Politische Kriminalität in Deutschland«Die höchste Gefahr geht von rechts aus»
Der deutsche Innenminister Horst Seehofer ist besorgt über die starke Zunahme politisch motivierter Straftaten – und über den grassierenden Antisemitismus.
Vor einem Jahr ermordete ein Neonazi in Kassel den CDU-Politiker Walter Lübcke, vor sieben Monaten griff in Halle ein Rechtsextremist eine Synagoge an und erschoss zwei Menschen, vor drei Monaten tötete ein Rassist in Hanau zehn Menschen: Eine vergleichbare rechtsextreme Mordserie hat Deutschland in jüngerer Vergangenheit nicht gesehen.
«Die grösste Gefahr geht heute von rechts aus», bilanzierte der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU), als er am Mittwoch in Berlin die Polizeistatistik für das vergangene Jahr vorstellte. Der Thüringer Georg Maier (SPD), der derzeit der Innenministerkonferenz der Bundesländer vorsteht, wies darauf hin, dass man es mit einer «neuen Dimension» zu tun habe, was die Bedrohung für die Demokratie angehe. Man habe rechtsextremistische Strukturen zu lange nicht ernst genug genommen und nicht entschieden genug bekämpft. Die Tatsache, dass sich Extremisten heute vor allem im Internet radikalisierten, mache die Aufgabe nicht leichter.
Auch mehr Delikte von links
Gemäss der amtlichen Statistik gab es lediglich 2016 noch mehr Fälle politisch motivierter Kriminalität als im vergangenen Jahr. Rechtsextremisten verübten mehr als die Hälfte von ihnen, rund 22’000. Das waren fast 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Noch stärker stiegen die Straftaten durch Linksextreme, nämlich um 24 Prozent auf fast 10’000. Islamisten, zum Vergleich, begingen 27,5 Prozent weniger Delikte als im Vorjahr.
Mehr antisemitische Delikte denn je
Trotz des Anstiegs der politisch motivierten Kriminalität und der rechtsextremen Mordserie der letzten Monate nahm die Summe an Gewalttaten erstaunlicherweise ab: bei Linksextremisten um 21,5 Prozent, bei Rechtsextremisten um fast 15 Prozent. Rechtsextremisten begingen 2019 doppelt so viele Körperverletzungen (828) wie Linksextreme (405).
Bei den antisemitischen Straftaten verzeichneten die Behörden im vergangenen Jahr eine Zunahme um 13 Prozent auf mehr als 2000. Es ist dies der höchste Stand, seit man die Zahlen überhaupt zentral erhebt, seit 2001 also. Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Regierung, schliesst daraus zweierlei: Offenbar gebe es in der Gesellschaft einen latent vorhandenen Antisemitismus, der sich nur schwer zurückdrängen lasse. Zum anderen seien augenscheinlich immer mehr Zeugen und Betroffene bereit, antisemitische Straftaten anzuzeigen. Mehr als 9 von 10 Fällen rechnet die Polizei rechtsextremen Tätern zu.
Neue Hetzwelle wegen Corona
Um ein Drittel zugenommen haben 2019 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger, Bürgermeisterinnen oder Gemeindepolitiker etwa. Die Corona-Krise habe dabei gerade zu einer neuen Serie von Bedrohungen und Beschimpfungen geführt, die Verantwortungsträger auf allen Ebenen des Staats treffe, sagte Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamts. Man sehe das mit zunehmender Sorge.
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