Kaufrausch bei Exxon und ChevronDas Comeback der Ölkonzerne
Neue Ölvorkommen versprechen Milliarden: «Big Oil» setzt nach wie vor massiv auf die Ausbeutung fossiler Brennstoffe. Klimafreundliche erneuerbare Energien haben das Nachsehen.
In der Ölbranche hat die grösste Konsolidierungswelle der letzten Jahrzehnte eingesetzt. Der texanische Ölgigant Exxon Mobil übernahm kürzlich seinen Lokalrivalen Pioneer Natural Resources für 59,5 Milliarden Dollar. Wenige Tage später kündigte der US-Energieriese Chevron an, den US-Konkurrenten Hess für 53 Milliarden Dollar zu schlucken. Chevron hatte bereits im vergangenen Mai den Öl- und Gasexploration-Spezialisten PDC Energy für 6,3 Milliarden Dollar gekauft.
Für Exxon Mobil ist der Milliardendeal die grösste Acquisition seit fast 25 Jahren. 1999 hatten Exxon und Mobil Oil fusioniert. Auch für Chevron ist der Kauf von Hess der teuerste Megadeal seit der 36 Milliarden-Dollar-Übernahme von Texaco im Jahr 2000 – und von strategischer Bedeutung. Weitere Fusionen oder Übernahmen sind zu erwarten. Die «Financial Times» spricht von einem «Rüstungswettlauf» in der Branche. Schon wird spekuliert, der britisch-niederländische Ölriese Shell könnte sich BP schnappen.
Beim aktuellen Kaufrausch geht es um weit mehr als Expansion, Steigerung von Umsatz und Gewinn oder zu erwartende Synergien. Experten bewerten die Konsolidierung in der Branche als klares Anzeichen, dass «Big Oil» nach wie vor massiv auf die Ausbeutung fossiler Brennstoffe setzt und klimafreundliche erneuerbare Energien auf dem Rücksitz landen.
Für den saudischen Ölminister Prinz Abdul Aziz bin Salman ist die Rückkehr der Megadeals der Beweis, dass Kohlenwasserstoffe bleiben. Im vergangenen Februar hatte bin Salman «keine dramatischen Veränderungen» in der Ölpolitik seines Landes angekündigt.
Ganz ähnlich tönt es bei Chevron-Chef Mike Wirth. «Wir verkaufen kein Produkt, das böse ist», sagt er gegenüber der «Financial Times», sondern ein «gutes» Produkt, das die «Lebensqualität auf diesem Planeten verbessert» hat. Das sehen viele Kritiker – auch in den USA – völlig anders. Der Bundesstaat Kalifornien hat Chevron im September verklagt, die Öffentlichkeit jahrzehntelang über die schädliche Umweltbelastung durch fossile Brennstoffe getäuscht zu haben.
Wirth ist keineswegs gegen geringere Emissionen, aber nicht «auf Kosten einer zuverlässigen und günstigen Energiequelle». Der Chevron-CEO widerspricht zudem der Prognose der internationalen Energiebehörde (IEA), wonach die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen 2030 den Zenit überschreiten wird. Gemäss Wirth liegt die IEA «nicht mal annähernd richtig». Er geht von einer Nachfrage weit über die nächsten Jahrzehnte aus und nennt sich einen «Realisten» unter einer «Bande von Umweltideologen».
In einer Studie schätzt die Organisation Erdöl produzierender Länder (Opec), dass die Ölproduktion bis 2045 um 15 Prozent steigen und eine Kapazität von 116 Millionen Fass pro Tag erreichen wird. Chevron plant, von 14 Milliarden Dollar an Investitionen 2023 nur zwei Milliarden Dollar für Projekte mit geringerer Umweltbelastung abzuzweigen.
Auch Shell-CEO Wael Sawan bezeichnet seinen Konzern zwar als «Multi-Energie-Vector»-Unternehmen, das Mehrwert durch weniger Emissionen schaffen will, doch sind die erneuerbaren Energieprojekte bisher verlustreich. Dagegen bringen Öl und Gas satte Profite – zuletzt rund 4,7 Milliarden Dollar.
Neue Ölbonanza Guyana
Exxon und Chevron verschaffen sich mit ihren Megadeals erweiterten Zugang zu den grössten neu entdeckten Ölvorkommen der Welt. In der Republik Guyana an der Atlantikküste Südamerikas sind offshore satte elf Milliarden Fass an Ölreserven entdeckt worden. Exxon Mobil bohrt seit 2008 in Guyana.
