Der Wiederbeginn der Bundesliga«Das Experiment Bundesliga spielt jede Woche auf Bewährung»
Seit Samstagnachmittag um 15.30 Uhr hat Deutschland den Fussball mit Geisterspielen zurück – der bayerische Ministerpräsident und Fussballfan Markus Söder sagt, es sei viel besser gelaufen als gedacht.
Eisern Union: Chancenlos gegen die Bayern
Nina Hagen kommt ab Band, wenigstens das ist normal in der Alten Försterei, dem Stadion in Köpenick und der Heimat von Eisern Union. Sie singt: «Wir aus dem Osten geh’n immer nach vorn / Schulter an Schulter für Eisern Union / Hart sind die Zeiten und hart ist das Team / Darum siegen wir mit Eisern Union.»
Das Stadion wäre eine Festhütte, wenn es ein normaler Sonntag wäre. Der FC Bayern ist da, erstmals in der 57-jährigen Geschichte der Bundesliga: Bayern, das Sinnbild für Kapitalismus, zu Gast bei dem Club, der sich noch immer als sein Gegenentwurf versteht. Die Försterei ist leer, Geisterspiel auch hier, wie überall in Deutschlands zwei Profiligen. Auch der Zürcher Urs Fischer fehlt, Unions Trainer hat seinen Schwiegervater verloren.
Union zeigt sich eisern in der Abwehr und hilflos in der Offensive, die Bayern haben zeitweise 75 Prozent Ballbesitz. «Ohne Zuschauer fühlt sich ein Spiel länger an», sagt Bayern-Goalie Manuel Neuer. Lewandowski verwertet einen Elfmeter, Pavard trifft nach einem Eckball. Die Bayern gewinnen ein faires Spiel 2:0 und führen die Tabelle mit vier Punkten vor Dortmund an. In acht Tagen treffen sie auswärts auf die Borussia.
Die Bedeutung: Ein Experiment auf Bewährung
Für Fredi Bobic, den Sportvorstand von Eintracht Frankfurt, ist dieser Samstag nicht einfach ein Samstag. Im Gegenteil, er wählt gleich die grossen Worte: «Das ist ein historischer Tag. Die ganze Welt schaut auf Deutschland.» Alle möchten wissen, ob das mit dem Schutzkonzept funktioniere.
Aus England twittert BBC-Moderator Gary Lineker, inspiriert vom «Sound of Silence» von Simon & Garfunkel: «Hallo Fussball, alter Freund, bin gekommen, um dich wiederzusehen. Mit dem Klang der Stille.» TV-Sender Sky meldet für den Samstag Rekordquoten: 60 Prozent Marktanteil, über 6 Millionen am Fernseher.
Ohne Corona wäre am Samstag die Bundesliga zu Ende gegangen, wegen Corona nimmt sie das Programm mit der 26. Runde auf. Vor zwei Wochen hätte er noch grössere Befürchtungen gehabt, ob das klappen könne, sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Sonntagmorgen, als er bei Sport1 in der Sendung «Doppelpass» sitzt. Söder hat den Wiederbeginn der Bundesliga vehement befürwortet, jetzt wird er gefragt, ob Spiele ohne Zuschauer gruselig oder gespenstisch seien. «Keines von beidem», sagt er, «es ist viel besser als gedacht. Das Experiment ist gelungen. Das hat mir den Samstag eher verschönert.»
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Nur ist Söder Politiker genug, der auch warnt und nichts versprechen mag. Wann wieder vor Zuschauern gespielt wird? «Das kann ich nicht sagen. Mit Corona können wir keinen Deal machen. Solange es dagegen keinen Impfstoff gibt, bleibt es eine echte Herausforderung. Das Experiment Bundesliga spielt jede Woche auf Bewährung.»
Acht Runden stehen noch bevor. Die Vereine diskutieren zur Sicherheit, wie im Fall eines Abbruchs die Saison gewertet wird und ob überhaupt. Wenigstens Söder hat eine klare Meinung: «Es braucht einen Meister und Absteiger. Sonst macht es keinen Sinn.»
