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Covid-19-Überbrückungshilfen
Notkredit-Betrüger verschonen – der heikle Brief aus Bern

Tische, Stühle, Sonnenschirme vor einem Berner Restaurant. Verschärfte Massnahmen von Bundesrat und dem Bundesamt für Gesundheit sorgten während des Covid-Lockdown für Liquiditätsengpässe bei manchen Unternehmen.
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Innert zehn Tagen hochgefahren und umgesetzt: Das rasche und unkomplizierte Handeln von Bund und Banken bei der Vergabe von Covid-19-Überbrückungskrediten stiess international auf Beachtung und linderte Zahlungsengpässe bei so manchem Unternehmer in der Schweiz. Über 136’000 Kredite sprachen die Banken unter dem Slogan «Bis zu 500’000 Franken Kredit in 30 Minuten». Die Frist fürs Beantragen der Kredite ist Ende Juli abgelaufen. Nun beginnt auf Seite der Kreditgeber das Erbsenzählen. In gut 800 Fällen hat der Bund Verdacht auf Missbrauch geschöpft und die vier staatlich anerkannten Bürgschaftsorganisationen mit Einzelfallabklärungen beauftragt. In 47 Fällen erstatteten die Bürgschaftsorganisationen Strafanzeige.

Brisant: Tamedia hat von einem Brief aus dem Staatssekretariat für Wirtschaft des Bundes (Seco) Kenntnis erhalten. Der Brief wurde Anfang Juli verschickt und ging an alle kantonalen Staatsanwaltschaften. Darin bittet das Seco die Staatsanwaltschaften, bei der Verfolgung von Unternehmern Augenmass walten zu lassen, wenn diese zwar einen Missbrauch begangen, aber den Kredit umgehend zurückbezahlt und keinerlei kriminelle Energie an den Tag gelegt hätten.

Im Seco wolle man den Brief nicht an die grosse Glocke hängen, sagt Martin Godel, Leiter KMU-Politik in der Direktion für Standortförderung. Der Grund: Der Inhalt des Briefes erscheine auf den ersten Blick brisanter, als er tatsächlich sei. Laut Godel gibt es einige Fälle, bei denen formaljuristisch zwar ein Verstoss gegen die Solidarbürgschaftsverordnung des Bundes vorliegt, gleichzeitig seitens Kreditnehmer aber keine kriminelle Energie festzustellen ist.

Godel nennt ein Beispiel. Es gebe Kreditnehmer, die mit einer Umsatzangabe von 600’000 Franken einen Kredit von 60’000 Franken erhalten hätten. Die Nachprüfung zeige nun aber, dass der anrechenbare Umsatz bei nur 500’000 Franken liege. Zugestanden wäre dem Unternehmer somit ein Kredit von maximal 50’000 Franken. Nach Rücksprache zwischen Bürgschaftsorganisationen, Kreditgeber und -nehmer zeigten viele Unternehmer aber sofort Einsicht und bezahlten die 10’000 Franken zu viel bezogenen Kredit umgehend zurück.

In der hektischen Zeit könne rasch ein Fehler passieren

Gibt es keine Geschädigten, zeigt ein «Täter» Einsicht und erstattet die unrechtmässig erhaltene Summe umgehend zurück, kann der Staat von einer Bestrafung absehen. Dasselbe gilt, wenn der Staat kein Strafverfolgungsinteresse hat. In beiden Fällen sieht das Strafgesetzbuch ausdrücklich die Möglichkeit von Straffreiheit vor oder, dass eine Strafverfolgung gar nicht erst aufgenommen wird. Genau auf diese Gesetzesbestimmungen (Artikel 52 und 53 im Strafgesetzbuch) beruft sich das Seco in seinem Brief an die Staatsanwaltschaften.

Im Brief schreibt das Seco wörtlich: «Der Strafanspruch steht aus der Sicht des Bundes nicht im Vordergrund, sondern die Schadensverhinderung oder -verminderung. Deshalb sollte bei einer diesbezüglichen Mitwirkung der Kreditnehmer von einer Bestrafung Abstand genommen werden können beziehungsweise dies bei der Strafzumessung berücksichtigt werden können.»

Vor Strafverfolgung schützt die Empfehlung des Seco nicht. Der Bund hat keine Weisungsbefugnis gegenüber Strafverfolgern.

Eine Empfehlung ging auch an die Bürgschaftsorganisationen, die den Bund in der Covid-Kreditsache vertreten. Sie haben Anzeige gegen Unternehmen einzureichen, wenn diese missbräuchlich Kredite in Anspruch genommen haben. Auch ihnen empfiehlt das Seco, auf eine Anzeige zu verzichten, wenn einem Unternehmer ein Fehler unterlaufen sei, der umgehend korrigiert werde, indem zu viel bezogenes Geld gleich wieder zurückbezahlt werde. Vor Strafverfolgung schützt die Empfehlung des Seco aber nicht, denn der Bund hat natürlich keine Weisungsbefugnis gegenüber Strafverfolgern.

Godel erinnert als Begründung für sein Vorgehen an die hektische Zeit, die damals von März bis Mai beim Lockdown herrschte. Da trat wohl auch so manchem Unternehmer der kalte Schweiss auf die Stirn. Ein Fehler bei der Berechnung der erwarteten Kreditlimite könne da rasch passieren, sagt Godel. Merke ein Unternehmer nun mit der nötigen Distanz, dass er falsch gehandelt habe, und verursache den Steuerzahlern keinerlei Schaden, solle von einer Strafverfolgung abgesehen werden können. Denn auch eine Strafverfolgung koste den Steuerzahler Geld und benötige Personal. Dieses soll sich auf die Fälle mit krimineller Energie fokussieren und sie konsequent verfolgen, sagt Godel.

Zürcher ermitteln trotzdem

Die Staatsanwaltschaft Zürich steht dem Anliegen aus dem Staatssekretariat für Wirtschaft kritisch gegenüber. Oberstaatsanwalt Beat Oppliger sagt auf Anfrage, «wer eine nationale Notlage und die Hilfsbereitschaft des Bundes ausnutzt und eine unbürokratische Soforthilfe missbraucht, der ist strafrechtlich konsequent zu verfolgen und zu bestrafen. Das Strafgesetzbuch sieht vor, dass im Falle der Wiedergutmachung des Schadens dies bei der Strafzumessung von einem Gericht gebührend berücksichtigt werden kann.»

Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft führen aktuell im Kanton Zürich in 76 Fällen gemeinsam Ermittlungen wegen des Verdachts auf Covid-19-Kredit-Betrug. Dabei geht es um eine mutmassliche Deliktssumme von rund 16,9 Millionen Franken.

Auf offenere Ohren stösst das Anliegen des Seco offenbar im Kanton Bern. Dort wurde der Brief an sämtliche Staatsanwälte weitergeleitet, die mit Verdachtsfällen auf Covid-Kredit-Missbrauch beschäftigt sind. Damit liegt es im Ermessen der einzelnen Staatsanwälte, ob und wie hart ein Missbrauch im Zusammenhang mit Covid-19-Krediten strafrechtlich verfolgt wird.