Problematik um HalbleiterChina revanchiert sich im Chip-Konflikt mit den USA
Peking verbannt wegen «erheblicher Sicherheitsrisiken» die Chips des US-Herstellers Micron. Dahinter dürften politische Gründe stecken.
China dreht den Spiess um: Mit «erheblichen Sicherheitsrisiken für unsere kritische Informationsinfrastruktur-Lieferkette» begründete die Cybersicherheits-Behörde CAC ihre Warnung gegen die Produkte des US-Chipherstellers Micron.
Gar von einer Gefahr für die nationale Sicherheit ist die Rede in Peking. Es ist eine ähnliche Sprache, wie sie US-Behörden verwenden, wenn sie vor chinesischer Technologie etwa von Tiktok und Huawei warnen. Und es ist die bislang schärfste Reaktion Pekings auf die Export-Beschränkungen für Halbleiter, die Washington im vergangenen Oktober erlassen hatte. Sie bedeutet eine neue Eskalationsstufe im Handelskonflikt der beiden Weltmächte, auch wenn die direkten Auswirkungen des Micron-Falls für Chinas Chip-Versorgung begrenzt sein sollten.
Das US-Handelsministerium protestierte am Montag gegen die Entscheidung: «Diese Massnahme sowie die jüngsten Razzien und Angriffe auf andere amerikanische Unternehmen stehen im Widerspruch zu den Beteuerungen der Volksrepublik China, dass sie ihre Märkte öffnet und sich für einen transparenten Rechtsrahmen einsetzt», hieß es. Damit spielt das Ministerium auf die Durchsuchung der Büros der Beratungsfirmen Mintz, Bain und Capvision in den vergangenen Wochen an, bei denen auch einige Mitarbeiter festgenommen wurden. Zusammen mit dem angekündigten Antispionage-Gesetz sorgt dies derzeit für grosse Verunsicherung unter ausländischen Firmen in China.
«Vergeltung für US-Exportkontrollen»
Die CAC hatte die Sicherheitsüberprüfung gegen den grössten US-Hersteller von Speicherchips Ende März angekündigt. In ihrer Entscheidung blieb die Behörde nun aber viele technische Details schuldig. Sie beteuerte jedoch, dass politische Motive keine Rolle spielten. Holden Triplett, Gründer von Trenchcoat Advisors und ehemaliger FBI-Beamter für Spionageabwehr in Peking, sagte aber der Nachrichtenagentur Bloomberg: «Niemand sollte diese Entscheidung der CAC als etwas anderes verstehen als eine Vergeltung für die US-Exportkontrollen für Halbleiter».
China ist wegen seiner riesigen Elektroindustrie der weltweit grösste Importeur von Halbleitern. Das Land gibt mehr Geld für Chips aus als für Erdöl. Und einer der wichtigsten Lieferanten war bislang Micron.
Zeit für viele ausländische Firmen bald abgelaufen?
Der Präsident der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke, sagte jedoch, Peking könne Micron «hart angehen, weil es austauschbar ist». Es sei ein weiteres Signal, dass die Zeit für viele ausländische Firmen in China bald abgelaufen sein könnte. Peking habe nur noch Interesse an Firmen, die Hochtechnologien ins Land bringen, die China selbst noch nicht produzieren kann.
Anders als die Chips von US-Konkurrenten wie Nvidia, Intel oder AMD sind Microns Speicherchips Massenware. Die südkoreanischen Hersteller SK Hynix und Samsung stellen beispielsweise sehr ähnliche Produkte her, sodass der Nachschub für Chinas Elektronik-Industrie gesichert sein sollte – auch wenn Washington Berichten zufolge bereits Druck auf die Regierung in Seoul ausübt, um zu verhindern, dass dortige Firmen in die Bresche springen. Zumal China selbst fieberhaft am Aufbau eigener Produktionskapazitäten arbeitet.
