Neue Chefin der IG MetallEine Frau für den Umbau der deutschen Industrie
Christiane Benner führt als erste Frau die grösste Gewerkschaft der Welt. Von Kanzler Olaf Scholz fordert sie verbilligten Strom, der AfD wirft sie vor, sie biete nur Parolen.

Die IG Metall ist ein Koloss – und eine deutsche Institution: 132 Jahre alt, mit 2,2 Millionen Mitgliedern die grösste freie Gewerkschaft der Welt. Sie vertritt die Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen in der deutschen Auto-, Maschinenbau-, Stahl- und Elektroindustrie – dem Kernbereich der Wirtschaftsmacht Deutschland.
Die Gewerkschaft der «Metaller» war seit je eine Männerdomäne, ein «Autoladen». Der Frauenanteil unter den Mitgliedern liegt bei 20 Prozent, Chef war in der Regel ein Mann aus Baden-Württemberg, der mit den Männern bei Mercedes, VW, BMW und Porsche über höhere Löhne verhandelte.
Erfolgloses Manöver der Patriarchen gegen sie
Die Wahl der 55-jährigen Christiane Benner an die Spitze der IG Metall zeigt insofern auch, dass die Gewerkschaften sich zuletzt schneller modernisiert haben als die Unternehmen. Mit Yasmin Fahimi steht seit Mai 2022 zum ersten Mal auch eine Frau an der Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Dorthin sollte Benner eigentlich abgeschoben werden, so der Plan einiger IG-Metall-Patriarchen, um sicherzustellen, dass wieder ein Mann aus dem «Autoländle» Baden-Württemberg an die Spitze kommt – und nicht die dafür eigentlich vorgesehene Frau aus Frankfurt. Das Manöver scheiterte, weil Benner das süsse Angebot kühl ausschlug und stark genug war, sich bei der IG Metall durchzusetzen. Sie habe nicht weggewollt, sagte sie kürzlich der «Süddeutschen Zeitung»: «Ich liebe diesen kämpferischen Laden.»

Benner trat der IG Metall 1988 als 20-Jährige bei, studierte danach mit einem Stipendium Soziologie und heiratete den früheren Chefjuristen der Gewerkschaft. Die ehemalige Handballerin gilt als ausgezeichnete Teamplayerin. Im Vorstand, dem sie seit 2011 angehört, kümmerte sie sich nicht um Tarifabschlüsse, sondern um die vitalen Zukunftsfragen.
«Wir stehen mitten im grössten Umbau unserer Industrie seit 100 Jahren», sagte Benner in ihrer Rede, mit der sie sich Anfang Woche für ihre glänzende Wahl an die Spitze der IG Metall bedankte. Für einmal sind dies nicht zu grosse Worte: Um von den fossilen Energien wegzukommen, muss sich die Industrie gerade neu erfinden, gleichzeitig revolutioniert die Digitalisierung die gesamte Arbeitswelt.
In der Industrie geht die Angst um – die AfD profitiert
Vor allem in der Auto- und Stahlindustrie geht die Angst um: Bei den Elektroautos hinken die deutschen Hersteller den Amerikanern von Tesla und den Chinesen hinterher, die verbleibenden Stahlkocher werden in Deutschland nur überleben, wenn sie bald Zugang zu billigem grünem Wasserstoff erhalten.
Die Sorge, Deutschland könnte sich in diesem Wandel schleichend deindustrialisieren und dabei einen Teil seines Wohlstands einbüssen, beflügelt derzeit Parteien wie die rechtsradikale Alternative für Deutschland – was mit Blick auf frühere Entwicklungen in den USA, Grossbritannien oder Frankreich wenig erstaunt. Benner warnt die Arbeiterinnen und Arbeiter, deren Niedergangsbeschwörungen auf den Leim zu gehen. Die AfD habe keine Lösungen zu bieten, sondern nur plumpe Parolen.

Bei der grossen Transformation sieht die Gewerkschafterin Unternehmen und Staat gleichermassen in der Pflicht. Die Konzerne müssten früher und weiter vorausschauen, statt einfach Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, sobald es Probleme gebe. Von der Regierung verlangt sie mehr Subventionen, Investitionen und eine kohärente Industriepolitik.
Den sozialdemokratischen Kanzler Olaf Scholz forderte die Genossin diese Woche eindringlich dazu auf, der Industrie endlich verbilligten Strom zuzusichern, bis billige erneuerbare Energien in erforderlichem Ausmass verfügbar seien. Scholz zögert damit noch, sagte Benner aber immerhin zu, dass man nach einer Lösung suche.
Ein Schritt in Richtung 4-Tage-Woche?
Eines ihrer wichtigsten Zukunftsprojekte ist die besonders von vielen Arbeiterinnen gewünschte Einführung der 4-Tage-Woche bei konstantem Lohn. Derzeit laufen dazu Pilotverhandlungen für die 70’000 Beschäftigten der Stahlindustrie. Ob sie erfolgreich sein werden, hängt nun auch von der Überzeugungskraft der ersten Frau an der Spitze der IG Metall ab.
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