Kolumne «Fast verliebt»Unglücklich mit der Partnerin — oder doch mit sich selbst?
Warum es manchmal so schwierig ist, in einer langjährigen Beziehung die Selbstverantwortung zu wahren.
Ein neuer Tim-Burton-Film läuft im Kino («Beetlejuice Beetlejuice»: ganz toll!), es gibt wieder Kürbisgewürz-Latte, die Blätter fallen bunt und die Schatten werden lang und länger: Boohoo! Es ist Oktober. Die gruselige Zeit des Jahres ist angebrochen – auch in der Liebe.
Singles laufen Gefahr, wild entschlossen dem unschuldigen Zalando-Boten um den Hals zu fallen, der eine Ladung Wollsocken gebracht hat, nur um nicht allein in die kalte Jahreszeit tappen zu müssen. Cuffing-Season nennt sich das im englischsprachigen Raum (to cuff = Handschellen anlegen): Zwischen Oktober und März ist der menschliche Bindungswunsch besonders stark. Aber auch für die längst Gebundenen bietet diese Jahreszeit eine amouröse Risikoerhöhung.
Aus Paaren, die längst einen Spotify- und Netflix-Account teilen und sich gerade im Schlussverkauf zwei gleiche Wanderjacken zum Preis von einer gekauft haben, wird jetzt auf der Couch unter der Decke schnell mal ein einziges Wollknäuel mit zwei Köpfen. Ein Frust-Glace-Becher mit zwei Löffeln.
Leider ist das Schöne an Beziehungen auch oft das Problem: Man ist nicht mehr allein.
Endlich ist da jemand, bei dem man sich über die Ungerechtigkeiten der Welt im Allgemeinen und im Speziellen über den blöden Hans-Peter aus dem Büro beschweren kann. Welt böse, ich gut – mein Partner sieht das auch so! Das ist der erste Schritt auf der Flucht vor der Selbstverantwortung. Auf diesem Weg ist es nur konsequent, wenn man seine frisch gestärkte Selbstgerechtigkeit irgendwann auch gegen den Partner richtet: Ich bin unglücklich – und Du bist schuld!
In meinem Umfeld kam in den letzten Jahren bei einigen älteren Paaren zeitgleich mit der Midlife-Crisis auch die Trennung. Die Frauen, die gingen, hatten kurz einen Zweiten-Frühling-Moment: Endlich bin ich diesen Idioten los, der mich so himmelschreiend unglücklich gemacht hat! Wie ich beobachten konnte, hielt dieses Trennungsglück aber meistens nur kurz – dann kam das Unglück zurück. Etwa in Form einer neuen Beziehung, die sich bald als ähnlich kompliziert erwies wie die letzte. Denn da kann man lange weggehen: Am Ende ist man halt immer noch dieselbe. Auch nicht einfacher als früher.
Es liegt so nahe, in einer Beziehung den anderen verantwortlich zu machen, wenn man sich selbst nicht wohlfühlt in seiner Haut. Wenn man beruflich feststeckt. Oder einfach ein bisschen traurig darüber ist, dass man älter wird.
Gerade jetzt, in der Drinnen-Zeit des Jahres, in der man schnell mal restlos den Abstand zur Partnerin verliert, lohnt es sich, in dunkleren Momenten innezuhalten und sich ehrlich zu fragen, wer hier gerade wirklich das Problem ist. Um es mit einem sprechenden Buchtitel zu sagen: «Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest».
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