Mord an Krankenversicherer-ChefFührt ein Flirt auf die Spur des Todesschützen?
Die New Yorker Polizei jagt nach den tödlichen Schüssen auf Brian Thompson einen Mann mit Kapuze. Nun werden neue Details bekannt.
- Die Polizei veröffentlichte Fotos des mutmasslichen Mörders von United-Healthcare-Chef Thompson.
- Der Verdächtige soll sich mit gefälschtem Ausweis in einem Hostel eingemietet haben.
- Auf Patronenhülsen fanden Ermittler Begriffe, die auf Versicherungsstreitigkeiten hinweisen.
- Thompsons Tod führte zu heftigen Reaktionen und Kritik an United Healthcare.
Nach dem auf offener Strasse begangenen Mord am Chef des US-Konzerns United Healthcare hat die Polizei Aufnahmen vom Gesicht des mutmasslichen Täters veröffentlicht. Aufgenommen wurden sie von einer Sicherheitskamera in einem Hostel in der Upper West Side in New York. Eine Angestellte hatte den Mann zuvor gebeten, seine Gesichtsmaske abzunehmen. Er leistete der Aufforderung Folge und lächelte sie an.
Die Fotos zum kleinen Flirt sind bisher der wichtigste Hinweis bei der intensiven Fahndung nach dem Tatverdächtigen. Dieser soll sich mehrere Tage in dem Hostel aufgehalten haben und sich ein Mehrbettzimmer mit zwei Unbekannten geteilt haben. Ein dänischer Gast des Hostels zeigte sich erstaunt über die Unterkunftswahl, schliesslich gebe es im ganzen Haus Videokameras.
Laut US-Medienberichten reiste der Tatverdächtige rund zehn Tage vor dem Mord mit einem Bus, der in Atlanta gestartet war, nach New York. Offenbar checkte er mit einem gefälschten Ausweis in dem Hostel ein. Angestellte sagten, er habe fast immer eine Maske getragen, wenn er an der Rezeption vorbeigegangen sei.
Botschaft auf Patronen hinterlassen
Trotz einiger Hinweise und einer Belohnung von bis zu 10’000 US-Dollar ist der Täter nach wie vor flüchtig. Er schoss United-Healthcare-Chef Brian Thompson am Mittwochmorgen mit einer Pistole gezielt nieder, als dieser zu Fuss zur jährlichen Investorenkonferenz des Unternehmens in Manhattan unterwegs war. Danach flüchtete er erst zu Fuss und dann mit einem E-Bike. Der Tatort liegt in der Nähe von Touristenmagneten wie der Radio City Music Hall und dem Museum of Modern Art. Der Täter benutzte für die Tatwaffe einen Schalldämpfer. Das kommt sehr selten vor – auch wenn Hollywoodfilme etwas anderes propagieren. New Yorks Bürgermeister Eric Adams, der lange für die New Yorker Polizei gearbeitet hatte, sagte, er sei schockiert über den Einsatz eines Schalldämpfers.
Die Polizei stellte vor dem Hotel neben einem Handy und einer Wasserflasche mehrere 9-Millimeter-Patronen mit einer Botschaft sicher. Auf den Patronen hätten die Worte «deny», «defend» and «depose» gestanden, sagte ein Ermittler. Die Begriffe bedeuten sinngemäss «verweigern, leugnen», «verteidigen» und «absetzen, stürzen» – und beziehen sich mutmasslich auf die Art und Weise, wie US-Krankenversicherungen versuchen, die Zahlung von Patientenansprüchen zu vermeiden. 2010 veröffentlichte der emeritierte US-Professor Jay M. Feinman ein Buch mit dem Titel «Delay, Deny, Defend», in dem er diese Vorgänge erläutert. Feinman wollte sich auf Anfrage der BBC nicht zum Fall äussern.
United Healthcare, einer der grössten Krankenversicherer des Landes, ist von Patienten, Anwälten und Ärzten für die Ablehnung von Ansprüchen immer wieder heftig kritisiert worden. Laut der «New York Times» kann der milliardenschwere Versicherer sich weigern, eine medizinische Behandlung zu bezahlen, auch wenn ein Arzt oder ein Krankenhaus feststellt, dass ein Patient diese benötigt. Die Ablehnung könne vor oder nach der Behandlung erfolgen. Wie «Forbes» gestützt auf die neusten Zahlen berichtet, weigert der Konzern sich in geschätzt einem Drittel aller Fälle, zu zahlen.
Thompson äusserte vor Mitarbeitern Kritik
Thompsons Tod löste deshalb gegensätzliche Reaktionen in den USA aus. In den sozialen Medien gab es eine Flut von Kritik an United Healthcare. So schrieb eine Tiktok-Nutzerin, die offenbar als Notfallpflegerin arbeitet, sie habe miterlebt, wie sterbende Patienten von der Versicherung abgelehnt worden seien. Das habe sie krank gemacht. «Ich kann deshalb kein Mitgefühl empfinden, weil ich an all die Patienten und ihre Familien denken muss.»
Laut der «New York Times» war Thompson aber kein Hardliner ohne Zweifel. Sie zitiert einen United-Healthcare-Mitarbeiter, der sagt, Thompson habe vor der Belegschaft darüber gesprochen, den Zustand der Gesundheitsversorgung im Land und die Kultur des Unternehmens zu ändern. Andere Führungskräfte hätten diese Themen vermieden.
Rund zwölf Stunden nach dem tödlichen Attentat in New York gab es eine Bombendrohung an Thompsons Wohnort in Maple Grove, Minnesota. Diese richtete sich offenbar gegen seine Familie. Witwe Paulette Thompson sagte, ihr Mann habe ihr gesagt, dass ihn Personen bedroht hätten. Details lägen ihr nicht vor. Sie deutete aber an, dass Probleme mit der Krankenversicherung eine Rolle gespielt haben könnten.
nlu
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