Wein-Boom am EndeBordeaux hat ein Imageproblem – jetzt vernichten die Winzer ihre Reben
Weinbauern wie Stéphane Gabard verkaufen nicht mehr so viel, wie sie produzieren. Nun bekommen sie Geld vom Staat, wenn sie ihre Stöcke ausreissen. Was läuft da im Bordelais?
Es sieht fast ein bisschen zärtlich aus, wie Stéphane Gabard die Knospen in die Hand nimmt. Nicht zu fest drücken, sonst gehen sie kaputt. Im September werden die kleinen grünen Dinger ausgewachsene rote Trauben sein. Merlot. Dann wird Gabard sie ernten und in der Halle nebenan pressen.
Etwa 300’000 Flaschen Wein pro Jahr produziert er auf seinem Château, wie die Weingüter in der Region um Bordeaux heissen. Hinter dem Haus wachsen 42 Hektaren Reben. Wo Gabards Weinstöcke aufhören, kann man, selbst wenn man mittendrin steht, nur erahnen. Und das wird langsam zum Problem.
Im Herbst wird Stéphane Gabard (48) nicht nur Wein machen, sondern auch eine Maschine mieten, um einen Teil seiner Reben auszureissen. Wahrscheinlich fünf bis zehn Hektaren, also bis zu ein Viertel der Fläche. Das Ganze wird sogar vom französischen Staat subventioniert, 6000 Euro bekommt er pro Hektare.
«Natürlich bricht mir das Herz, wenn ich daran denke», sagt Gabard. «Ich bin ja Winzer geworden, um Reben zu pflanzen, nicht, um sie zu vernichten.» Aber es müsse eben sein.
Ein Zehntel der Rebfläche soll vernichtet werden
Die Winzer aus dem Bordelais hatten sich im vergangenen Herbst selbst dafür eingesetzt, dass sie für das Ausreissen ihrer Reben Geld bekommen. Der Staat, die Region und der Branchenverband wollen sie nun mit fast 60 Millionen Euro unterstützen.
9500 Hektaren sollen insgesamt vernichtet werden, das ist knapp ein Zehntel der Rebfläche im Bordelais. Ein Teil des überschüssigen Weins soll zu Industriealkohol destilliert werden, auch dafür soll es Zuschüsse von der Regierung und der EU geben.
«Weil das Angebot grösser ist als die Nachfrage. So einfach», sagt Stéphane Gabard. Die Region um Bordeaux hat ein Problem mit Überproduktion. Schon seit Jahren wird dort mehr Wein hergestellt als verkauft. Viele Winzerinnen und Winzer müssen ihre Weine billiger machen, um sie loszuwerden – oder bleiben ganz auf ihren Flaschen sitzen.
Das schadet nicht nur den Weingütern, sondern dem Renommee der ganzen Region. Und das in einem der berühmtesten Anbaugebiete der Welt. Nach Angaben des Branchenverbands der Bordeaux-Winzer werden pro Sekunde auf der Welt 18 Flaschen Bordeaux verkauft. Der Weinbau im Bordelais erwirtschaftet einen Jahresumsatz von vier Milliarden Euro und sichert 48’000 Arbeitsplätze.
Und ausgerechnet diese Region steckt jetzt in der Krise?
«Alle wollten immer mehr. Niemand hätte damit gerechnet, dass der Boom irgendwann nachlassen würde.»
In Saint-Émilion, dem berühmten Weindorf ein paar Kilometer von Stéphane Gabards Weingut entfernt, pilgern die Touristen schon Ende April in kurzen Hosen zu den Verkostungen. Fast jedes Geschäft verkauft hier Wein, ein kleines Glas kostet schon mal 20 Euro. Wer von der Aussichtsplattform in der Dorfmitte über die kilometerlangen Reben schaut, merkt schnell: Diese Region lebt vom Wein.
