Inhaftierte Dissidentin in BelarusMaria Kolesnikowa ist wieder aufgetaucht
Die Oppositionelle forderte Alexander Lukaschenko heraus, nun ist sie die prominenteste Gefangene des Diktators aus Minsk, interniert unter schlimmsten Haftbedingungen. Jetzt traf ihr Vater sie.

- Maria Kolesnikowa lebt, neue Fotos zeigen sie erstmals seit 21 Monaten.
- Sie wurde 2021 wegen angeblichen Umsturzversuchs zu 11 Jahren Haft verurteilt.
- Alexander Lukaschenko stand wegen gefälschter Wahlen und Polizeigewalt in Kritik.
- Kolesnikowa zerriss ihren Pass an der Grenze, weil sie nicht emigrieren wollte.
Sie haben die Tage gezählt, an denen niemand wusste, ob Maria Kolesnikowa noch lebte. Der letzte Brief aus dem Gefängnis kam im Februar – vergangenes Jahr. Danach gab es keine Briefe, keinen Anruf, keine Möglichkeit mehr, sie im Gefängnis zu besuchen. Kein Lebenszeichen, 21 Monate lang.
Gross war daher die Erleichterung, als nun zwei neue Fotos von Kolesnikowa auftauchten. Sie zeigen die Oppositionelle in der magentafarbenen Gefängniskleidung, die Frauen in belarussischen Straflagern tragen müssen. In Haft sind ihre kurzen Haare dunkel, nicht mehr blond wie in Freiheit. Auch der rote Lippenstift fehlt, den ihr der Vater anfangs noch ins Gefängnis schicken konnte. Jetzt kommen Pakete längst nicht mehr an.
Auf einem der Bilder umarmt sie den Vater. Lächelt ihr unverkennbares Lächeln. Maria Kolesnikowa lebt.
Maria Kolesnikowa wurde zu 11 Jahren Gefängnis verurteilt
Ort des Treffens ist vermutlich das Gefängnisspital in der Stadt Gomel. Dort muss Kolesnikowa elf Jahre absitzen, weil sie angeblich die Regierung stürzen wollte. Das Urteil von 2021 ist schon deswegen absurd, weil es Alexander Lukaschenko war, der die Wahl im Jahr zuvor fälschen liess. Seine Macht hatte er im Protestsommer 2020 mit furchtbarer Polizeigewalt durchgedrückt.

Maria Kolesnikowa war damals zu seiner grössten Herausforderung geworden. Im Wahlkampf hatte sie Swetlana Tichanowskaja unterstützt, die die Abstimmung wahrscheinlich gewonnen hätte, wäre fair ausgezählt worden. Als Tichanowskaja unter Druck fliehen musste, übernahm Kolesnikowa die Rolle der Oppositionsführerin. Kolesnikowa, die in Stuttgart Musik studiert und dort viele Jahre gelebt hatte, war jetzt mitten in Minsk zu sehen, vor einer Wand aus Sondereinsatzkräften.
Sie sprach den Protestierenden Mut zu, bis Lukaschenko sie von der Strasse zerren und verschleppen liess. Er wollte auch sie zur Flucht zwingen. Wahrscheinlich hat Kolesnikowa sich in dem Moment unsterblich gemacht, als sie an der Grenze zur Ukraine ihren Pass zerriss und vor den Augen ihrer Entführer umkehrte. Sie entschied sich für Haft, heisst: Schauprozess, Isolation, psychische Gewalt, Druck auf die Verteidiger.
Sprechen durften die Mitgefangenen nicht mit ihr
Im November 2022 brach Kolesnikowa in ihrer Strafzelle zusammen. Ein Geschwür war durch die Magenwand gebrochen. Ihr Vater durfte sie nach der Operation am Krankenbett besuchen. Kurz danach: der letzte Brief. Wenn es Informationen gab, kamen sie nun von Frauen, die aus dem Straflager entlassen worden waren und Kolesnikowa dort gesehen hatten. Sprechen durften die Mitgefangenen nicht mit ihr.

Wann genau die neuen Fotos entstanden sind, weiss man nicht. Ausgerechnet Roman Protassewitsch veröffentlichte sie auf Telegram. Protassewitsch war einst Chef des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta, zuletzt im Exil. Lukaschenko liess 2021 ein Passagierflugzeug kapern, um ihn in seine Gewalt zu bringen.
Welchen Druck Protassewitsch danach aushalten musste, mag man sich nicht vorstellen. Jedenfalls präsentierte ihn das Regime bald als neuen Menschen, er kooperierte. Ein zynischer Zug, dass der gebrochene Aktivist nun das erste Lebenszeichen der unbeugsamen Kolesnikowa verbreiten musste. Kolesnikowas Vater durfte das Treffen nicht kommentieren.
Und was ist vom Zeitpunkt zu halten? Im Oktober war Lukaschenko am Rande des Brics-Gipfels nach Kolesnikowa gefragt worden. Wenn die Gefangene ein Gnadengesuch stelle, werde man es prüfen, hatte Lukaschenko einem BBC-Korrespondenten geantwortet, sich dann aber in Rage geredet. «Sie sagen doch, ich habe Millionen im Gefängnis», warf er dem Journalisten vor. Warum dieser nach Kolesnikowa frage.
Lukaschenko hat dieses Jahr Dutzende politische Gefangene freigelassen. Womöglich wollte er sich damit guten Willen im Westen erkaufen, war spekuliert worden. Im Januar veranstaltet er die nächsten Wahlen. Gleichzeitig macht er neue Gefangene. 1275 Personen sitzen Menschenrechtlern zufolge aus politischen Gründen in Belarus in Haft.
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