Ciao CabrioFertig luftig! Der Verlust des unverhüllten Fahrvergnügens
Das Cabriolet ist eine aussterbende Spezies. Mit ihm verschwindet viel gute Laune und Optimismus von den Strassen – es ist eine kulturelle Katastrophe für uns alle.
Man kann den Verkehr als grosses Theater sehen und in den Strassen eine Bühne. Hier wird jeden Tag das Stück vom technischen Fortschritt aufgeführt, oft genug eine Tragödie. Während sich heutzutage Hybride, Elektroautos und autonome Fahrzeuge um die Hauptrolle drängeln, ist die Zeit für andere Akteure bald abgelaufen.
Die Karosseriebezeichnung Cabriolet, kurz Cabrio, leitet sich vom französischen Verb «caprioler» ab, was so viel bedeutet wie «Luftsprünge machen», Kapriolen eben. Schon die Etymologie macht somit klar, dass es Cabrios, diese dachlosen, nach oben offenen Modelle, nicht ganz einfach haben in einer Zeit, in der Autofahren keinen Spass mehr machen darf.
«Schamlos oben ohne»
Mit Beginn dieses Frühlings und damit zum Start der Cabriolet-Saison sind in der Schweiz binnen eines Jahres noch genau 3747 Automobile neu zugelassen worden, die über ein versenkbares oder abnehmbares Verdeck verfügen; vor zehn Jahren noch, so vermeldet das Bundesamt für Statistik, waren es doppelt so viele, vor fünfzehn Jahren noch dreimal mehr.
Spätestens seit Volkswagen im Januar dieses Jahres bekannt gab, das letzte VW-Cabrio werde aus dem Programm genommen (die offene Variante des T-Roc), scheint das Schicksal dieses Fahrzeugtyps besiegelt, weltweit hat er mit dramatisch sinkender Nachfrage zu kämpfen. Kurz: Das Cabrio, das Generationen von Autojournalisten zu etwas albernen Titeln inspirierte wie «Schamlos oben ohne» («Stern») oder «Stilvoll fahren oben ohne» (NZZ), scheint auszusterben, so zwangsläufig wie das Weissnashorn in Zentralafrika.
Wie konnte das geschehen?
Mit dem Cabriolet droht eine kulturhistorische Ikone von der Verkehrsbühne zu verschwinden. Das Cabrio, das ist die gute alte Verbrennerromantik, Autofahren vor der Klimakrise. Cabrios waren irgendwie unvernünftig, irgendwie frivol. Sie kurvten durch Hollywoodfilme («The Graduate», «Thelma & Louise», «Fear and Loathing in Las Vegas»), gelenkt von rebellischen Figuren, die die Freiheit suchten. Ja, die luftigen Modelle schafften es selbst in Filmtitel («Nackt im Cabrio»). Selbstverständlich fährt auch Barbie, die Kinoheldin des Jahres 2023, ein Cabrio (eine 1956er-Corvette Stingray).
Von egozentrisch bis exhibitionistisch
Cabrio-Fahren war ein einigermassen demokratischer Spass. Über Jahrzehnte stellten Massenmarken wie VW, Ford, Renault oder Opel Cabriolet-Modelle her, die für eine breite Käuferschaft erschwinglich waren. Gelohnt hat sich das damals auch deshalb, weil die Hersteller mit den besonderen Modellen der eigenen Marke etwas Glamour verliehen.
Distinktionsgewinn ist ebenso den Lenkerinnen und Lenkern garantiert, ob sie mit wehendem Haar oder mit Lederkappe am Steuer sitzen. Cabrio-Fahrerinnen und -Fahrer sind wind- und wetterfest. Sie fahren nicht bloss, um anzukommen – sie geniessen es, unterwegs zu sein. Cabrio-Fahrerinnen und -Fahrer sind egozentrisch, in ihrem Innersten wohl ziemlich exhibitionistisch. In unbekümmerter Schamlosigkeit zeigen sie sich selbst und das Interieur ihres Wagens, während sich die Masse der Autolenkerinnen und Autolenker in der finsteren Anonymität getönter Scheiben verbirgt.
Mit fortschreitender Globalisierung der Automobilindustrie jedoch erhöhte sich der Kostendruck auf die Hersteller. Die einst als lukrativ erachtete Nische des unverhüllten Fahrvergnügens erweist sich heute, in einer von Effizienz und Rationalität geprägten Branche, als zu teuer. «Nicht nur die Entwicklungskosten stiegen massiv, sondern auch der Aufwand für die immer anspruchsvolleren Sicherheitstests», sagt Christoph Wolnik von Auto Schweiz, dem Verband der Schweizer Autoimporteure.
