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Daniel Lampart im Interview
«Es ist bedenklich, dass die Seco-Chefin den Bundesrat korrigieren musste»

Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbundes, am 22. April 2014 auf dem Helvetiaplatz in Zürich
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Die Macht der Gewerkschaften bei der Erneuerung der EU-Abkommen ist riesig. Denn wenn neben der SVP auch sie die Verträge bekämpfen, wird sich kaum eine Mehrheit finden. Liegt der Wirtschaft viel an den Verträgen, muss sie die Gewerkschaften ins Boot holen. Dabei werden die Gewerkschaften kritisiert, dass sie die EU-Verträge nur bekämpfen, um den Arbeitgebern in der Schweiz mehr Gesamtarbeitsverträge abzuringen, um die Schweizer Löhne in verschiedenen Branchen abzusichern.

Herr Lampart, Hand aufs Herz: Die Gewerkschaften lehnen die EU-Verträge doch nur ab, um von den Arbeitgebern höhere Löhne zu erpressen, oder?

Nein. Die neu ausgehandelten EU-Verträge verschlechtern den Lohnschutz deutlich. Die Lohnkontrollen werden schwieriger. Wir können EU-Firmen, die sich nicht an die Schweizer Löhne halten, in vielen Fällen nicht mehr büssen. Die Gewerkschaften sind für die Öffnung gegenüber der EU, wenn sie den Arbeitnehmenden nützt. Das ist mit den neuen Verträgen nicht der Fall.

Sie widersprechen Bundesrat Ignazio Cassis, der bei der Vorstellung des Vertragspakets sagte, das Lohnschutzniveau bleibe erhalten.

Das stimmt nicht. Die Aussagen des Bundesrates zum Verhandlungsresultat waren schönfärberisch.

Was jetzt, kommunizierte der Bundesrat schönfärberisch oder falsch?

Vieles ist schönfärberisch. Die Aussage, der Lohnschutz bleibe erhalten, ist aber schlicht falsch. Es ist bedenklich, dass die Seco-Chefin Helene Budliger Artieda den Bundesrat bei der Medienkonferenz korrigieren musste. Sie erklärte, warum der Lohnschutz bei Einführung der ausgehandelten EU-Abkommen schlechter würde.

Was genau verschlechtert sich?

Erstens: Firmen, die in der Schweiz arbeiten, müssen heute im Voraus eine Kaution hinterlegen. Damit können wir Bussen sicherstellen, für den Fall dass sich Firmen, die ihren Arbeitern Dumpinglöhne zahlen, aus dem Staub machen wollen. Das wäre künftig nur noch in besonderen Fällen möglich. Halb kriminelle Firmen können sich ins Fäustchen lachen. Sie zahlen die Bussen nicht und kommen unter neuem Namen, unter dem sie nicht wiedererkannt werden. Heute können wir zudem solchen Firmen verbieten, in die Schweiz zu kommen. Das wäre wahrscheinlich auch nicht mehr möglich.

Und die Spesenregelung, vor der Sie schon im Vorfeld gewarnt haben?

Genau. Auch hier hat die Schweiz gegenüber der EU nichts erreicht. Stellen Sie sich vor: Künftig müsste eine Firma aus Polen ihren Mitarbeitenden in der Schweiz für Hotel und Verpflegung nur so viel Spesen zahlen, wie eine Übernachtung in einem polnischen Hotel kosten würde. Viele Arbeiter müssten auf der Baustelle oder im Auto schlafen. Wenn sie nicht ausgeruht sind, gibt es mehr Unfälle, in die auch Schweizer Arbeiter verwickelt sein können. Schweizer Firmen würden zudem benachteiligt. Sie müssten weiterhin Schweizer Ansätze zahlen.

Befürworter der Verträge argumentieren, dass die Spesenregel selbst von EU-Ländern nicht eingehalten werde und die Schweiz sie daher ignorieren könne.

So einfach ist es nicht. Das Bundesgericht müsste neu das EU-Recht der Verträge anwenden. Und die EU-Kommission macht jeweils grossen Druck, dass die Länder das EU-Recht einhalten.

«Die Verschlechterungen beim Lohnschutz erleichtern den EU-Firmen den Markteintritt in die Schweiz.»

Befürchten Sie weitere Nachteile?

Die Verkürzung der Anmeldefrist für EU-Firmen von acht auf vier Tage erschwert die Lohnkontrollen. Bis die Kantone eine Meldung an die Kontrolleure weitergeben, vergehen in zahlreichen Fällen mehrere Tage. Dazu kommt: Die Verschlechterungen beim Lohnschutz erleichtern den EU-Firmen den Markteintritt in die Schweiz. Es dürften künftig spürbar mehr EU-Firmen in der Schweiz arbeiten.

Ist das aktuelle Vertragspaket immerhin besser als das Rahmenabkommen von 2021?

Das Rahmenabkommen war eine totale Katastrophe. Es hätte unser gesamtes Lohnschutzsystem infrage gestellt. So gesehen kann man sagen, dass das aktuelle Paket eine Spur besser ist.

Die neuen Verträge enthalten bei den Löhnen eine sogenannte Non-Regressions-Klausel. Das bedeutet, die Schweiz müsste keine neuen Lohnregeln übernehmen, wenn diese den Lohnschutz verschlechtern würden. Ist das nicht ein grosses Entgegenkommen der EU?

Diese Klausel sagt, dass wir künftige Verschlechterungen in der EU nicht übernehmen müssen. Sie schützt aber nicht das heutige Lohnschutz-Niveau in der Schweiz.

Bisher haben die Gewerkschaften als Einzige angekündigt, dass sie Nachverhandlungen fordern werden. Was genau muss die Schweiz bei der EU noch herausholen?

Was wir genau fordern, haben wir noch nicht festgelegt. Der Gewerkschaftsbund wird an der Delegiertenversammlung am 31. Januar entsprechende Forderungen aufstellen.

Die Gewerkschaften kritisieren auch das geplante Stromabkommen mit der EU, gemäss dem die Schweiz den Strommarkt für Privathaushalte liberalisieren müsste. Wo liegt das Problem?

Das wäre ein Abbau des Service public. Haushalte wären den grossen Preisschwankungen des Strommarktes ausgesetzt. Die Energiekrise 2022 in Deutschland hat gezeigt, was das bedeutet: Für viele Haushalte wurde es richtig teuer.

Aber gerade das Beispiel Deutschland zeigt: Haushalte werden nicht gezwungen, ihren Strom auf dem freien Markt einzukaufen. Sie können, wenn sie wollen, in der Grundversorgung bleiben. Warum soll das ein Nachteil sein?

Die heutige Schweizer Grundversorgung in Städten wie Zürich ist ein integriertes System mit stabilen Preisen. Allfällige Gewinne kommen der Allgemeinheit zugute. Neu müssten die Kraftwerke abgetrennt und die heutige Art der Grundversorgung aufgegeben werden.