Schutz von MinderheitenMit 500’000 Franken gegen Hassattacken
Erstmals wurden Bundesgelder für Einrichtungen gesprochen, die besonders durch terroristische Angriffe bedroht sind. Der Schwulenverband Pink Cross ist allerdings leer ausgegangen.
Wer in besonderem Mass bedroht ist, braucht besonderen Schutz. Mit dieser Prämisse gelangten die Schweizer Juden 2015 an den Bundesrat, nachdem im Gefolge des «Charlie Hebdo»-Attentats auch jüdische Einrichtungen und Personen Opfer von islamistischen Attentaten geworden waren.
Rund fünf Jahre später wird die Forderung nach Unterstützung umgesetzt. Per Ende Juli 2020 bezahlt der Bund 500’000 Franken an insgesamt elf Organisationen, wie das Bundesamt für Polizei (Fedpol) am Freitag in einer Medienmitteilung schreibt. Welchen Religionen die begünstigten Organisationen angehören und ob auch nicht religiöse Minderheiten darunter sind, gibt das Fedpol nicht bekannt. Laut Verordnung können Minderheiten unterstützt werden, die sich durch Lebensweise, Kultur, Religion, Tradition, Sprache oder durch ihre sexuelle Orientierung definieren. Also beispielsweise auch Schwulen- und Lesbenverbände, was naheliegend wäre. Schwule sind in jüngster Zeit häufig angegriffen worden.
Welchen Religionen die begünstigten Organisationen angehören, sagt der Bund nicht.
Es würde dem Sicherheitsgedanken zuwiderlaufen, wenn der Bund irgendwelche Angaben zu den Empfängern der Beiträge machen würde, sagt Fedpol-Sprecherin Sibyl Kurz. Nur so viel: Gemäss Nachrichtendienst des Bundes seien in der Schweiz besonders jüdische und muslimische Personen und Einrichtungen durch terroristische Aktionen bedroht.
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), der die Verordnung mit seiner Intervention von 2015 initiiert und den politischen Prozess zur Umsetzung eng begleitet hatte, bestätigt, dass die meisten Gesuche jüdischer Einrichtungen genehmigt worden seien. Insofern sei man beim SIG zufrieden, sagt Generalsekretär Jonathan Kreutner. Ausserdem hätten auch die Kantone Zürich, Basel-Stadt, Aargau, Bern und Waadt Beiträge gesprochen, ebenso die Städte Biel, Zürich, Lausanne und Winterthur.
Eine kleine Umfrage der Redaktion zeigt: Der Schwulenverband Pink Cross hatte sich zusammen mit der Aidshilfe Schweiz um einen Bundesbeitrag beworben – ohne Erfolg, wie Pink-Cross-Sprecher Roman Heggli sagt. Das Geld wäre für Selbstverteidigungskurse gedacht gewesen, der Bund wolle aber ausschliesslich bauliche und technische Massnahmen mitfinanzieren, was für Pink Cross natürlich enttäuschend sei. Die Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids) habe kein Gesuch gestellt, sagt Sprecher Önder Günes. Man überlege sich das aber für die nächste Periode, denn der Bedarf sei vorhanden.
Bundesrat änderte seine Haltung
Der Umsetzung des Minderheitenschutzes gingen jahrelange politische Auseinandersetzungen voraus. Zunächst anerkannte der Bundesrat in einem Bericht von Ende 2016 zwar das erhöhte Schutzbedürfnis jüdischer Einrichtungen, lehnte eine Bundesbeteiligung an den Schutzmassnahmen jedoch ab – mit Verweis auf die fehlende gesetzliche Grundlage und dem Vorschlag, jüdische Organisationen könnten die Massnahmen selber finanzieren. Das sorgte für heftige Kritik, weil der Bundesrat damit das antisemitische Klischee des finanzstarken Judentums befeuerte; aber auch, weil der Staat laut Verfassung für den Schutz seiner Bürger verantwortlich ist.
Artikel 386 erlaubt es dem Bund, präventiv Massnahmen zu ergreifen, um Straftaten zu verhindern.
Der Bundesrat änderte danach seine Haltung, befürwortete zwei Vorstösse aus dem Parlament, die ihn zum Handeln aufforderten, und setzte im Frühling 2017 eine Arbeitsgruppe ein, die sich während eines Jahres mit der rechtlichen Umsetzung befasste. In dieser Arbeitsgruppe sassen neben den Spezialisten des Bundes Vertreter jüdischer und muslimischer Organisationen.
Gesetzliche Grundlage für die Bundesbeiträge war dann schliesslich das Strafgesetzbuch. Artikel 386 erlaubt es dem Bund, präventiv Massnahmen zu ergreifen, um Straftaten zu verhindern. Gesprochen werden die Gelder in erster Linie für bauliche Massnahmen, etwa die sogenannte Härtung von Türen oder Fenstern.
Der SIG sei froh, dass die Diskussion breit geführt werde, auch mit Blick auf andere Minderheiten, sagt Jonathan Kreutner. Welche anderen nun besonders bedroht sind und begünstigt werden, bleibt vorerst geheim. Was sicher ist: Für jüdische Einrichtungen ist das Thema so aktuell wie 2015. So zeigte eine Anfang Juli publizierte Studie der ZHAW, dass von 500 befragten Juden in der Schweiz jeder zweite in den letzten Jahren antisemitische Belästigungen erlebt hat. Am stärksten verbreitet waren beleidigende oder bedrohliche Kommentare.
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