Das Château, das Stéphane Gabard und seine Frau führen, ist ein altes Steinhaus mit weissen Fensterläden. Drum herum nur Reben und andere Weingüter. «Dégustation/Visite» steht auf einem Schild, das vor der Einfahrt steht. Man kann hier direkt vor Ort probieren. Das Weingut der Gabards liegt auf der rechten Seite der Dordogne, des Flusses, der die Region trennt. Auf der anderen Seite, im Médoc, wachsen die noblen Grands Crus, da liegen die Weingüter mit den grossen Namen, Château Lafite Rothschild, Château Margaux.
Die Weine, die Stéphane Gabard produziert, heissen Bordeaux und Bordeaux Supérieur, es sind unkomplizierte Trinkweine. Die teuerste Flasche bei ihm im Hofladen kostet 13,30 Euro, und das ist eine Magnumflasche mit anderthalb Litern. Es sind die einfachen Winzer wie Stéphane Gabard, die im Moment leiden. Die grossen Châteaux haben keine Probleme. Die Luxusbranche boomt, für ihre Spitzenweine können sie immer mehr Geld verlangen.
Das Weingut von Stéphane Gabard stammt aus dem Jahr 1791. Schon sein Ururgrossvater hat hier Wein angebaut und hergestellt. Gabard übernahm 1999 den Betrieb. Seitdem hat er das Gut vergrössert, eine neue Produktionshalle gebaut, Reben zugekauft. Aus ursprünglich 15 Hektaren hat er 42 Hektaren gemacht.
«Damals wollten alle immer mehr. Niemand hätte damit gerechnet, dass der Boom irgendwann nachlassen würde.» In den Achtzigerjahren war die Rebfläche im ganzen Bordelais etwa 75’000 Hektaren gross, heute sind es knapp 110’000.
Aber der Boom hat nachgelassen. 30’000 Euro zahlte Gabard damals, um die Jahrtausendwende, pro Hektare Reben. Heute werde die gleiche Fläche für 5000 Euro angeboten und finde trotzdem keine Abnehmer, sagt er.
Ein Drittel der Winzer steckt in finanziellen Schwierigkeiten
Zwischen seinen eigenen Reben läuft Gabard jetzt ein Stück nach vorn und zeigt auf das Nachbargrundstück. Die Weinstöcke sind verdorrt, das Unkraut wächst fast einen halben Meter hoch. Die Besitzer, ein altes Ehepaar, hätten aufgegeben. Einfach aufgehört, sich um die Reben zu kümmern. Weil sich die Arbeit für den Preis nicht mehr lohnte. Und weil ein Nachfolger bei den Bedingungen sowieso nicht zu finden gewesen wäre.
In einer Befragung der Landwirtschaftskammer der Region gab vor kurzem fast ein Drittel der Winzer an, dass sie in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Etwa ein Viertel von ihnen könnte sich vorstellen, den Weinbau ganz aufzugeben.
Die Verkaufszahlen von Bordeaux sinken seit Jahren. Vor zehn Jahren wurden noch 5,6 Millionen Hektoliter verkauft, im vergangenen Jahr waren es knapp 4 Millionen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass immer weniger Rotwein getrunken wird. In den vergangenen zehn Jahren ist der Konsum in Frankreich um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Auch sonst trinken die Französinnen und Franzosen heute deutlich weniger Wein als früher. 1960 waren es im Durchschnitt noch 128 Liter pro Kopf pro Jahr, 2018 waren es nur noch 36 Liter.
«Der Bordeaux hat ein Imageproblem», sagt Stéphane Gabard. «Da denkt man schnell an reiche Grossväter.» Dabei gehe es heute gerade jüngeren Menschen eher darum, etwas Frisches, Unkompliziertes zum Aperitif zu trinken, und das seien eben eher Weissweine, Rosé oder Bier.
