Ein Tag mit einer BestatterinSie nimmt dem Tod den Schrecken
Celina Schneider erklärt auf Instagram, was mit uns nach dem Tod passiert. Warum sie vom Kleiderladen ins Bestattungsamt wechselte und welchen Toten sie niemals vergessen wird.

Während wir im Bestattungswagen am Lichtsignal stehen, fragt mich Celina Schneider, ob ich wisse, was mit mir nach meinem Tod passieren soll. «Kremation, ganz klar», sag ich. Und, dass ich auch wisse, wer auf gar keinen Fall zu meiner Beerdigung kommen darf. Schneider lacht und sagt: «So eine gute Idee! Dann braucht es einen Türsteher mit der Gästeliste.»
Seit 7 Uhr früh sind wir unterwegs. Wir holen eine tote Frau aus dem Spital, werden später eine andere im Sarg herrichten und bringen Urnen auf Friedhöfe.
Jetzt aber grinst uns ein Mann in der anderen Spur an, als er uns lachen sieht. Dann fällt sein Blick auf den Kleber an der Autotür des Mercedes-Transporters «Bestattungsamt Stadt Zürich», er hält sein Steuerrad fest und schaut auf die Strasse vor ihm. «Das passiert mir oft. Für viele Menschen gehört der Tod immer noch nicht zum Leben dazu. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir zum Beispiel nicht von einem Leichenwagen reden, sondern von einem Bestattungsfahrzeug. Und dass wir die Leute nicht ‹einsargen›, sondern ‹einbetten›.»
Schneider hofft, dass man so dem Thema etwas den Schrecken nehmen kann. «Die Särge sind bei uns auch in gekühlten Räumen und nicht im ‹Kühlraum›, da denkt man direkt an den Schlachthof.»

Seit vier Jahren arbeitet die 35-Jährige als Bestatterin im Krematorium Nordheim in Zürich. Vorher leitete sie die Filiale eines Kleidergeschäfts. Als im Lockdown viele Leute offenbar um jeden Preis an Kleider kommen wollten, war Schneider irritiert, dass dies für viele das grösste Problem sei. Nach 15 Jahren im Detailhandel wurde sie Bestatterin. Und es ist ihre Berufung.
Die Bündnerin erklärt auf dem Instagram-Kanal des Zürcher Friedhof-Forums in kurzen Videos, wie zum Beispiel eine Urne korrekt beschriftet wird oder welche Hilfsmittel zur Verfügung stehen, um die Verstorbenen herzurichten. Wenn noch etwas aus der Nase rinnt, gibt es eine spezielle Watte, genannt «Engelshaar», die dagegen hilft. Und wenn Augenlider immer wieder aufklappen, wird eine Augenkappe mit Noppen auf den Augapfel gelegt und das Lid drübergezogen.
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Celina Schneider macht das so klug und charmant und frei. Während man sich ein Video nach dem anderen anschaut, vergisst man, dass es die ganze Zeit um das geht, was wir lieber verdrängen: den Tod. «Die wenigsten wissen, was nach dem Tod passiert», sagt Schneider und möchte deshalb hier mit mehr Wissen der Angst zuvorkommen. Sie betont auch, dass es gut wäre, wenn wir uns früh überlegen, wie wir bestattet werden wollen und dies auch aufschreiben. «Manchmal kann es dann ja ganz schnell gehen.»
Wir bringen Kreuze und Urnen für Bestattungen, die heute stattfinden, auf verschiedene Friedhöfe, fahren dann ins Spital und holen dort eine Frau ab. Ich schiebe den Sarg zum Fahrstuhl. Die Standardgrösse ist 185 cm lang. Schneider öffnet die Tür des schwarzen Transporters, zieht eine Vorrichtung raus, ich umgreife den Sarg, um ihn hochzuheben und reinzuschieben. «Lange Arme sind von Vorteil», sagt sie, während ich mit dem halben Oberkörper auf dem Holzsarg liege. Meine Arme sind zu kurz, da kann man leider nichts machen.