Erst 2015 wurde mit einem Konsortium zusammen mit Hess und dem chinesischen Cnooc-Konzern das ertragreiche Liza Feld entdeckt. Seither sind dreissig signifikante Ölfelder hinzugekommen. Das Stabroek Block Reservoir soll bei voller Kapazität bis zu 1,5 Millionen Fass pro Tag produzieren können. Die Ressourcen dürften die Ölmultis auf Jahrzehnte mit dem schwarzen Gold versorgen. Exxon-Mobil-Guyana-Chef Alistair Routledge nennt die Vorkommen das «Kronjuwel» des Konzerns. Guyana dürfte der letzte Petrodollar-Staat auf dem Planeten werden.
Exxon Mobil erhält via Pioneer Zugang zum texanischen Perm-Becken, einem der grössten Schieferölvorkommen der Welt. Der texanische Ölgigant hält 15 Prozent Anteile an Perm und will die Förderung mehr als verdoppeln. BP hat dagegen angekündigt, seine Öl- und Gasförderung bis 2030 um 25 Prozent zu kürzen.
BP und Shell stehen unter Druck. Beide Konzerne beklagen eine Unterbewertung ihrer Aktien, haben ihre CEOs ausgewechselt, und der Abstand gegenüber den US-Rivalen wird grösser. Analyst Arjun Murti, Partner beim Energiespezialisten Veriten, hält einen Zusammenschluss von BP und Shell für «logisch». Auch die europäischen Konkurrenten Total Energies und Eni müssen sich laut Murti sputen.
Die Jagd auf fossile Energieressourcen könnte durch anhaltende Probleme im Windkraftsektor beschleunigt werden. So hat BP erst vor kurzem 540 Millionen Dollar und der norwegische Energiekonzern Equinor 300 Millionen Dollar für zwei Windprojekte in New York abschreiben müssen. Forderungen nach besseren Preiskonditionen wurden von US-Behörden abgelehnt.
Windkraftbetreiber in Turbulenzen
Noch härter hat es den Weltmarktführer im Bereich Offshore-Windenergie getroffen: Anfang des Monats hat der dänische Konzern Ørsted gleich zwei Projekte im US-Bundesstaat New Jersey eingestellt und muss vier Milliarden Dollar abschreiben. Als Gründe werden Lieferkettenprobleme, steigende Materialkosten, Bauverzögerungen und höhere Zinsen genannt.
Aber auch das Finanzierungsmodell führt zu Problemen: Die Unternehmen setzen auf frühe fixe Strompreise vor Baubeginn, die aber angesichts langer Genehmigungsverfahren, Zinswende und hoher Rohstoffpreise nach Jahren überholt sind und den Firmen Verluste bescheren. Nachverhandlungen werden häufig abgelehnt.
Die Ørsted-Entscheidung ist ein schwerer Rückschlag für die Klimaambitionen der Biden-Regierung, die bis 2030 eine Windenergieleistung von 30 Gigawatt anstrebt. Ørsted wird aber das 704-Megawatt-Projekt Revolution-Wind für Rhode Island und Connecticut fertigstellen, das 350’000 Haushalte versorgen kann.
Geradezu düster sieht die Lage bei Siemens Energy aus. Die spanische Siemens-Tochter dümpelt seit Monaten von Krise zu Krise. Erst ein Milliardenverlust 2022, dann die Bekanntgabe massiver Materialfehler bei den Topturbinen 5.X und 4.X des Windkraftanlagenherstellers Gamesa, einer Tochter von Siemens Energy. Und zuletzt ein Bittgang zur deutschen Bundesregierung.
Laut Siemens Energy benötigt das Unternehmen Projekt- und Gewährleistungsbürgschaften zur Absicherung des 110 Milliarden Euro umfassenden Auftragsbestandes. Ohne diese Garantien seien zahlreiche Umweltprojekte gefährdet.
Phase der Energieunsicherheit
Die Bundesregierung hat nun einer Bürgschaft über 7,5 Milliarden Euro zugestimmt. Zusammen mit einzelnen Privatbanken ist sie Teil der benötigten Garantielinie über insgesamt 15 Milliarden.
Gleichwohl hat Siemens Energy für das abgelaufene Geschäftsjahr diese Woche einen Rekordverlust in Höhe von 4,6 Milliarden Euro verkündet. Die Aktie ist seit Jahresbeginn um 45 Prozent eingebrochen.
Windkraft ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Energiewende. Doch weltweit liefert Windkraft bisher lediglich winzige 0,8 Prozent der Stromerzeugung. Das sind rund 70 Gigawatt. Gemäss IEA müssten aber bis 2050 rund 2000 Gigawatt installiert werden, um eine echte Wende zu schaffen.
Zwischen 2015 und 2021 wurden aber pro Jahr lediglich drei Gigawatt bereitgestellt. Dieses Defizit läutet eine Phase der Energieunsicherheit ein, welche die Ölkonzerne als Rechtfertigung nutzen können, um weiter auf fossile Brennstoffe zu setzen – allein schon, um die Energiesicherheit zu garantieren.
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