Probleme bei Siemens-TochterBis zu 30 Prozent mangelhafte Windturbinen: Sind auch Schweizer Firmen betroffen?
Der Windräder-Hersteller kämpft mit grossen Qualitätsmängeln. Davon könnten auch Schweizer Unternehmen betroffen sein. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Probleme der Industrie.
Der spanische Windturbinen-Bauer Gamesa zählt sich zu den Pionieren und Marktführern der Windbranche: Er entwickle, baue und liefere «leistungsstarke und zuverlässige» Anlagen.
Die Realität sieht anders aus. Die Tochter des Energietechnikkonzerns Siemens Energy musste jüngst massive Probleme mit seinen Windrädern bekannt geben: Mängel an Rotorblättern, kleine Risse, Komponenten, die nicht funktionieren. Gemäss Schätzungen sind 15 bis 30 Prozent ihrer Anlagen weltweit betroffen. Siemens Gamesa hat weltweit Windturbinen mit einer Leistung von gut 130 Gigawatt installiert – das entspricht etwa 100 Atomkraftwerken mit der Leistung von Leibstadt.
An vielen Orten laufen nun Abklärungen – auch bei Schweizer Energieunternehmen. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) zum Beispiel besitzt in Norwegen zwei Windparks, die Siemens-Anlagen haben. Zudem ist das EWZ in Norwegen und Deutschland an zwei Windparks beteiligt, die ebenfalls auf diese Anlagen setzen. «Wir können noch nicht abschliessend beurteilen, ob diese Anlagen betroffen sind», sagt Sprecher Harry Graf. Die Wartungsarbeiten würden plangemäss durchgeführt.
Verträge bringen Absicherung
Auch das Energieunternehmen Repower setzt in Italien, wo es Windparks betreibt, zum Teil auf Windturbinen von Siemens Gamesa. «Bislang haben wir keine besonderen Fehler festgestellt», sagt Sprecher Stefan Bisculm. Die Ausfallrate der Siemens-Gamesa-Turbinen unterscheide sich nicht von jener anderer Turbinen. «Wir beobachten die Situation aber laufend.» Die BKW hat bis jetzt ebenfalls keine Hinweise auf Mängel in ihren Windparks mit Siemens-Gamesa-Anlagen. Auch bei Alpiq heisst es, die fraglichen Turbinen würden reibungslos produzieren. Axpo hat eigenen Angaben gemäss keine Windanlagen dieses Herstellers im Einsatz.
Die Schweizer Energieunternehmen sehen aktuell denn auch keinen Grund für Massnahmen. Weil die Branche auf verschiedene Hersteller von Windanlagen setzt, ist sie nicht abhängig von einem einzelnen Lieferanten. Siemens Gamesa will fehlerhafte Turbinen zwischen 2024 und 2025 reparieren. Werden Mängel während der Garantie festgestellt, muss der Windanlagenbauer die Kosten für die Reparatur tragen. Für die Phase danach treffen Energieunternehmen in der Regel Vorkehrungen. Das EWZ etwa hat eigenen Angaben gemäss mit Siemens Wartungsverträge abgeschlossen, die auch den Ersatz von Komponenten beinhalten.
«Wir befürchten keinen Imageschaden für die Windenergie.»
In der Schweiz selber gibt es keine Windanlagen von Siemens Gamesa, wie der Branchenverband Suisse Eole sagt. Die Schweizer Anlagen würden verlässlich Strom produzieren, sagt Sprecherin Anita Niederhäusern. «Wir befürchten keinen Imageschaden für die Windenergie.» Wenn ein Autohersteller ein technisches Problem bei einem seiner Modelle habe, würden deswegen insgesamt auch nicht weniger Autos verkauft.
Und doch wirft der Fall Gamesa ein Schlaglicht auf eine Branche, die in Europa mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Zwar nimmt die installierte Windkraftleistung Jahr für Jahr zu und beträgt nun 255 Gigawatt, der Anteil der Windenergie am Stromverbrauch in der EU liegt inzwischen bei 16 Prozent. Bis 2030 soll er nach den Plänen der EU-Kommission aber stark ansteigen, auf 43 Prozent – das aktuelle Wachstum ist deutlich zu langsam.
Der europäische Windenergieverband Wind Europe rechnet gar damit, dass in den nächsten Jahren der Ausbau in Europa zurückgehen wird. Aufträge für Windturbinen sind rückläufig, die Investitionskosten sind gestiegen – Haupttreiber sind die hohe Inflation, Lieferschwierigkeiten sowie Materialengpässe. Auch die teils langen Bewilligungsverfahren wirken bremsend, nicht nur in der Schweiz. Der schwedische Energieversorger Vattenfall zum Beispiel hat jüngst sein Windpark-Projekt Norfolk Boreas vor der Küste Grossbritanniens wegen Kostensteigerungen von bis zu 40 Prozent gestoppt. Der Windpark hätte Strom für rund 1,5 Millionen Haushalte liefern sollen. Auch andere Projekte sind gefährdet.
Zu früh auf den Markt gebracht
Weiteres Ungemach für die Branche droht nun mit dem Fall Gamesa. Die Probleme der Windtochter drücken Siemens Energy im laufenden Geschäftsjahr mit rund 4,5 Milliarden Euro in die roten Zahlen. Dass just die zukunftsträchtige Windsparte dem Konzern einen Milliardenverlust beschert, dürfte für Siemens-Energy-Chef Christian Bruch besonders bitter sein. Bei seinem Amtsantritt 2020 hatte er das grösste Risiko beim konventionellen Geschäft ausgemacht. Die Konsequenz aus dem Debakel: Die eigene Windsparte soll nun langsamer wachsen.
Die Qualitätsprobleme bei den Gamesa-Turbinen sind nicht zuletzt eine Folge eines Technologiewettbewerbs, der sich in den letzten Jahren zugespitzt hat. Immer grösser, immer leistungsstärker: In der Branche sprechen manche bereits von 25-Megawatt-Turbinen mit Rotoren, die gegen 150 Meter lang sind. Konkurrenz erwächst vor allem in China, das den grössten Windmarkt hat. In einem Interview im deutschen «Handelsblatt» räumte Bruch am Dienstag ein, Siemens Gamesa habe neue Turbinen unter dem Druck des Markts zu früh rausgebracht. Andere Anlagenbauer hätten sich mehr Zeit gelassen und ihre Turbinen «evolutionärer entwickelt».
Fehler gefunden?Jetzt melden.