Anschläge im NordkaukasusDagestans Regierung sucht die Schuldigen im Ausland – erste Verdächtige in Haft
Terroristen greifen Synagogen und Kirchen an. Mindestens 25 Menschen sterben im russischen Dagestan. Beschuldigt werden Islamisten. Aber auch die Ukraine und internationale Terrororganisationen.

Der kräftige Mann, der an der Strasse seine halbautomatische Waffe auf eine Stahlbrüstung legt, macht sich nicht einmal die Mühe, sein Gesicht zu verstecken. Schwarzes T-Shirt, Vollbart, lichtes Haar, den Oberkörper vorgebeugt, er feuert, dreht sich zu seinem Kollegen um und geht aus dem Bild. Dagestan, eine russische Republik im Nordkaukasus, hat am Sonntagabend einen der schwersten Terrorangriffe der vergangenen Jahre erlebt, in zwei Städten gleichzeitig.
In der Küstenstadt Derbent, am Kaspischen Meer, wurden eine orthodoxe Kirche und eine Synagoge angegriffen. Die Synagoge geriet in Brand, anschliessend gingen die Täter zu einer orthodoxen Kirche, töteten einen Wachmann und schnitten dem 66 Jahre alten Priester die Kehle durch.
In der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala brannte ebenfalls eine Synagoge, die Täter griffen auch dort eine Kirche an und einen Posten der Verkehrspolizei. Erst am Montagmorgen um 8.15 Uhr erklärten die Behörden den Antiterror-Einsatz für beendet. Insgesamt seien bei den Angriffen 15 Angehörige der Sicherheitsdienste gestorben, ausserdem vier Zivilisten. Sechs Angreifer seien getötet worden. Gemäss der Nachrichtenagentur AP habe es weitere 46 Verletzte gegeben.
Vage Andeutungen
Die russische Nachrichtenagentur Interfax schrieb am Montag, dass die Ermittler jetzt vor der Aufgabe stünden, «detailgenau das Bild des Geschehenen» zusammenzusetzen. Einige vage Deutungen aber wurden schon gemacht, zum Beispiel von Dagestans Republikchef Sergei Melikow. «Wir müssen verstehen, dass der Krieg auch in unser Haus kommt. Wir haben das schon früher gespürt, aber jetzt sind wir damit unmittelbar konfrontiert», zitierten ihn mehrere russische Medien. Was er genau meinte, erklärte er nicht. Er schien auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine anzuspielen.
In russischen Medienberichten machte auch schnell die Runde, dass die Behörden die Angreifer als «Anhänger internationaler Terrororganisationen» bezeichnet hätten, und betonten, diese hätten ausländische Waffen eingesetzt. Nach einem Bericht der Zeitung «Nowaja Gaseta» beschuldigte ein dagestanischer Abgeordneter Islamisten des ukrainischen Geheimdienstes und der Nato-Staaten, für den Terror verantwortlich zu sein. Dass erst einmal Spuren ins Ausland gelegt werden, kommt in Russland häufig vor seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Der Kreml äusserte sich bisher nicht.
Allerdings sind bereits einige konkrete Namen gefallen. So sollen unter den Angreifern in Dagestan zwei Söhne und der Neffe eines Lokalpolitikers sein, des Oberhauptes der dagestanischen Region Sergokalinskij, Magomed Omarow. Dieser wurde nach Berichten russischer Medien festgenommen, seine Wohnung sei durchsucht worden. Und, so meldete die Nachrichtenagentur Interfax, die Regierungspartei Einiges Russland habe Omarow bereits aus der Partei ausgeschlossen.
Das muslimische Dagestan im Süden Russlands, Nachbarrepublik von Tschetschenien, gilt als eine der ärmsten und unruhigsten Regionen Russlands und damit auch anfällig für radikale Gruppen. Immer wieder haben sich junge Islamisten aus Perspektivlosigkeit der Terrororganisation Islamischer Staat angeschlossen. Islamisten aus Dagestan sollen sich auch im März am Terroranschlag auf die Moskauer Crocus City Hall beteiligt haben, der FSB hob kurz darauf Terrorzellen in Machatschkala und Kaspijsk aus.
Im vorigen Herbst stürmte in Dagestan eine Menschenmenge den Flughafen von Machatschkala, als dort eine zivile russische Maschine aus Tel Aviv gelandet war. Dutzende Menschen wurden verletzt. Israel forderte damals die russische Regierung auf, israelische Staatsbürger und jüdische Organisationen zu schützen. Drei Wochen zuvor hatte die Terrorgruppe Hamas Israel angegriffen, mit der Moskau nach wie vor Kontakte pflegt. Der Kreml wies am Montag die Möglichkeit einer Rückkehr einer Gewaltwelle, wie sie die Kaukasusregion in den 1990er- und 2000er-Jahren erschüttert hatte, zurück. Russland habe sich verändert, die russische Gesellschaft sei «gefestigt», sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.
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