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Untersuchung zur Partygate-Affäre
Boris Johnson droht Hausverbot im Unterhaus

Ein Bild zur Partygate-Affäre: Boris Johnson trinkt mit Mitarbeitenden im Regierungssitz Downing Street – trotz Corona-Regeln seiner eigenen Regierung.

Vernichtender hätte das Urteil nicht ausfallen können über Boris Johnson. Der frühere Premierminister habe das britische Parlament mehrfach bewusst irregeführt und es als Institution total verachtet, befanden die sieben Abgeordneten des zuständigen Unterhausausschusses. Der heute veröffentlichte Bericht bestätigt, was alle Welt lange schon vermutet hatte: nämlich dass Johnson genau wusste, dass verbotene Lockdown-Partys in der Regierungszentrale stattgefunden hatten, als er das wieder und wieder bestritt im Unterhaus.

Fazit des Berichts war, dass Johnson den Parlamentariern schlicht kecke Lügen aufgetischt hatte. Und dass es auch nicht stimmte, was er gleichfalls hartnäckig behauptete – nämlich dass ihm seine Top-Beamten immer versichert hätten, er habe sich brav an alle Vorschriften gehalten. Davon, erklärte der Ausschuss, könne keine Rede sein.

Der 106 Seiten lange Bericht lässt keinen Zweifel daran, für wie gravierend seine Autoren das Lügengespinst hielten, mit dem Johnson das Parlament ihrer Ansicht nach umgarnt hatte, statt die Wahrheit zu sagen «in einer so ernsten Situation» wie der Corona-Pandemie. Vollkommene «Missachtung des Parlaments» warfen ihm die sieben über ihn zu Gericht sitzenden Parlamentarier vor, von denen vier immerhin seiner eigenen Partei angehören. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Johnson ist moralisch nicht fähig, unser Land zu führen».)

Höhere Strafe geplant

Johnson habe auch den Ausschuss selbst zu täuschen gesucht. Er habe mit üblen Attacken die Legitimität des Parlaments infrage gestellt und sich an einer Kampagne zur Einschüchterung von Ausschussmitgliedern beteiligt. Das sei «ein Angriff auf unsere demokratischen Institutionen», befand das Gremium scharf.

Wäre Boris Johnson zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts noch Abgeordneter gewesen, hätte der Ausschuss dem Unterhaus empfohlen, ihn zur Strafe für die Rekorddauer von 90 Sitzungstagen zu suspendieren – was eine Nachwahl in seinem Wahlkreis Uxbridge erforderlich gemacht hätte.

Aber natürlich war Boris Johnson an diesem Tag schon nicht mehr Mitglied des Unterhauses. Als ihm der Ausschuss den Bericht vorab zur Stellungnahme vorlegte, beschloss er, gar nicht erst auf dessen Veröffentlichung und auf eine Abstimmungskraftprobe im Unterhaus oder in seinem Wahlkreis zu warten.

Johnson spricht von «grotesken» Schlussfolgerungen und «verrückten» Strafen des Untersuchungsausschusses.

Stattdessen zog er am letzten Freitagabend in kalter Wut über den Ausschuss her, in dem er nichts sah als einen «kangoroo court», ein Scheingericht, eine üble Verschwörung. Die reinste «Hexenjagd» habe man veranstaltet, polterte er, «nur um mich aus dem Parlament zu treiben». Prompt gab Johnson, bevor es ihm genommen werden konnte, sein Abgeordnetenmandat zurück. So wird nun, wenn das Parlament am kommenden Montag über den Ausschussbericht abstimmt, eine Suspendierung keine Rolle mehr spielen.

Schliesslich hat der Ex-Premier seinen Unterhaussitz bereits geräumt. Als Verschärfung der ursprünglichen Strafe ist allerdings geplant, Johnson nun auch den Parlamentspass zu verweigern, über den ehemalige Abgeordnete normalerweise verfügen und der ihnen freien Zugang zu ihrer alten «Arbeitsstätte» gewährt. Boris Johnson soll in Westminster Hausverbot erhalten.

