Unterirdische GüterbahnCargo Sous Terrain: Anlieger-Dörfer wollen für mehr Verkehr entschädigt werden
Der Ständerat unterstützt das ehrgeizige Projekt. Doch die Dörfer im künftigen Einzugsgebiet fürchten mehr Verkehr. Warum uns das alle etwas angeht.
Die Landschaft ist geprägt von Lärm. Selbst mitten im Wald, an den Hängen des Jurasüdfusses, ist das Rauschen der Autobahn zu vernehmen, leise, aber doch stets präsent. Dort, wo sich die Autobahnen Richtung Bern, Basel, Zürich und Luzern kreuzen, liegen Dörfer, welche die Schweiz vor allem aus den Staumeldungen kennt. Oensingen, Härkingen, Egerkingen. Genau in der Gegend – dem solothurnischen Gäu – soll sich künftig auch Cargo Sous Terrain ansiedeln.
Die Güter-U-Bahn Cargo Sous Terrain ist die grosse Vision in der Logistik: Sie soll Güter von A nach B umweltfreundlich und staufrei transportieren. Die Start-Etappe führt aus dem Gäu nach Zürich. 2031 soll sie bereits gebaut und in Betrieb sein. Im Vollausbau sollen die Tunnel von Genf bis St. Gallen und Basel nach Luzern führen. Dabei immer im Zentrum: das Gäu. Gleich drei sogenannte Hubs, also dort, wo die Güter in den Untergrund gebracht werden, sind derzeit in der Region geplant.
«Eine visionäre Idee», so bezeichnet Egerkingens Gemeindepräsidentin Johanna Bartholdi den Plan von Cargo Sous Terrain von Anfang an. Noch immer hält diese Begeisterung an. Denn: «Wir werden wohl nicht darum herumkommen, so unsere Strassen in der Schweiz zu entlasten», sagt Bartholdi.
«Das Projekt hat grosse Vorteile. Gerade wenn wir auf die ganze Schweiz schauen.»
Was Bartholdi anspricht: Cargo Sous Terrain kann potenziell die Strassen entlasten. Denn die Prognosen gehen von steigendem Güterverkehr aus, und das nicht nur wegen des wachsenden Onlinehandels. Vor diesem Hintergrund kann die geplante Güter-U-Bahn Engpässe entschärfen oder zumindest abfedern.
Für Fabian Gloor, Gemeindepräsident von Oensingen, ist deshalb klar: «Das Projekt hat grosse Vorteile. Gerade wenn wir auf die ganze Schweiz schauen.» Lärm, Verkehr, CO₂: All das könnte reduziert werden.
Die Angst vor noch mehr Verkehr
So positiv das Projekt für die Schweiz ist, für die Region selbst befürchtet Gloor Nachteile – vor allem noch mehr Verkehr. «Wir sind nun mal das Versorgungs-Valley der Schweiz. Und übernehmen da eine wichtige Aufgabe für die ganze Schweiz», so Gloor. Doch damit seien neben Vorteilen auch Unannehmlichkeiten verbunden: «Die Logistikfirmen, die sich hier ansiedeln, sind in den wenigsten Fällen gute Steuerzahler», so Gloor. Und die Wertschöpfung für die Region sei damit überschaubar.
Das Versorgungs-Valley also, angelehnt an das Silicon Valley. Man könnte es auch «Lagerhalle der Nation» nennen. Zwischen den Dörfern, direkt an der Autobahn und den Bahngeleisen, reihen sich Halle an Halle. H&M, Migros, Logistikriese Planzer: Sie alle haben sich in der Gegend niedergelassen. Die Post ist mit einem Brief- und einem Paketzentrum in der Region vertreten.
Wo die Reise hingeht, ist klar: Die Region wird über kurz oder lang noch stärker im Fokus der Logistikbranche sein. Gerade, wenn Cargo Sous Terrain kommen wird.
«Werden die Hubs bei den bereits heute bestehenden Niederlassungen von Logistikern gebaut, dann verschwindet ein Teil des Verkehrs aus diesen Firmen. Dafür müssen andere Unternehmen ihre Ware dorthin bringen», sagt Härkingens Gemeindepräsident Daniel Nützi. Sprich: Die Güter-U-Bahn verlagert zwar Transporte weg von der Oberfläche, aber an den Einstiegspunkten des Systems kommt es zu Gedränge.
Forderung nach Entschädigung
Für Nützi, Bartholdi und Gloor ist deshalb klar: Es braucht eine Entschädigung für die Region. «Wir müssen ja die Bevölkerung mitnehmen können. Und das erfordert bessere Aussichten als nur Mehrverkehr», sagt Gloor. «Wir übernehmen hier eine Aufgabe für die gesamte Schweiz, und das muss entschädigt werden», sagt Bartholdi dazu. Cargo Sous Terrain hat die Region selbstbewusst werden lassen.
Die regionale Gemeindepräsidentenkonferenz hat deshalb eine Hubsteuer gefordert, die allen Gemeinden in einem zu definierenden Radius geschuldet ist. «Es ist klar: Unser Standortvorteil ist die Lage in der Schweiz», sagt Bartholdi. Es sei aber wichtig, dass man in die Planung der Hubs frühzeitig einbezogen werde.
Was vor ein paar Jahren als illusorisch abgetan wurde, hat es innert kürzester Zeit geschafft, konkret zu werden. Am Dienstag hat der Ständerat ein entsprechendes Gesetz befürwortet, das als Grundlage für die Umsetzung nötig ist. Hinter dem Projekt stehen wichtige Player wie die Post, SBB Cargo, Swisscom, Coop, Migros, Mobiliar, Credit Suisse, DSV Panalpina. Die Mitglieder des Verwaltungsrats lesen sich wie das Who is Who der Schweizer Wirtschaft. Genug Kraft also, um das Projekt voranzutreiben.
«Unsere Region könnte für neue Firmen interessanter werden.»
Es ist folglich realistisch, dass unsere Güter dereinst unterirdisch von A nach B gebracht werden. Auf einen positiven Effekt hofft in diesem Fall Daniel Nützi: «Unsere Region könnte für neue Firmen interessanter werden. Gerade für produzierendes Gewerbe zum Beispiel ist es interessant, nahe an so einem Hub gelegen zu sein.»
Die Gemeinden hoffen also auf mehr Wertschöpfung, besser bezahlte Arbeitsplätze und damit am Ende mehr Steuersubstrat. Was sie nicht davon abhält, sich für eine Ausgleichssteuer starkzumachen.
Neue Zusammenarbeit in den Gemeinden
Über die Jahre hinweg haben die einzelnen Gemeinden oft ihr eigenes Süppchen gekocht. Sie haben versucht, von den Logistikfirmen zu profitieren, etwa über Infrastrukturabgaben, die Firmen zu leisten haben. Die Folge war nicht zuletzt Missgunst zwischen den Dörfern. Doch das hat sich offenbar geändert.
So hätte nicht zuletzt das Cargo-Projekt bereits etwas Positives gebracht, sagt Daniel Nützi. Anders als noch vor 15 bis 20 Jahren gehe man nun koordinierter vor in der Region. Forderungen würden gemeinsam gestellt, Auswirkungen auf die ganze Region gemeinsam besprochen.
Sicher ein Vorteil, wenn man eine Steuer durchsetzen will.
Fehler gefunden?Jetzt melden.