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Kolumne «Fast verliebt»
Der weibliche Blick

Laut Claudia Schumacher gibt es sie auch im Jahr 2024 noch: Frauen, die sich einzig vom männlichen Blick ernähren.
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Neulich sass ich mit einem Paar, das ich schon ewig kenne, im Restaurant. Wir hatten uns zu lange nicht gesehen und hätten in fröhlicher Dreisamkeit den Abend durchzechen und über Gott und die Welt reden können – wäre da nicht diese übergriffige Energie vom Nebentisch gewesen.

Dort sass eine Gruppe von Frauen. Eine der Damen schien den sichtlich vergebenen Mann an unserem Tisch interessanter zu finden als ihre eigenen Freundinnen. Dauernd sah sie zu uns herüber; es war selbst mir unangenehm, dabei war ich nicht das Hauptziel ihrer Aufmerksamkeit. Irgendwann seufzte meine Freundin und stiess ihren Mann leicht in die Seite. «Sag mal!», sagte sie vorwurfsvoll. «Was denn!», verteidigte er sich. Die Frau am Nebentisch glotze ihn permanent an, und er habe halt irgendwann zurückgeschaut. Nicht weil er sie attraktiv finde. Einfach weil sie so penetrant rübergesehen habe, dass er gedacht habe, er kenne sie vielleicht oder sie wolle ihm was sagen.

Wollte sie nicht. Sie wollte nur eins: von ihm angesehen werden.

Nachdem er ihr den Gefallen getan hatte und wir möglichst flüsternd unseren Minieklat verhandelt hatten, schien die Dame am Nebentisch daran zu wachsen. Natürlich war ihr die Eifersuchtssituation, die sie ausgelöst hatte, nicht verborgen geblieben. Sie lächelte süffisant zu uns herüber, fuhr sich mit den langen Nägeln durchs geglättete Haar und streckte ihren gepushten Busen noch weiter heraus.

Es geht ums Ausstechen anderer Frauen

Es tut mir leid, dass das nach Tussi-Klischees klingt, aber manchmal schrammt die Realität am Klischee entlang. Es gibt sie noch, auch im Jahr 2024: Frauen, die sich nicht von Essen, von Luft, Liebe oder Geld ernähren, sondern einzig vom männlichen Blick. Und dieser männliche Blick, der ihnen die Sonne bedeutet, wird notfalls penetrant herbeigeglotzt. Dieser weibliche Blick kann ziemlich unsolidarisch sein. Denn es geht hier ums Ausstechen anderer Frauen.

Je vergebener der Mann ist, dessen Aufmerksamkeit es zu gewinnen gilt, desto besser. Das Ziel ist Selbstaufwertung durch Begehrtwerden. Je falscher, je verbotener, je schwieriger dieses Begehrtwerden zu haben ist, desto mehr ist es wert. In dieser Logik ist das Endgame dann der verheiratete, fünffache Familienvater.

Ist dieser weibliche Blick eine Art Parasit jenes männlichen Blicks, der Frauen zu sexuellen Objekten macht? Hat er noch immer so viel Macht auf dieser Welt, dass manche Frauen sich zu Objekten degradieren, um ihn auf sich zu ziehen, um ihren Selbstwert zu spüren? Das kann gut sein. Natürlich ist das traurig, und solche Frauen können einem leidtun.

Aber ich finde, emanzipatorische Theorien sind heute weit genug verbreitet, dass wir toxisches Verhalten auch dann nicht entschuldigen müssen, wenn es von Frauen kommt.