschmerzt haben. Der amerikanische Flugzeugbauer hat sich deshalb die Pläne des europäischen Konkurrenten genau angeschaut und weist nun auf gravierende Sicherheitsmängel des Zusatztanks hin. Dieser Rear Centre Tank wird im Frachtraum hinter dem Fahrwerkschacht eingebaut und fasst knapp 13’000 Liter Treibstoff. Und dies genau unter den Füssen der Passagiere, kritisiert Boeing.

Ein Feuer könnte den Tank von aussen beschädigen, dieser könnte sich daraufhin erhitzen und explodieren, schreibt der US-Konkurrent zu einer Überprüfung der europäischen Luftfahrtbehörde Easa. Ein Risiko bestehe auch, wenn das Flugzeug beispielsweise bei der Landung von der Piste abkomme und das Fahrwerk breche – der Zusatztank befindet sich genau dahinter.

Kalte Füsse für die Passagiere

Die Boeing-Kritik ist berechtigt, dies zeigen die Kommentare der Easa, die dieselben Bedenken hat und mögliche Folgen noch prüft. Wenn der Tank nicht ausreichend geschützt ist, könnte die Gefahr bestehen, dass die Passagiere nicht genug Zeit haben, um bei einem Brand das Flugzeug zu verlassen. Die Easa bemängelte schon zuvor, dass der Kabinenboden über dem Tank und unter den Füssen der Passagiere kalt werden könnte. Mit einer zusätzlichen Isolation könnten dann auch gleich die Sicherheitsprobleme behoben werden.

Dass Boeing beim Konkurrent ganz genau hinschaut, ist grundsätzlich bekannt, das öffentliche Fingerzeigen auf Sicherheitsprobleme des Mitbewerbers zeigt in diesem Fall aber vor allem, wie verzweifelt die Amerikaner sind. Für sie geht es nun um viel, denn die Flugzeugbauer aus Seattle stehen mit dem Rücken zur Wand, wenn sie selbst die Airlines aus dem eigenen Land verlieren und gegen den A321XLR nichts zu bieten haben. Auch die dritte grosse Airline, Delta, muss für ihre grosse B757-Flotte langsam Ersatz suchen und dürfte dafür eher nach Europa als nach Seattle reisen.

Kommt Boeing nun mit der 757-Plus?

Die genauere Prüfung und Überarbeitung der Airbus-Zusatztanks könnte Boeing nun Zeit verschaffen. Airbus könnte zwar eine Isolation zwischen Tank und Kabine einbauen, damit die Passagiere keine kalten Füsse bekommen, für die Beseitigung der Sicherheitsbedenken reicht dies aber nicht, da müssen die Ingenieure in Toulouse nochmals über die Bücher. Die Auslieferung der XLR-Flugzeuge könnte sich damit auf 2024 oder später verschieben. Airlines werden nun wohl warten, um weitere Maschinen zu bestellen, das gibt Boeing Zeit, um sein eigenes Projekt voranzutreiben und zu bewerben.

Gerade in den Startlöchern stehen die Amerikaner dabei aber nicht. Boeing plante in den letzten Jahren unter dem Namen New Midsize Airplane zwar ein neues Modell auf Basis der früher ebenfalls erfolgreichen Boeing 767, das Programm wurde aber letztes Jahr fallen gelassen, als die Pandemie und die 737MAX-Probleme die Amerikaner beschäftigten. Stattdessen soll nun doch die Boeing 757 neu erfunden werden. Derzeit als 757-Plus bekannt, soll das Modell die direkte Antwort auf den Airbus A321XLR werden, noch steht aber in den Sternen, wann dies so weit sein wird.

Mit den Sicherheitsproblemen beim Zusatztank des 321XLR hat Boeing nun etwas Zeit gewonnen. Das alte Modell 757 einfach wieder aus der Schublade zu holen, geht nach Ansicht von Experten aber nicht, zu weit habe sich die Luftfahrt seit den 80er-Jahren entwickelt. Es bräuchte eine grundlegende Erneuerung des einstigen Verkaufshits. Und dafür läuft den Amerikanern dann doch langsam die Zeit davon.

Auswirkungen für Passagiere

Die Aussicht auf Interkontinentalflüge in einem Mittelstreckenflugzeug dürfte nicht allen Passagieren behagen. Im Airbus A321XLR wird es wie üblich zwei 3er-Reihen an Sitzen in der Economy-Klasse haben, wie diese ausgestattet werden, müssen die jeweiligen Airlines entscheiden. Das gilt auch für den Sitzabstand. Experten gehen davon aus, dass dieser an Langstrecken angepasst und somit gegenüber dem A321-Standard vergrössert wird. Spezielle Druck- und Befeuchtungssysteme wie beim Airbus A350 – sie sollen das Reisen angenehmer machen und den Jetlag verringern – wird es nicht geben, wie viel diese wirklich nützen, ist aber ohnehin umstritten.

Nur ein Mittelgang bedeutet aber auch, weniger Platz um sich die Beine zu vertreten, weniger Toiletten und diese sind auch nicht rollstuhlgängig, wie Behindertenorganisationen monieren. Hier müssen sich die Hersteller und Fluggesellschaften noch etwas einfallen lassen. Ob Interkontinentalpassagiere eine längere Reise in einem Schmalrumpfflugzeug buchen wollen, dürfte auch auf den angebotenen Komfort ankommen. Wobei vor der Coronakrise selbst die rudimentärsten Billigflieger ihre Maschine vollgekriegt haben, wenn der Preis tief genug war.

Nicht zuletzt ist ein A321 auf der Langstrecke auch für die Crew eine Herausforderung. Es gibt darin keine speziellen Ausruhezonen für sie, die Bordküche ist enger, im einzigen Gang werden oft Passagiere im Weg stehen. Die Wünsche der Crew werden aber für die Fluggesellschaften eher eine untergeordnete Rolle beim Bestellprozess von neuen Maschinen spielen.