Crash am FinanzmarktBitcoin versagt als Inflationsschutz
Seit Anfang Jahr liegen fast alle Anlagekategorien tief im Minus. Und klar ist: Kryptowährungen sind nicht das versprochene «digitale Gold».
Es war ein Ausverkauf auf breiter Front. Der April war der zweitschlechteste Monat für Aktienanlagen seit 1976. Und diesmal wurden die Verluste nicht mit Gewinnen auf Obligationen kompensiert. Im Gegenteil, die Anleihenmärkte erwischte es noch härter.
Seit Anfang Jahr haben lang laufende US-Staatsanleihen fast 30 Prozent an Wert eingebüsst, noch mehr als der Index der Technologiebörse Nasdaq. Es war der schlimmste Jahresstart für US-Staatsanleihen seit mehr als 200 Jahren, wie der Vermögensverwalter DWS feststellt.
Schweizer Staatsanleihen, der Inbegriff von Sicherheit, büssten seit Jahresbeginn 12 Prozent ein, mehr als Schweizer Aktien. Stark im Plus liegen nur Rohstoffanlagen.
In der Regel gewinnen Aktien, wenn Anleihen verlieren – und umgekehrt. Seit 1976 habe sich diese Regel in 84 Prozent aller Börsenmonate bestätigt, schreibt Burkhard Varnholt, Anlagestrategiechef der Credit Suisse Schweiz, in seinem neusten Wochenbericht. «Nur einmal, im Mai 1994, war der kombinierte Verlust aus Aktien und Anleihen grösser als im letzten Monat April.»
Durch die Aufteilung der Investitionen auf verschiedene Anlagekategorien können Anlegerinnen und Anleger ihre Risiken verteilen. Das scheint aktuell nicht mehr richtig zu funktionieren.
Fast 30 Prozent eingebüsst
Das gilt auch für Kryptowährungen. Bitcoin wird von seinen Anhängern als «digitales Gold» bezeichnet. Gemäss dem Narrativ, das im Internet und in den sozialen Medien dominiert, soll es eine Zuflucht bieten, wenn die Inflation überhandnimmt und die Regierungen Privatvermögen konfiszieren. Bitcoin werde Gold als Absicherung gegen Inflation ersetzen, heisst es.
Jetzt sind die Inflationsraten in den USA und im Euroraum auf Werte gestiegen, die man seit den 70er-Jahren nicht mehr gesehen hat. Und mit den Sanktionen gegen Russland greifen die Staaten nach den Vermögen von Oligarchen. Der Bitcoin-Kurs müsste in die Höhe schiessen, würden die Annahmen zutreffen.
Doch der Dollar – in den Augen von Kryptoanhängern als Papierwährung dem Untergang geweiht – hat gegenüber dem Franken seit Anfang Jahr mehr als 8 Prozent zugelegt. Das echte Gold hat mehr als 4 Prozent gewonnen. Dagegen haben Kryptowährungen und besonders Bitcoin als Inflationsschutz und Diversifikation komplett versagt. Bitcoin verlor seit Anfang Jahr fast 30 Prozent seines Werts. Am Montag fiel der Kurs auf den tiefsten Stand seit Januar: Ein Bitcoin kostete noch 33’300 US-Dollar. Vor wenigen Tagen waren es noch 40’000 Dollar gewesen.
Der Bitcoinkurs läuft mehr oder weniger parallel zur US-Technologiebörse Nasdaq. Damit gerät auch die zweite These für Kryptowährungen in Konflikt mit der Realität.
Analysten der US-Investmentbank J. P. Morgan stellten schon im vergangenen Jahr fest, dass die Korrelation, also der statistische Zusammenhang zwischen Bitcoin und Aktien, immer stärker werde: «Kryptowährungen sind weiterhin das schlechteste Absicherungsmittel gegen starke Abschwünge auf dem Aktienmarkt.» Je populärer Bitcoin werde, desto stärker würde es selbst zu einem zyklischen Finanzprodukt, und desto weniger tauge es als Diversifikation.
Wenig überraschend angesichts der Inflation sind die Kursverluste bei den Anleihen. Wenn die Inflation steigt, verlieren Obligationen an Wert, denn der jährliche Zinscoupon, den die Anlegerinnen und Anleger als Entschädigung für das Ausleihen des Kapitals erhalten, ist fix. Staaten und Unternehmen müssen bei der Neuausgabe von Obligationen mehr Zins bieten, um Investoren zu finden. Die bestehenden Obligationen mit tieferen Zinsen verlieren dagegen an Wert, weil die Inflation den Zins auffrisst.
Stark steigende Inflation, rasche Zinserhöhungen, ein Krieg in Europa: Die Nervosität wächst.
Gleichzeitig mit der steigenden Inflation gerät die Konjunktur ins Stottern. Lieferengpässe wegen Lockdowns in China, der Krieg in der Ukraine und die Zinserhöhungen der Zentralbanken trüben die Wachstumsaussichten ein. Es gibt Zweifel, ob die Zentralbanken die Inflation dämpfen können, ohne eine Rezession auszulösen.
Die Unsicherheit wächst, die Gewinnerwartungen der Unternehmen gehen zurück. Das drückt auf die Aktienkurse. Am Mittwoch nach dem Zinsentscheid der US-Notenbank hatte der US-Aktienindex S&P 500 um 3 Prozent zugelegt, am Donnerstag brach er um 3,6 Prozent ein. Kursausschläge in diesem Ausmass sind nicht alltäglich. Aber gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen und in entgegengesetzter Richtung, das ist selten.
Stark steigende Inflation, rasche Zinserhöhungen, ein Krieg in Europa: Viele Marktteilnehmer haben in ihrer Laufbahn so etwas noch nie erlebt. Die Nervosität wächst.
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