Ob VW Golf, Opel Astra oder Ford Focus: Selbst die Produktion von Cabrio-Varianten sehr populärer Modelle wurde ohne Nachfolger eingestellt. VW verkaufte in mehr als dreissig Jahren weltweit rund 1,8 Millionen Golf Cabriolet, 2016 lief der letzte vom Band. Autofirmen sind auch deshalb immer seltener bereit, die hohen Entwicklungskosten zu tragen, da das Image der unkonventionellen Cabrios in der heutigen Zeit kaum noch eine Markenaufwertung verspricht.
Der SUV als Gegenspieler
Elektromobilität, digitale Vernetzung, Nachhaltigkeit: Das sind die Verkaufsargumente auf dem heutigen Markt – das Cabriolet erscheint immer mehr als Konzept aus einer vergangenen Ära. «Die Leute wollen heute hauptsächlich ein praktisches Auto», sagt Wolnik, «in einem Cabrio können sie auf der Autobahn nicht telefonieren.» Und «grössere Gegenstände» liessen sich nur «umständlich» transportieren.
Die schwindende Popularität des Frischluftfahrzeuges Cabrio geht einher mit dem unaufhaltsamen Aufstieg eines anderen Autokonzeptes: des SUV. Die grossen und schweren Sport Utility Vehicles, Geländewagen nachempfunden, sind mittlerweile das bevorzugte Karosseriekonzept der Schweizer Autofahrer. Die Lenkerin oder der Lenker sitzt in einer erhöhten Position, die Sicht ist damit besser, der Einstieg bequemer. Die Wagen sind geräumig, und ihre schiere Masse vermittelt offenbar ein grosses Sicherheitsgefühl. SUV, für den Verkehr in der Stadt viel zu breit, zu hoch und zu schwer, machen mittlerweile in der Schweiz rund 50 Prozent der Neuzulassungen aus.
Waren es früher die leichten und eleganten Cabrios, die ihren Fahrerinnen und Fahrern Freiheit und Abenteuer versprachen, so sind es heute die massigen, mitunter monströs anmutenden SUV, die naturnahen Fahrspass in Aussicht stellen.
Die Konzepte der beiden Fahrzeugtypen könnten kaum unterschiedlicher sein. SUV-Fahrerinnen und -Fahrer isolieren sich von ihrer Umgebung; sie fahren gewissermassen in einem mehrere Tonnen schweren Hochsitz durch die Landschaft, ihrer Umgebung entfremdet. Cabrio-Lenkerinnen und -Lenker hingegen streben nach dem unmittelbaren Kontakt mit der Natur, indem sie sich den Elementen aussetzen – offen für alles, was kommt.
Das allmähliche Verschwinden des Cabriolets ist somit auch ein Zeichen für den bedauernswerten Verlust an Zuversicht und guter Laune im Strassenverkehr.
Nur in einem letzten schmalen Marktsegment kann das Cabrio sich noch halten, in jenem der Luxusautos. Hier bauen Nobelmarken wie Aston Martin, Ferrari, Bentley oder Lamborghini in vergleichsweise tiefen Stückzahlen weiterhin Cabriolets für eine Käuferschaft, die sich damit einen Dritt- oder Viertwagen für die schönsten Sonnentage erwirbt und gern Preise ab einer Viertelmillion Franken aufwärts zahlt.
Es ist die Ironie der Automobilgeschichte, dass bis in die 1930er-Jahre fast alle Autos ohne Dach konzipiert waren – nicht aus dem Wunsch nach einer Fahrt unter freiem Himmel, sondern weil es schwierig war, effektive und haltbare Verdecke zu konstruieren. Damals galten die wenigen geschlossenen Modelle als grosser Luxus, den sich nur die Reichsten leisteten.
In einer früheren Version des Artikels hiess es: Mit Beginn dieses Frühlings und damit zum Start der Cabriolet-Saison sind in der Schweiz noch genau 3747 Automobile zugelassen, die über ein versenkbares oder abnehmbares Verdeck verfügen. Richtig muss es heissen: Mit Beginn dieses Frühlings und damit zum Start der Cabriolet-Saison sind in der Schweiz binnen eines Jahres noch genau 3747 Automobile neu zugelassen worden, die über ein versenkbares oder abnehmbares Verdeck verfügen. Die Zahl des Bundesamtes für Statistik bezieht sich auf die Neuimmatrikulationen im Laufe eines Jahres, nicht auf die Gesamtzahl aller Cabriots.
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