Hotel des JahresDas Wunder von St. Moritz
Vor zwanzig Jahren war Badrutt’s Palace in St. Moritz gefährlich in Schieflage geraten. Dann kam Hans Wiedemann und schuf Wundersames. Nun ist der Engadiner Märchenpalast mit der grossen Geschichte Hotel des Jahres der SonntagsZeitung.
In einem Winter vor vielen, vielen Jahren standen wir in St. Moritz erstmals vor dem berühmten Badrutt’s Palace. In respektvollem Abstand an einer Hausecke der Via Serlas positioniert, waren wir überwältigt vom munteren Treiben vor dem Palast. Von den eleganten Limousinen, den schön dekorierten Pferdekutschen und erst recht von den mit dicken Pelzen behangenen Gästen, die da ein und aus gingen. So sah sie also aus, die Welt der Schönen, Reichen und Berühmten. Zumindest von aussen.
Eines Tages, so gelobten wir uns, würden auch wir die Schwelle zu diesem glamourösen Hotelreich, diesem Schmelztiegel von gesellschaftlichen Göttern und Halbgöttern, überwinden. Einfach vorbei an den mit goldenen Bändern und Borten geschmückten Ober-, Unter-, Hilfs- und Nebenportiers, die wir damals allesamt für Generäle hielten.
Von Marlene Dietrich bis Alfred Hitchcock
Ende der 60er-Jahre war es so weit. Wir hatten unsere besten Klamotten hervorgeholt, versuchten, möglichst gewichtig dreinzuschauen, nickten betont freundlich nach links und rechts, drückten die Drehtür auf – und schon waren wir drin im Allerheiligsten, das von der «New York Times» und der «Sun» genauso euphorisch beschrieben wurde wie von der «Neuen Bündner Zeitung».
Grund dafür war die einzigartige Ballung von Prominenz, die zu den Palace-Stammgästen zählte oder gezählt hatte. Marlene Dietrich, Greta Garbo, Audrey Hepburn und Maria Callas zum Beispiel. Oder die Reeder Ari Onassis und Stavros Niarchos, der Schah von Persien, die Karajans, die Rothschilds, König Hussein von Jordanien, Erich Maria Remarque, Alfred Hitchcock, Charlie Chaplin, General Montgomery, Winston Churchill und viele mehr.
Und dann war da natürlich Gunter Sachs, zwischenzeitlich begleitet von Brigitte Bardot. Palace-Barmänner wie Edy Castelletti, der später ins Giardino nach Ascona zog, erinnern sich, dass das elektrisierende Treiben in der Hotelhalle zur Apéro-Zeit schlagartig verstummte, wenn BB erschien. Die laut «Vogue» damals schönste Frau der Welt raubte aber nicht bloss den Palace-Gästen den Atem, sie war auch äusserst liebenswürdig und gab meist mehr Trinkgeld als Milliardäre und Könige zusammen. Die Hotelcrew vergötterte sie.
Gunter Sachs, der letzte echte Playboy, prägte das Palace in seinen wilden Jahren wie keiner vor und nach ihm. Es war ein glücklicher Zufall, dass wir ihn einmal in Hochform erlebten. Gemeinsam mit seiner Clique schlug er in den frühen Morgenstunden das Inventar im hoteleigenen King’s Club kurz und klein. Champagnerflaschen, Gläser, Aschenbecher und Fäuste flogen in alle Richtungen.
Jahre später erzählte mir Andrea Badrutt, Sachs sei nach ein paar Stunden Schlaf jeweils in seinem Büro in den Katakomben des Hotels aufgetaucht und habe die entstandenen Schäden beglichen. In bar. Die Liste der Zerstörungen pflegte Badrutt übrigens gern um ein paar Posten zu verlängern, indem er zusätzliche Schäden erfand. Zu Diskussionen führte das nie. «Sachs war ein Playboy mit Stil», sagte Badrutt.
Der charismatische Hotelier, um den sich unzählige Geschichten rankten, war die grosse Figur im Haus, das in einem Atemzug genannt wurde mit dem Peninsula Hongkong oder dem Oriental Bangkok. Badrutt begrüsste und verabschiedete alle Gäste persönlich und mit Namen, wobei es beim Abschied auch mal grosse Augen gab. Badrutt setzte die Zimmerpreise nämlich ganz nach seiner individuellen Tagesform fest. Und hatte es jemand während seines Aufenthalts gar noch mit ihm verscherzt, konnte sich der Zimmerpreis auf wundersame Weise verdoppeln. Beschwert hat sich nie einer. Es wäre ja der Verdacht entstanden, er könne sich das Palace nicht leisten.
Die 70er-Jahre waren wohl die verrücktesten in der Geschichte von Badrutt’s Palace. Kein Hotel füllte so oft die Seiten der internationalen Klatsch- und Gesellschaftspresse wie diese unglaubliche Mischung aus Märchenschloss und Engadiner Folklore. Nirgendwo wurden List und Lust, Hass und Frust, Leidenschaften und Liebschaften so zügellos ausgelebt wie im Palace mit seinen Zinnen und Türmen.
