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Gastbeitrag zur Asylpolitik
Das hässliche Gesicht der Schweiz

Sollen die afghanischen Flüchtlinge wirklich hierhin zurück? Kämpfer der Taliban in Kabul. 
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Der Afghane Dawud H. wurde am 27. August wegen illegalen Aufenthalts mit 620 Franken gebüsst. Der nie straffällig gewordene Mann lebt seit sechs Jahren hier, seit zwei Jahren von Nothilfe. Ihm ergeht es wie 150 weiteren afghanischen Nothilfebeziehenden, die nicht in ein Land zurückkehren, das seit Jahren zu den gefährlichsten der Welt gehört.

Jetzt wurde der 24-Jährige als sogenannter regulär Illegaler mit einer Busse für sein Dasein in der Schweiz bestraft, notabene zwei Wochen nach dem Fall von Kabul. Die zuständige Sicherheitsdirektion des Kantons Bern äusserte sich im August zur Frage der Entkriminalisierung des illegalen Aufenthalts bei Asylsuchenden, dass dies eine bundesrechtliche Angelegenheit sei. Gesundes Augenmass wäre aber auch eine kantonale Verantwortung, denn Gesetze lassen einen Interpretationsspielraum zu, wenn sich Verhältnisse dramatisch verändern.

Eigentlich wäre es längst an der Zeit, den abgewiesenen Asylsuchenden aus Afghanistan aufgrund der Unmöglichkeit der Rückführung eine humanitäre Aufnahme zu gewähren. Auf Nachfrage will das zuständige Staatssekretariat für Migration aber einmal abwarten. Hat es das Gefühl, dass die Taliban demnächst rechtsstaatliche Strukturen in ihrem Land einrichten?

Die Lehre musste er abbrechen

Aber damit nicht genug: Dawud gehört zu den sogenannten Ausbildungsabbrechern. Er musste nach jahrelangem Asylverfahren einen Negativentscheid hinnehmen und Ende 2019 zum grossen Leidwesen seines Lehrmeisters seine Ausbildung beenden. Der Nationalrat hatte vor nicht langer Zeit entschieden, dass es auch abgewiesenen Asylsuchenden möglich sein sollte, ihre Lehre abzuschliessen. Aber der Ständerat kippte diesen Entscheid im Frühjahr wieder.

Das Staatssekretariat für Migration hatte das Parlament dahingehend informiert, dass bloss Einzelfälle von dieser Situation betroffen seien. Ein überaus fahrlässiger Umgang mit der Wahrheit: Wenn nur Jugendliche im Fokus stehen, sind es wenige. Wenn aber alle in Ausbildung stehenden Asylsuchenden berücksichtigt werden, auch solche über zwanzig, sind es Hunderte von Fällen.

Wer soll es verstehen, dass unser Staat Menschen daran hindert, eine Ausbildung zu beenden? Bildung ist eine der nachhaltigsten Möglichkeiten, Entwicklungshilfe zu leisten. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber es scheint, dass in vielen Amtsstuben bei Asylthemen nur noch kalter Legalismus herrscht.

Angst als ständige Begleiterin

Einem lernbereiten Menschen, ganz unabhängig von seinem Status, den Abschluss des Bildungswegs zu verunmöglichen, ist von aussen in keiner Weise nachvollziehbar. Das Parlament hat in einer Neuauflage der Frage der Lehrabbrüche die Möglichkeit, diesen fatalen Entscheid zu korrigieren.

Seit er in der Schweiz ist, ist Dawuds ständige Begleiterin die Angst. Er kann nicht nach Afghanistan zurück, darf aber auch nicht in der Schweiz sein. Er hat keine Möglichkeit, sich auszubilden, und darf nichts arbeiten. Er erhält zu wenig Geld zum Leben. Und nun muss er mit einem Gefängnisaufenthalt rechnen.

Sein Vergehen ist: zu existieren. Sein Schicksal ist: in einem Land zu leben, das abgewiesenen Asylsuchenden jeden Rest von Würde nimmt. Ihm geht es wie Tausenden anderen Nothilfe-Langzeitbeziehenden mit erschwerten Rückkehrbedingungen.

Daniel Winkler ist reformierter Pfarrer in Riggisberg BE. Seit 2014 setzt er sich
für Flüchtlinge ein. Er ist Mitglied der Aktionsgruppe Nothilfe – Sackgasse Langzeitnothilfe.