Irreführung des Parlaments: Kapitel aus dem Untersuchungsbericht des Unterhauses.

Mit ihren «grotesken» Schlussfolgerungen und ihren «verrückten» Strafen, meinte dazu Johnson, holten seine Gegner jetzt offenbar «zu einem letzten Dolchstoss bei ihrem politischen Mordanschlag» aus. Noch sehr viel härter treffen würde den früheren Premierminister freilich eine Massnahme, die eine Grosszahl von Tories inzwischen ihrem Partei- und Regierungschef abverlangt.

Rishi Sunak soll dafür sorgen, dass Boris Johnson – sein früherer Boss – sich nirgendwo im Land mehr als konservativer Kandidat um eine Wiederwahl bewerben kann. Immerhin hatte Johnson selbst bei seiner Tirade vom vorigen Freitag gesagt, er ziehe sich nur «vorläufig» aus der Frontlinie der britischen Politik zurück. Dem Boulevardblatt «Daily Express», das ihn unterstützt, vertraute er an: «Ich komme wieder.»

Johnson-Loyalisten geben sich kämpferisch

Das wollen die meisten seiner Ex-Kolleginnen und -Kollegen unbedingt verhindern. Johnson solle endlich «die Schnauze halten und verschwinden», erklärte der Tory-Abgeordnete Tim Loughton, ein ehemaliges Regierungsmitglied und ein Brexit-Hardliner. Energieminister Grant Shapps bediente sich einer etwas feineren Sprache. Die Welt, sagte er, habe sich «weiterbewegt» seit der Johnson-Ära. Johnson finde in Zukunft sicher «jede Menge anderes» zu tun.

Generell herrscht Erleichterung über das klare Urteil des Ausschusses und den bereits erfolgten Abgang des Ex-Premiers in den Tory-Reihen. Nur eine kleine, aber lautstarke Gruppe von Johnson-Getreuen in der Fraktion – das Fähnlein der letzten Loyalisten – zeigt sich unbeirrt. Ex-Minister Jacob Rees-Mogg drohte Sunak mit «Bürgerkrieg», sollte er eine erneute Kandidatur Johnsons irgendwann verhindern.

Zu einem «noch unbestimmten Zeitpunkt» werde der vormalige Held der Partei, der den Konservativen 2019 einen Wahltriumph beschert und den Brexit durchgesetzt hatte, eine ausgezeichnete «Chance für ein Comeback» haben, meinte Rees-Mogg.

Jüngsten Umfragen zufolge wollen 56 Prozent aller Wählerinnen und Wähler Boris Johnson «im Parlament nicht mehr sehen».

Fürs Erste wollen Johnson und seine geschrumpfte Gefolgschaft dem «Tory-Establishment» um Sunak das Leben möglichst schwer machen – zum Beispiel durch zeitlich clever ausgelöste parlamentarische Nachwahlen und durch Druck in einzelnen Wahlkreisen bei der dortigen Kandidatenwahl. Johnson selbst könnte auf dem Tory-Parteitag im Oktober neu Widerstand mobilisieren, glauben seine Verbündeten.

Unter Tory-Aktivisten geniesse er noch immer starke Sympathien. Mit öffentlichen Auftritten und erneuten regelmässigen Kolumnen in der Rechtspresse könne er die Regierung permanent sticheln und Sunak weiter attackieren. Selbst über die Gründung einer neuen Partei wird spekuliert.

Die meisten Tory-Abgeordneten, und fast alle Kommentatoren in Grossbritannien, halten das allerdings für reines Wunschdenken. Nach dem ebenso vernichtenden wie spektakulären Urteil seiner ehemaligen Kollegen über seinen Charakter und sein Verhalten können sich nur sehr wenige Briten noch eine Rückkehr Johnsons auf die Höhen der britischen Politik vorstellen. Jüngsten Umfragen zufolge wollen bereits 56 Prozent aller Wählerinnen und Wähler Boris Johnson «im Parlament nicht mehr sehen».