Berühmtester Laufsteg der Welt
Die atemberaubende Halle mit ihrem wahnwitzigen Stilmix war der berühmteste Laufsteg der Welt. «Die schönsten Frauen mit den aufreizendsten Décolletés und den wertvollsten Juwelen betören hier die grössten und mächtigsten Männer», sagte Andrea Badrutt.
Irgendwann in den späten Achtzigern aber blieben die Stars, auch aus biologischen Gründen, plötzlich weg. Sachs war ruhiger geworden und verlegte sein Wirkungsfeld 1992 nach Gstaad. Sein Nachfolger im Palace-Turm wurde der vergleichsweise blasse Verleger Jürg Marquard. Vor allem aber fehlte es an Geld für überfällige Investitionen. Das Palace begann, gefährlich zu wanken, es verlor seinen Nimbus. Dann zog Hansjürg Badrutt, Halbbruder des 1998 verstorbenen Andrea, gerade noch rechtzeitig die Notbremse. Vor genau zwanzig Jahren flehte er den vielfach ausgezeichneten Starhotelier Hans Wiedemann an, das Palace zu retten.
Wiedemann hatte Tophotels in Asien und Australien geleitet und nach der Rückkehr in die Schweiz auch dem Montreux Palace zu neuem Ruhm verholfen. Dann machte er sich in St. Moritz an die Arbeit. Und wie! Mit Begeisterungsfähigkeit, Dynamik und unbeugsamem Willen schaffte er das Unmögliche, gewann das Vertrauen von Banken und Gästen zurück und gab dem Palace vor allem eines wieder: die Seele.
Überglücklich vermachte ihm der 2016 verstorbene, kinderlose Hansjürg Badrutt vor fünfzehn Jahren seine Zweidrittelmehrheit an den Palace-Aktien zum Nulltarif. Es war ein Geschenk im Wert von über 300 Millionen Franken. Und ein genialer Schachzug, weil es dem Palast die Zukunft als Hotel sicherte.
Glückliche personelle Konstellationen
Wiedemanns Gattin Martha, schon als Jugendliche ein Palace-Fan, hatte als Repräsentantin und Associate Director von Anfang an im Hotel mitgearbeitet. Tochter Rebecca absolvierte die Hotelfachschule Lausanne, hat bereits Erfahrungen in ausländischen Spitzenhäusern gesammelt und ist jetzt Assistentin des Vaters, der sich vor sieben Jahren als Delegierter in den Verwaltungsrat zurückzog.
Zu seinem Nachfolger als operativer Chef und Managing Director ernannte Wiedemann Richard Leuenberger, der für Ritz-Carlton, Four Seasons und Shangri-La um die Welt getingelt war und in jungen Jahren als F&B-Manager schon einmal im Palace gearbeitet hatte. Der 48-jährige Leuenberger erwies sich als Lottosechser. Seit seinem Amtsantritt vor sieben Jahren konnte der Gesamtumsatz des Hotels bis zum Geschäftsjahr 2022/23 um fast 47 Prozent auf 71,7 Millionen Franken gesteigert werden. Im vergangenen Winter ging es weiter bergauf.
Und es kommt noch besser: Auf die kommende Wintersaison werden für 60 Millionen Franken 25 neue Zimmer und Suiten eröffnet, die in Sachen Luxus kaum zu überbieten sind. Der neue Trakt ist durch einen Tunnel sowohl mit dem Hauptgebäude wie auch mit dem berühmten eigenen Restaurant Chesa Veglia verbunden. Insgesamt konnten seit Wiedemanns Ankunft in St. Moritz vor zwanzig Jahren 215 Millionen Franken investiert werden. Und mit dem Paradiso Mountain Club & Restaurant gehört seit ein paar Jahren auch die wohl exklusivste Berghütte Europas zum Palace.
Der Glamour von einst ist zurückgekehrt in den Palast, der seinen Platz unter den allerbesten Ferienhotels der Welt eindrucksvoll zurückerobert hat. Es ist wieder in, im Palace zu sein. Es kribbelt wieder im Bauch, wenn man durch dieses Hotelmonument schlendert, das so viele Geschichten erzählt und durch das noch immer ein seltsamer Hauch von Verruchtheit weht.
Es macht wieder Freude, sich in der Halle zu fläzen, in der Erich Maria Remarque seinen Weltbestseller «Arc de Triomphe» fertig schrieb und wo jeden Abend grosses Kino geboten wird. Und an der legendären Bar zu hängen, in der Hitchcock zur Geisterstunde mitunter stockbesoffen vom Hocker fiel. Oder in der Hans-Badrutt-Suite zu logieren, die pro Nacht 25’000 Franken kostet. Oder im Turm mit seinen vier Schlaf- und Badezimmern zu wohnen, der seit dem Auszug von Marquard für 40’000 Franken pro Nacht an Gäste vermietet wird und selbst im Sommer hervorragend gebucht ist.
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