Brics-Gipfel in KasanDas Staaten-Netzwerk um Russland und China gewinnt an Kraft
Flexibilität und Opportunismus statt traditionelle Blockbildung: Die Bedeutung der Brics-Gruppe wächst. Der Westen sollte sich vorsehen.
Der Brics-Gipfel in Kasan vom 22. bis zum 24. Oktober symbolisiert das wachsende geopolitische Gewicht dieser Staatengruppe. Brics, einst als wirtschaftliche Kooperation zwischen Brasilien, Russland, Indien und China entstanden, umfasst heute fast die Hälfte der Weltbevölkerung und ein Drittel des globalen Bruttoinlandprodukts (BIP).
Doch Brics steht nicht unter Druck, sich als Machtblock zu beweisen. Das Bündnis hat sich als flexible Plattform etabliert, die keine demonstrativen Entscheidungen erfordert. Obwohl dieses Jahr generell keine neuen Staaten aufgenommen wurden, ist die Anziehungskraft von Brics hoch. China gibt im Alltag der Gruppe nicht den Ton an. Es wird ein Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Interessen der Mitglieder angestrebt. Doch China spielt strategisch eine tragende Rolle.
Brics wird die westliche, insbesondere die amerikanische Dominanz weiter herausfordern. Der Globale Süden sieht sich in den grossen internationalen Institutionen unterrepräsentiert. Dieses Narrativ dient Brics als rhetorische Grundlage. Brics ist jedoch keine homogene Einheit. Teilweise konfliktbeladene Beziehungen treffen aufeinander. Mit Brics wird jedoch eine strategische Konvergenz gesucht, die über alltägliche, taktische Befindlichkeiten hinwegsieht. Dabei erweist sich die Mischung aus eher autoritären und eher demokratischen Staaten sogar als Stärke. Jedes Land kann seine spezifische Rolle spielen, wobei die Vielfalt immer zur strategischen Erzählung beiträgt. Diese pragmatische Herangehensweise erlaubt es dem Verbund, Unterschiede nicht als Hindernis, sondern als Vorteil zu nutzen.
Ein Netzwerk, das nicht nur Staatsoberhäupter umfasst
Brics kann also als Konglomerat verstanden werden, welches durch eine Matrix bilateraler, minilateraler und multilateraler Beziehungen zusammengehalten wird. Diese Matrix bildet ein dichtes Netzwerk, das nicht nur die Staatsoberhäupter und Regierungschefs umfasst, sondern auch unterschiedliche Stufen der Administration, NGOs, Unternehmen und Universitäten. Der Austausch erfolgt auf vielen Ebenen und verläuft oft informell und pragmatisch. Die Themen reichen von Handel über Technologie bis hin zu Währung, Gesundheit, Ressourcen und Weltraum. Auch aus diesem Grund musste der diesjährige Brics-Gipfel nicht mit spektakulären Entscheidungen aufwarten. Brics kann sich Zeit lassen.
Die Brics-Ecosphäre hat für Russland strategische Vorteile ermöglicht. Ein Hauptziel von Brics ist es, das westliche Sanktionspotenzial zu mildern. So kann sich aktuell auch Russland auf dieses Ziel berufen und mit den Brics-Staaten wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen substituieren. Der Intra-Brics-Handel hat seit der Invasion in die Ukraine merklich zugenommen. Russland profitiert etwa vom Handel mit Öl mit Indien und von Technologietransfer mit China. Der Gipfel in Kasan war also auch in diesem Kontext eine Bühne, auf der Russland sich als vernetzt und anerkannt präsentieren konnte.
Brics steht also für eine «Ecosystem-Diplomatie», in der Flexibilität und opportunistische Interessenpolitik die traditionelle Blockbildung ablösen. Der Westen und damit auch die Schweiz müssen sich vorsehen, um mit dieser Dynamik und Kreativität Schritt halten zu können. Heute verliert derjenige den Anschluss, der keine stimmigen und offenen Geschichten produzieren kann, die mit innovativen Strukturen und Fakten schaffenden Events und Aktivitäten synchronisiert sind.
Urs Vögeli ist Co-Geschäftsführer des Thinktanks Swiss Institute for Global Affairs.
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