Digitalisierung der PharmaindustrieRoche baut das Geschäft mit dem Handel von Patientendaten aus
Der Basler Pharmakonzern hat die Nase vorn beim Geschäftsfeld der Zukunft: Sammeln und Analyse von Patientinnendaten. Roche will dies zu einem neuen Standbein ausbauen.
Roche baut sich ein neues Standbein auf: Neben dem Pharma- und Diagnostikgeschäft, in denen der Basler Pharmariese weltweit führend ist, folgen nun die Datenanalyse und der Handel mit Daten. «Wir müssen heute die Weichen für die Zukunft stellen», sagte Verwaltungsratspräsident Christoph Franz an einer Feier zum 125-Jahr-Jubiläum der Firma. Was er nicht explizit sagte: Die Zukunft liegt in der Pharmaindustrie im Zugriff auf grosse Mengen von Patientinnendaten.
«In vielleicht zehn Jahren wird das unser neues Standbein sein», sagt Roche-Chef Severin Schwan dieser Zeitung. Der Konzern verkauft seine Analysen aus riesigen Datensätzen von Krebskliniken in den USA schon jetzt an die Konkurrenz. «Auf unserer Kundenliste stehen alle Firmen dieser Welt, die nach neuen Krebsmedikamenten forschen», erklärt Schwan.
«In vielleicht zehn Jahren wird das unser neues Standbein sein.»
Auch Roche selbst nutzt die aus den Patientinnen- und Patientendaten gewonnenen Erkenntnisse für die eigene Forschung. Die riesigen Datenmengen sind anonymisiert und aggregiert, sodass keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind.
Wie Schwan erklärt, sind die Forschenden bei Roche ständig dabei, auf Basis der bestehenden Patientendaten Ideen für neue Therapieansätze zu entwickeln. Ob diese dann funktionieren, wird anschliessend anhand neuer Studien geprüft.
«Roche ist hier Vorreiterin in der Branche», sagt der unabhängige Pharma-Analyst Michael Nawrath. Sinn der Nutzung von Patientendaten sei, die Forschung zu verbessern und zu beschleunigen.
Pharmaindustrie erlangt Einsicht in Alltagsdaten
Zum ersten Mal gewinnt die Pharmaindustrie Zugriff auf Behandlungsdaten aus der realen Welt – bislang hatte sie nur Einsicht in die Daten der ausgewählten Probanden, die an den klinischen Studien der Firmen teilnehmen. Schweizer Patientinnen und Patienten werden bei den Real World Data nicht erfasst. Denn die hiesigen Gesetze erlauben das nicht. Auch liegt kein Standard für die Erfassung vor, die zersplitterte Datenerhebung erlaubt eine Auswertung grösserer Datensätze gar nicht, was Schwan regelmässig öffentlich beklagt.
Eingestiegen in das Datengeschäft ist Roche 2018. Damals kaufte der Konzern für 1,9 Milliarden Dollar das US-Start-up Flatiron Health, das auf die Sammlung und Auswertung von Behandlungsdaten von Krebspatientinnen und -patienten in den USA spezialisiert ist. Im gleichen Jahr hatte Roche 2,4 Milliarden Dollar für die Komplettübernahme des Diagnostikunternehmens Foundation Medicine bezahlt; das Unternehmen analysiert den Gen-Code von Krebstumoren.
500 Millionen Umsatz
Beide Firmen bringen es im Moment pro Jahr auf etwas mehr als 500 Millionen Dollar Umsatz, «und machen noch substanzielle Verluste», wie Schwan im Gespräch einräumt. Denn die Analyse der Daten sei bislang noch teurer als die Einnahmen aus deren Verkauf. Das soll sich aber ändern.
Ziel von Roche ist dabei auch, die riesigen Datenmengen als Vergleichsmassstab für klinische Studien für neue Medikamente zu verwenden. «Dies ist bei neuen Therapien für seltene Krankheiten bereits der Fall», erklärt Schwan. Da es in diesem Bereich sehr schwierig sei, Probanden zu finden, erlauben die Behörden hier bereits, Datensätze über Behandlungen mit dem bisherigen Medikament zu verwenden und diese Daten dann mit den klinischen Studienergebnissen des neuen Produkts zu vergleichen. «Roche geht es bei der Arbeit mit Real World Data vor allem darum, gemeinsam mit den Zulassungsbehörden Industriestandards zu erarbeiten», sagt Pharmaspezialist Stefan Schneider von der Bank Vontobel.
«Um neue Standards zu setzen, hilft es, offen zu sein – auch daher verkauft Roche die Datensätze an andere Pharmafirmen.»
«Um neue Standards zu setzen, hilft es, offen zu sein – auch daher verkauft Roche die Datensätze an andere Pharmafirmen», so Schneider weiter. Das Problem besteht darin, dass es bisher keine einheitlichen Verfahren gibt, wie diese Real World Data bei einem Zulassungsprozess einfliessen können. Daher hatte die Roche-Tochter Flatiron im Mai mit vier anderen Datenanalysefirmen in den USA ein Konsortium gebildet, um mit der US-Zulassungsbehörde FDA und dem Parlament diese Standards zu entwickeln.
Fehler gefunden?Jetzt melden.