Gastbeitrag von Wermuth und WyssDie Schuldenbremse gehört dringend reformiert
Die letzte Budgetdebatte hat es wieder gezeigt: Die Schuldenbremse verhindert Investitionen und richtet Schaden an. Ein Vorschlag für eine pragmatische Reform.

Um das Schuldenniveau des Bundes zu stabilisieren, hat das Schweizervolk 2001 der Einführung der Schuldenbremse in der Verfassung zugestimmt. Angepriesen wird das Instrument bis heute mit dem Anspruch, kommenden Generationen keine Schulden zu überlassen und ihren finanziellen und politischen Handlungsspielraum nicht ungebührend einzuschränken.
Die gesetzliche Ausgestaltung der Schuldenbremse ging dann aber über die Verfassungsbestimmung hinaus: Überschüsse des Bundes – mehr Einnahmen als Ausgaben sowie nicht ausgeschöpfte, aber budgetierte Finanzmittel – dürfen nicht für anstehende Aufgaben genutzt, sondern müssen zwingend dem Schuldenabbau zugewiesen werden. Das führte in der Budgetdebatte vom Dezember wieder zu absurden Situationen: Obwohl vielerorts dringend anerkannter Investitionsbedarf besteht – etwa bei Sicherheit, familienexterner Kinderbetreuung, Prämienverbilligung oder Klimawende –, können angehäufte Überschüsse aus den Vorjahren von 22’000 Millionen Franken nicht angetastet werden. Sie fliessen stattdessen in den Abbau einer bereits weltrekordtiefen Staatsschuldenquote.
Damit läuft die Schuldenbremse ihrem Anspruch zuwider: Die Politik hinterlässt kommenden Generationen zwar keine Schulden, dafür einen Berg ungelöster Aufgaben, deren Finanzierung teurer wird, je länger man zuwartet. Was bringt einer Familie eine tiefere Schuldenquote des Bundes, wenn sie keinen bezahlbaren Kita-Platz findet, die Prämien nicht mehr bezahlen kann und der Klimawandel die Zukunft der Kinder bedroht?
Moralischer Anspruch kaschiert Interessenpolitik
Die Schuldenbremse verlangt, dass auch langfristige Investitionen rasch im Bundesbudget kompensiert werden. Das ist gerade aus Sicht der Generationengerechtigkeit unsinnig. Infrastrukturen, von denen mehrere Generationen profitieren – Kinderbetreuung, Sicherheit oder Verkehrsinfrastruktur –, sollten auch von allen Nutzniessenden mitfinanziert werden. Der moralische Anspruch kaschiert knallharte Interessenpolitik von oben. Grosse Investitionen wie die Zusatzfinanzierung der Armee verkleinern den Spielraum für andere Ausgaben. So kommen bei den aktuellen Mehrheiten im Parlament als Erstes die Ausgaben für die soziale Sicherheit unter Druck. Finanzministerin Karin Keller-Sutter hat bereits entsprechende Kürzungen etwa bei der Witwenrente oder der Arbeitslosenversicherung angekündigt.
Historisch hat die Schweiz in Krisenzeiten immer wieder weitgehende Stützmassnahmen für die Wirtschaft und Investitionen in die Zukunft finanziert, gerade auch über Schulden. Die Schuldenquote des Bundes ist in der Kriegszeit zwischen 1914 und 1945 stark angestiegen – in etwas geringerem Ausmass auch in den Krisenjahren Mitte der 1970er-Jahre und in den 1990er-Jahren. Jedes Mal gelang es, die Schuldenquote auch ohne Schuldenbremse wieder zu senken. Das wäre auch heute möglich und angezeigt. Man müsste nicht einmal die Schuldenbremse grundsätzlich infrage stellen.
Unser pragmatischer Vorschlag: Angehäufte Überschüsse werden für Investitionen in Gleichstellung, Klimawende und die Stärkung der Kaufkraft der Bevölkerung verwendet. In den Folgejahren könnten die Schulden in Einklang mit dem Wirtschaftswachstum stabilisiert werden. Mit einer solch zukunftsorientierten Ausgestaltung der Schuldenbremse schlüge man zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Schuldenquote könnte stabil gehalten werden – und damit auch die Kosten dafür, ohne künftigen Generationen ungelöste Herausforderungen zu überlassen. Damit würde dem ursprünglichen Volkswillen von 2001 endlich Nachachtung verschafft.
Cédric Wermuth ist Co-Präsident der SP Schweiz und Aargauer Nationalrat, Sarah Wyss ist Basler SP-Nationalrätin.
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