Der Jubel: Nachschärfen
Ganz viele Vorschriften werden erlassen, es gibt auch die Empfehlung, zurückhaltend zu jubeln, also auf Umarmungen zu verzichten. Vedad Ibisevic kümmert das nicht. Der 35-jährige Stürmer erzielt bei Hertha Berlins 3:0 in Hoffenheim den zweiten Treffer und feiert, als wäre die Welt nie aus den Fugen geraten. «Emotionen kann man nicht verstecken», rechtfertigt er sich, «ich fragte unseren Doktor vorher, ob das Tor zählt, wenn man jubelt wie immer.»
Bayerns Ministerpräsident Söder sagt: «Ich fand das nicht gut. Die Liga wird ihre Empfehlung bezüglich Jubel klarer formulieren.» Er spricht von «nachschärfen für die nächste Woche». Weil für ihn die Fussballer mit vorbildlichem Verhalten beweisen müssen, dass der Betrieb zu Recht wieder aufgenommen worden ist: «Da ist es wichtig, welche Signale ausgesendet werden.»
Es geht ja auch bei diesen aussergewöhnlichen Rahmenbedingungen anders, dezenter. Die Dortmunder machen das bei ihrem souveränen Derbysieg gegen Schalke gleich viermal vor. Und Freiburgs Trainer Christian Streich findet den pragmatisch-humorvollen Ansatz. Bevor es nach Leipzig geht, sagt er: «Dann jubeln wir halt nicht. Hoffentlich dürfen wir dreimal nicht jubeln, denn dann haben wir drei Tore geschossen.» Ein 1:1 resultiert schliesslich, einmal Nichtjubel also, und der sieht so aus: Unterarm an Unterarm.
Dem Schweizer Nationalspieler Renato Steffen gelingt bei Wolfsburgs 2:1 in Augsburg ein wunderbarer Kopfballtreffer. Vorher schon hat er sich Gedanken gemacht: «Wie würde ich jubeln, wenn ich ein Tor erzielen würde?» Nach seinem 1:0 freut er sich zwar, «aber es fühlt sich anders an als sonst, eher wie nach einem Treffer im Training, wenn man sich sagt: Und weiter gehts. Von einer Gefühlsexplosion kann man nicht reden.»
Für ihn ist klar, dass er keine Anweisung missachten darf. «Wir wissen, was wir befolgen müssen, um überhaupt wieder spielen zu können», sagt er, «ja, es sind Emotionen im Spiel. Aber die müssen wir unter Kontrolle haben, weil es gerade jetzt auch um die Aussendarstellung des Fussballs geht. Alles, was wir tun, wird sehr aufmerksam beobachtet.» Darum hält er etwa die Diskussion, wann und wo eine Maske getragen werden muss, für überflüssig: «Am besten, man hält sich an die Regeln. Dann entsteht keine Aufregung.»
Die Stimmung: Wie bei den Junioren
Am 25. Spieltag füllen 363’043 Menschen neun Bundesliga-Stadien. Das ist Anfang März. Die offizielle Zuschauerzahl in der 26. Runde: 0. «Die Spieler müssen sich darauf einstellen, dass der Rahmen sein wird wie damals, als sie als Junioren anfingen – und ihnen niemand dabei zuschaute», sagt Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke unter der Woche.
Vor den Stadien bleiben Massenaufläufe aus, was Watzke nicht erstaunt. Befürchtungen hat er nicht nachvollziehen können: «Das sind nur Phantomdiskussionen von irgendwelchen Politikern aus der zweiten und dritten Reihe, die so Stimmung machen wollen.»
In nordrhein-westfälischen Recklinghausen kommt es zu einem Public Viewing – im Autokino. Dortmund- und Schalke-Anhänger verfolgen das Derby mit gebührendem Abstand. Die Ultras von Fortuna Düsseldorf erklären dagegen: «Mit der Wiederaufnahme des Spieltags ist die Saison für uns beendet. Auch wenn uns bewusst ist, dass die Konsequenz aus dieser Entscheidung härter ist, als es sich hier liest: Für uns hat die Saison unter den momentanen Umständen keinen Wert.»
Für Renato Steffen geht die Saison mit Wolfsburg weiter. Natürlich hätte er lieber Zuschauer. Aber immerhin kann er nun wieder seinem Beruf nachgehen. Sein Fazit des Starts: «Trotz aller Einschränkungen und Besonderheiten: Für den Fussball war es ein gutes Wochenende.»
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