Auch Stéphane Gabard schafft es inzwischen nicht mehr, alle seine Rotweinflaschen loszuwerden. Etwa 10 bis 15 Prozent eines Jahrgangs bleiben im Durchschnitt übrig, schätzt er. Die Nachfrage nach Weisswein und Roséwein ist konstant geblieben. Gabard baut deshalb inzwischen mehr helle Trauben an, er hat den Anteil von zwei Prozent seiner Reben auf zehn Prozent hochgeschraubt.
Wegen der Pandemie sind die Exporte nach China eingebrochen
Aber die veränderten Trinkgewohnheiten sind nicht das einzige Problem. Auch die Welt hat sich in den vergangenen Jahren verändert, und das ist nicht unwesentlich für die Bordeaux-Weine, von denen immerhin 45 Prozent ins Ausland verkauft werden. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump verhängte 2019 Strafzölle auf einige europäische Weine, auch der Brexit hat den Export erschwert.
Durch den Krieg in der Ukraine und die Inflation sind die Flaschen und Etiketten teurer geworden, gleichzeitig haben die Leute weniger Geld, das sie für Weine ausgeben könnten.
Und dann ist da noch die Sache mit China und der Pandemie. Wegen Corona sind die Exporte von Bordeaux-Wein nach China eingebrochen. Die Zahl der verkauften Hektoliter hat sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als halbiert.
Eine Katastrophe für den Bordelais, für den der chinesische Markt in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden ist. Seit der Jahrtausendwende interessierten sich vermehrt reiche Menschen in China für Bordeaux, importierten Flaschen in grossem Stil, kauften ehemalige Familienbetriebe auf. Als Statussymbol und Wertanlage.
Ein Anruf bei der chinesischen Maklerin Li Lijuan, die für das Luxus-Auktionshaus Christie’s Anwesen im Bordelais vermittelt. Ihre Kunden sind finanzkräftige Unternehmer, Schauspieler, Erben. «Covid hat das Business getötet», sagt Li. Noch vor ein paar Jahren bestand ihr Job ausschliesslich darin, Weingüter für chinesische Investoren zu finden. Inzwischen muss sie ihnen auch dabei helfen, wenig rentable Häuser wieder loszuwerden.
Etwa 140 Châteaux wurden nach Schätzungen des Branchenverbands in den vergangenen Jahren an chinesische Investoren verkauft. Angesichts der etwa 9000 Weingüter in der Region ist das keine riesige Zahl, aber trotzdem bemerkenswert. Inzwischen wisse sie von etwa fünfzig Châteaux, sagt Maklerin Li, die schon wieder verkauft worden seien oder gerade zum Verkauf stünden.
Trotzdem ist China noch immer der wichtigste ausländische Markt für Bordeaux-Weine, im vergangenen Jahr wurden dorthin etwa 41 Millionen Flaschen verkauft, in die USA waren es 31 Millionen, nach Deutschland 17 Millionen.
«Winzer sein ist ein wunderschöner Beruf, aber wer weiss, wie lange man davon noch leben kann.»
Hat man im Bordelais zu lange auf Masse statt Klasse gesetzt? Das will der Winzer Stéphane Gabard nicht so stehen lassen. Man mache hier nach wie vor sehr gute Weine, auch abseits der berühmten Grands Crus. «Aber wir haben gedacht, dass der Markt immer weiter wachsen würde. Und das war falsch.» Bereut er inzwischen, dass er sich vor zwanzig Jahren so vergrössert hat? «Ja, das kann man schon so sagen.»
Stéphane Gabard hat zwei Söhne, 17 und 19 Jahre alt. Der Ältere hat sich schon gegen das Weingut entschieden, er studiert in Bordeaux Medizin. Der Jüngere hat noch keine Zukunftspläne. Stéphane Gabard wäre enttäuscht, wenn der Familienbetrieb mit ihm zu Ende gehen würde. Aber er weiss auch nicht, was er seinem Sohn raten soll. «Winzer sein ist ein wunderschöner Beruf, aber wer weiss, wie lange man davon noch leben kann.»
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