McLaren-BerichtBei den Gewichthebern läuft wieder einmal alles schief
Ein Präsident, der Millionen einheimst, gedopte Athleten und ein mysteriöser Schwiegersohn: Ein Report von Ermittler Richard McLaren bestätigt einiges.
Von «Herrschaft» ist die Rede, andernorts gar von «Tyrannei». Überhaupt sei der Mann ein «autokratischer Führer» gewesen. Wer ihn herausforderte, wurde bestraft und gemobbt. Der Bösewicht heisst hier Tamas Ajan, Ungar, 81-jährig, einer, der sich gerne einmal aus fremden Taschen bedient. Er ist der abgesetzte Präsident des Weltverbands der Gewichtheber (IWF).
Die Beschreibungen vom Beginn stammen alle aus demselben Bericht. Er stammt von Richard McLaren, einem Juristen und Sonderermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur, einer Grösse in der Szene. Er hatte vor einigen Jahren umfassend über das russische Staatsdoping informiert, die Untersuchungsberichte, die die Jahre 2011 bis 2016 beleuchteten, trugen ganz einfach den Namen McLaren-Report.
Jetzt gibt es einen weiteren dieser Reports. Am Donnerstagabend wurde er veröffentlicht, er ist 122 Seiten lang und widmet sich ganz den Gewichthebern. Und damit deren oberstem Chef Tamas Ajan. Auslöser dafür war eine Dokumentation der ARD, die offenbarte, dass bei den starken Männern und Frauen etwas nicht stimmen kann. Bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften wurden zwischen 2008 und 2017 ganze 453 Medaillen vergeben. 204 an Athleten, die im jeweiligen Jahr nicht einziges Mal ausserhalb der Wettkämpfe getestet wurden. Dabei tönte Ajan einst, sein Verband habe in Sachen Dopingbekämpfung die Rolle des Pioniers. Doch wie diese Zeitung nach Erscheinen der ARD-Dokumentation schrieb: Länder, die kaum kontrolliert wurden, gelten als Ajan-nah, es sind vor allem ärmere Verbände, die dem 81-Jährigen ihre Stimme zusicherten.
«Seine Macht war absolut und berüchtigt»
Also wurde Über-Ermittler McLaren ein weiteres Mal zu Rate gezogen. Und der Kanadier bestätigte nicht nur, was die ARD im Januar veröffentlichte, er fand heraus, dass eigentlich alles noch viel schlimmer ist. «Seine Macht war absolut und berüchtigt», schreibt McLaren. Seine Untersuchungen beziehen sich auf die zehn Jahre zwischen 2009 und 2019. Allein in diesem Zeitraum hat Ajan fast 28 Millionen Euro von den Konten der IWF abgehoben oder Bargeld eingeheimst. Geld, das vor allem von Nationen stammen soll, die sich freikauften, aber auch von Verbänden und sogar von Sponsoren. Geld, das auf Schweizer Konten liegen soll. Mit einem Zeichnungsberechtigten: Tamas Ajan.
Genau geht es um 27,8 Millionen Euro in zehn Jahren. Noch ungeklärt ist der Verbleib von weiteren 10,4 Millionen. Betrachtet man, wie lange Ajan schon die Gewichtheber präsidiert oder zumindest eine tragende Rolle in deren Verband hat, könnte es sich hierbei lediglich um die Spitze eines millionenschweren Eisbergs handeln. Er wurde 1970 Vize-Präsident, sechs Jahre darauf Generalsekretär und im Jahr 2000 Präsident. Und da ist neben dem Finanziellen ja auch noch das Sportliche: Nur in den zehn untersuchten Jahren sollen weitere 40 vertuschte positive Dopingproben festgestellt worden sein.
Kooperation: Mangelhaft
Ebenfalls ein Kritikpunkt: der Generalsekretär. Oder besser: dessen Beziehung zu Ajan. Denn Attila Adamfi ist der Schwiergsohn des abgesetzten Präsidenten. Auf seinem Computer sollen zahlreiche belastende Dokumente gefunden worden sein. Die Ermittler, unter ihnen mit Steve Berryman einer der wichtigsten Köpfe im Fifa-Prozess, schreiben von Geldwäsche und Stimmenkauf. Ajans Nachfolgerin, die Interimspräsidentin Ursula Garza Papandrea, kündigte bereits an: «Wir werden alles an die Strafverfolgungsbehörden der jeweiligen Länder weiterleiten und vollumfänglich kooperieren.» Also auch an die Schweiz.
So wichtig es der US-Amerikanerin Papandrea ist, zu kooperieren, so egal ist es offenbar einigen ihrer neuen Kollegen. McLaren schreibt: «Der Appetit an Aufklärung war praktisch nicht vorhanden.» Von zwanzig kontaktierten Präsidenten der Nationalverbände hätten nur vier kooperiert. Dazu auch nur zwei der fünf IWF-Vizepräsidenten. Auch sind die Wege des Geldes in diesem Verband nicht mehr zu 100 Prozent nachzuvollziehen. Gut möglich also, dass Ajan einmal mehr und irgendwie davonkommen wird.
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