In der Pathologie des Universitätsspitals Zürich ist alles ziemlich steril. Schneider zeigt mir im gekühlten Raum eine silberne Platte, in der Grösse eines Serviertabletts. Unter einem grünen Tuch liegt eine Totgeburt. Die Fingerchen dünn wie Streichhölzer. Wir stehen einen Moment vor diesem kleinen Körper. «Eltern dürfen ihre Kinder nach Hause nehmen. Wir geben dann Kühlelemente mit. Es ist so wichtig, dass sie sich genug Zeit für den Abschied nehmen.»
Was ihr am meisten Mühe bereitet, will ich wissen. Es seien nicht die Bilder des toten Körpers, sondern der Geruch der Verwesung. Seit sie ihn einmal gerochen habe, werde sie ihn nie mehr los. Ein bestialischer Geruch, der immerhin nicht schlimmer werde, wenn man ihn immer wieder rieche. «Ich merke auch, wenn irgendwo ein toter Igel liegt», Verwesung sei Verwesung. «Das Ammoniak im Blut finde ich auch schwierig auszuhalten.» Das Eisen im Blut rieche oft unerträglich metallisch.
Und wenn man sich Tigerbalsam unter die Nase reibt? «Wir haben Menthol-Pads, die man sich in die Nase stecken kann. Aber dann vermischt sich der Geruch der Verwesung mit dem Menthol. Mir hilft das wenig. Ich muss das auch können, es ist mein Beruf.»
Die klassische Übungsleiche
Im Altersheim Gehrenholz parkieren wir in der Tiefgarage und schieben den leeren Sarg in das Gebäude. Schneider nimmt den Totenschein entgegen. In einem gekühlten Zimmer steht ein Bett, und darin liegt die verstorbene ältere Frau. Erst müssen wir sie in den Sarg betten, Schneider hält den Oberkörper, ich die Beine. Dann nimmt sie die Arme der Verstorbenen und mobilisiert die Gelenke. «Wir müssen die Totenstarre lösen, um sie schön herzurichten.»
Ich halte die Hände und Arme der Toten, damit Celina Schneider das Kleid zurechtziehen kann. Die Hände der Verstorbenen sind wachsig, ich habe sie mir ganz kalt vorgestellt, sind sie aber nicht. Dann streiche ich ihr die Haare aus dem Gesicht und etwas hinter die Ohren.
Schneider faltet die Hände, der eine Arm rutscht immer wieder zur Seite, es ist eine komische Szene, auch weil ich das Gefühl habe, dass ich nur flüstern darf, um die Verstorbene nicht zu stören. Wir verabschieden uns von ihr und drehen von Hand die vier Schrauben an jeder Ecke in den Sargdeckel.
«Das war eine klassische Übungsleiche. Eine Frau, die alt wurde und jetzt gestorben ist», sagt Schneider, als wir losfahren. Ganz anders der junge Mann, Jahrgang 1989, den sie abgeholt hat. Den vergisst sie nie mehr. Oder das, was von ihm noch da war. «Wie ist es möglich, erst in diesem Stadium der Verwesung gefunden zu werden? Ein junger Mensch, der nicht vermisst wird?» In welchem Stadium, will ich wissen. «Wenn alles flüssig ist und ich in die Knochen hineingreife, dann liegt jemand schon lange.»

Es sei eine einzige braune Sauce gewesen, man habe noch die Haare erkennen können, die Beine und den Oberkörper. Abgesehen von den Zähnen, sei der Rest des Gesichts zerfressen gewesen. Von Maden? «Ja, es reicht ein gekipptes Fenster, durch das eine Fliege in die Wohnung gelangt und in einer Körperöffnung Eier legt», sagt sie.
Manchmal brauche es eine Dose Insektenspray, um überhaupt in einer Wohnung die Leiche zu erreichen, weil alles fliegt und fleucht. Was ich nicht wusste: dass Urin noch aus dem Körper muss, auch wenn man bereits tot ist. Wir hätten auch eigene Bakterien, die noch weiterarbeiten, im Bauch und Magen zum Beispiel, erzählt Schneider. Dort sehe man schnell, wie sich alles blau verfärbt, wenn die Verwesung voranschreitet.
Tote im Zustand wie der junge Mann können Schneider und ihre Kolleginnen und Kollegen nicht mehr herrichten. In einem sogenannten Bodybag sammeln sie, was sie vorfinden. «Wir empfehlen den Angehörigen, diesen Bag im Sarg nicht mehr zu öffnen. Wer das sieht, schläft nicht mehr.» Aber die Aufbahrungszeit, das betont sie immer wieder, sei so wichtig, um wirklich Abschied zu nehmen. «Es ist der allerletzte Moment, nachher bekommt man die Urne und das wars dann.»

Man darf auch beinahe alles mit zu den Toten in den Sarg legen. Glas lieber nicht, das lässt sich nicht gut verbrennen. Einmal sei eine Tochter mit einem Eile-mit-Weile-Brettspiel gekommen und habe es ihrer Mutter auf die gefalteten Hände in den Sarg gelegt, Spielfiguren inklusive. Schneider erinnert sich, dass sie ihr klarmachen musste, dass, wenn der Sarg in Richtung der Öfen geschoben werde, vermutlich keines der Spielfigürchen mehr stehen werde.
Pro Tag sterben in der Schweiz durchschnittlich 180 bis 200 Menschen. Und das Krematorium Nordheim führt täglich etwa 35 Kremationen durch. Es dauert gewöhnlich neunzig Minuten, manchmal aber auch zwei Stunden, bis wir zu zwei bis drei Litern Asche werden. Die Öfen laufen auf 800 bis 1000 Grad, je nach Körpergewicht. Ich habe mir unter der Asche etwas ganz anderes vorgestellt. Sandig, fein. Nein, sie ist kalkig und grobkörnig. Manche Menschen haben noch Metall im Körper, Schrauben, künstliche Hüftgelenke, die werden mit einem Magnetstab rausgefischt, danach wird die Asche nochmals gemahlen und in die Urne abgefüllt.

Wer wisse, dass der Verstorbene oder die Verstorbene gleich irgendwo verstreut werde, bekomme trotzdem die unentgeltliche Urne der Stadt. «Es geht uns um die Pietät. Die Grossmutter kann man nicht im Plastiksack abholen», sagt Schneider. Bevor ich mich verabschiede, frage ich sie, ob sie denn wisse, was mit ihr nach ihrem Tod passieren soll. Sie möchte sich auch kremieren lassen. «Aber wenn ich weg bin, bin ich weg».
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