Kohäsionsbeitrag der SchweizBrüssel fordert schon die nächste Milliarde
Das eidgenössische Parlament könnte die zweite Kohäsionsmilliarde möglicherweise doch früher freigeben, doch nun fordert die EU schon die nächste Tranche. Aus New York protestiert Bundespräsident Guy Parmelin gegen die neue Forderung.
Aussenminister Ignazio Cassis bekommt nun in Brüssel den Ansprechpartner für den politischen Dialog, den der Bundesrat nach dem Scheitern des Rahmenabkommens lancieren will. Ursula von der Leyen habe ihn beauftragt, sich um das Schweiz-Dossier zu kümmern, bestätigte Maroš Šefčovič, Vizepräsident der EU-Kommission. Gleichzeitig machte der Slowake nach dem Treffen mit den Europaministern der Mitgliedsstaaten erstmals deutlich, was die EU von der Schweiz als Preis für den Dialog erwartet. Nicht nur soll die Schweiz unverzüglich die zweite Kohäsionsmilliarde freigeben. Brüssel will auch schon über die dritte Tranche reden.
«Für uns geht es nicht nur darum, dass die Schweiz diese Schuld begleicht», sagte der Stellvertreter der Kommissionschefin in Brüssel. Aus der Sicht der EU ist die Milliarde seit 2012 fällig. Auch die künftigen finanziellen Beiträge der Schweiz seien wichtig. Vor den Europaministern wurde der Slowake dem Vernehmen nach noch deutlicher: Es brauche einen Mechanismus, damit die Schweiz ähnlich wie die EU-Mitglieder und die EWR/Efta-Staaten ihren Beitrag zur Kohäsionspolitik nahtlos und parallel zum siebenjährigen Finanzhaushalt der EU entrichte. Tatsächlich zahlen Norwegen, Island und Liechtenstein nicht nur verhältnismässig deutlich mehr, sondern sind auch schon bei der dritten Kohäsionstranche.
Eine Altschuld?
Die EU-Kommission hatte schon bei den Verhandlungen über das Rahmenabkommen vergeblich versucht, den Mechanismus für regelmässige Schweizer Kohäsionsbeiträge rechtlich zu verankern. Nun bekommt der Bundesrat die Forderung neu serviert, sozusagen als Auftakt für den politischen Dialog. Der neue siebenjährige Finanzrahmen der EU gilt ab 2021. Aus der Sicht Brüssels ist die zweite Tranche deshalb nichts anderes als eine Altschuld aus der abgelaufenen Finanzperiode. Aus Schweizer Sicht war der Kohäsionsbeitrag hingegen immer freiwillig und kein Automatismus.
Der Kohäsionsbeitrag sei der Preis dafür, dass die Schweiz am EU-Binnenmarkt teilhaben und die Vorteile nutzen könne, bekräftigte Šefčovič: «Wenn Sie sehen, was Norwegen leistet, können Sie verstehen, dass wir das auch von einem so wohlhabenden Land wie der Schweiz erwarten», sagte der Kommissionsvize. Am Rande der UNO-Vollversammlung auf die neue Forderung aus Brüssel angesprochen, wies Bundespräsident Guy Parmelin den Vergleich zurück. Man könne die Schweiz nicht mit Norwegen vergleichen. Die Schweiz habe zum Beispiel aus der eigenen Tasche mehr als 20 Milliarden Franken in die Alpentransversale investiert. Deshalb müsse man die ganze Beziehung auf politischer Ebene diskutieren.
Für die EU ist die Zusage für einen regelmässigen Kohäsionsbeitrag möglicherweise auch die Bedingung dafür, dass die Schweiz sich bei Horizon Europe wieder voll assoziieren kann. Brüssel hat sich bisher jedenfalls bedeckt gehalten, ob die Überweisung der zweiten Tranche von 2012 für eine Rückkehr zum EU-Forschungsprogramm reicht.
Streitschlichtung bleibt auf dem Tisch
Maroš Šefčovič machte auch deutlich, dass für die EU die institutionellen Fragen nach dem Abbruch beim Rahmenabkommen unverändert auf dem Tisch bleiben. Die bilateralen Abkommen seien seit zwanzig beziehungsweise fünfzehn Jahren in Kraft, sagte der Kommissionsvize. Seither sei viel geschehen. Gleich lange Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt seien wichtig, gerade mit Blick auf die starken Schweizer Firmen. Die EU brauche mit der Schweiz einen Streitschlichtungsmechanismus und ein Forum, um über Staatsbeihilfen zu reden. Die Staatsbeihilfen waren neben der Streitschlichtung und dem Lohnschutz einer der Knackpunkte beim Rahmenabkommen.
Sobald die Schweiz bereit sei, in einer «substanziellen Diskussion» diese Fragen zu regeln, stehe er bereit, sagte der 55-Jährige: «Wir wollen die bestmögliche und engste Beziehung mit der Schweiz.» Die EU sei geduldig, aber der Ball sei im Feld der Schweiz. Maroš Šefčovič informierte am Mittwoch die Europaminister über die letzten Kontakte mit der Schweiz. Zuletzt waren die Efta/EU-Delegation des Parlaments und Staatssekretärin Livia Leu für informelle Gespräche in Brüssel. Nach der Präsentation der Kommission vor den Europaministern meldete sich nur die Vertreterin Österreichs kurz zu Wort. Es sei wichtig, dass beide Seiten im Gespräch blieben und sich bewegten, hatte Staatssekretärin Karoline Edtstadler im Vorfeld gesagt.
Maroš Šefčovič ist als einer der Stellvertreter von Ursula von der Leyen bereits für die Umsetzung des Brexit-Abkommens mit London zuständig. Der Slowake hatte vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in Bratislava und Moskau unter anderem internationale Beziehungen studiert. Seit 2009 ist der dreifache Familienvater Mitglied der EU-Kommission. Der Sozialdemokrat war 2019 erfolglos bei den Präsidentschaftswahlen in seiner Heimat angetreten. Šefčovič gilt als freundlich im Umgang, aber hart in der Sache. Er dürfte für Bundesrat Ignazio Cassis kein einfacher Gesprächspartner werden.
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