Insgesamt ist Peking noch zurückhaltend
Laut Analysten der Investmentbank Jefferies könnten die Auswirkungen der CAC-Entscheidung auf Micron «letztlich recht begrenzt» sein. Zwar macht die Firma gut ein Zehntel ihrer rund 30 Milliarden Dollar Umsatz in China. Die meisten der in China verkauften Speicherchips von Micron würden aber in der Unterhaltungselektronik wie Smartphones und Notebooks eingesetzt. Die Warnung der CAC richtet sich hauptsächlich an Betreiber kritischer Infrastruktur wie Rechenzentren und Cloud-Computing-Dienste. Dass andere chinesische Kunden in vorauseilendem Gehorsam auf Microns Chips verzichten, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Insgesamt ist Pekings Reaktion Experten zufolge immer noch zurückhaltender als die Sanktionen der US-Regierung gegen China - was auch daran liegt, dass China bei Chips auf die USA angewiesen ist. US-Präsident Joe Biden hatte im vergangenen Oktober umfangreiche Exportverbote für Hochleistungs-Chips erlassen. Er begründete das damit, dass China diese Chips für die Entwicklung seiner militärischen Fähigkeiten einsetzen könnte. Durch eine Einigung mit den Regierungen der Niederlande und Japans auf einen Exportverzicht von Halbleiter-Produktionsmaschinen wird daraus eine ernste Bedrohung für Chinas Chip-Ambitionen.
Mirko Woitzik von der Analysefirma Everstream zufolge haben die US-Exportkontrollen bereits «grosse Auswirkungen» auf China. Die Kontroll-Liste mit chinesischen Firmen werde immer länger. «Das macht es für China immer schwieriger, bestimmte Halbleiter und Maschinen zu importieren.» Vergangenes Jahr sind die chinesischen Importe von Maschinen für die Produktion von Halbleitern bereits um 15 Prozent gefallen, dieses Jahr noch stärker. Dazu kommt: «Die ausländischen Chip-Hersteller investieren kaum noch in China. Sie bauen vor allem in den USA und anderen asiatischen Ländern neue Fabriken.» Die dortigen Regierungen fördern die Entwicklung mit Milliarden.
Noch leidet China kaum, aber Auswirkungen werden grösser
Bei Anwendungen wie automatisiertem Fahren und künstlicher Intelligenz à la Chat GPT ist das aktuell noch kaum ein Problem, da sie mit weniger leistungsstarken Chips auskommen, als die US-Exportrestriktionen vorsehen. Der Chef der Analysefirma Yole Group, Jean-Christophe Eloy, erklärte jüngst, weniger als ein Prozent aller Halbleiter in China seien von US-Kontrollen betroffen.
«Die US-Kontrollen tun heute minimal weh, aber die Auswirkungen werden jedes Jahr stärker spürbar», sagt der deutsche Chip-Experte Jan-Peter Kleinhans. «Es geht darum, Chinas Fertigkeiten auf dem jetzigen Stand einzufrieren.» Bei den US-Exportkontrollen gehe es vor allem um sogenannte KI-Beschleuniger, die in Supercomputern und Rechenzentren zum Einsatz kommen. Chinesische Firmen könnten diese zwar designen, aber nicht selbst produzieren.
Und obwohl Peking Milliarden an Fördermitteln in den Ausbau seiner Produktionskapazitäten steckt, wird das Land Kleinhans zufolge noch auf Jahre von ausländischer Technologie abhängig sein: «Innerhalb dieser Dekade sehe ich keine Chance für China, bei der Chip-Fertigung unter 28 Nanometern unabhängig zu werden.»
Zum Vergleich: Im aktuellen iPhone 14 Pro stecken Chips, die vom taiwanischen Auftragsfertiger TSMC im 4-Nanometer-Verfahren produziert werden. Bei weniger komplizierten Chips, etwa für Unterhaltungs- und Medizintechnik sowie die Autoindustrie, könnte das Land auf absehbare Zeit hingegen durchaus zum Selbstversorger werden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.