Das spektakuläre Funktionärsleben des Dr. Dr. Dr. Ajan
Seit 50 Jahren dirigiert er den Gewichtheber-Weltverband. Nun droht ihn die Vergangenheit einzuholen. Im Zentrum: zwei Konten.
Tamas Ajan ist ein ausgesprochen gebildeter Mann: Er ist Doktor der Sportwissenschaften, Doktor der Politikwissenschaften. Zudem kann er einen Ehrendoktortitel vorweisen. Alle Cleverness dürfte dem Dr. Dr. Dr. h.c. nun wenig helfen: Seit die Doping-Rechercheure der ARD jüngst in einer 45-minütigen TV-Doku offenbarten, was unter dem Präsidenten des Internationalen Gewichtheberverbandes IWF alles schief bis seltsam läuft, wird es eng für den Ungarn.
Ajan verkörpert eine aussterbende Gattung: diejenige des ewigen Funktionärs. 1970 wurde er Vize des Weltverbandes, 1976 Generalsekretär, 2000 Präsident. Seit 50 Jahren also dirigiert Ajan die starken Männer und Frauen. Da kann bloss der Schweizer Gian Franco Kasper mithalten. Der Bündner prägt den Internationalen Skiverband seit 45 Jahren, erst als Generalsekretär, dann als Präsident.
Kaspers Regentschaft wird im Frühling enden. Ajan hingegen möchte auch nach 2020 und dem Ablauf seiner fünften Amtszeit wirken. Zumal sein Verband keine lästige Altersbeschränkung kennt. Und gemäss Ajan hat Ajan in diesem halben Jahrhundert einen Superjob gemacht.
Ein Buch voller Verbesserungen
Es brauche schon ein Buch, damit man seine revolutionären Verbesserungen für das Gewichtheben auflisten könne, sagte er einst. Oder: IOK und die Welt-Anti-Doping-Agentur würden seinen Verband als führend bezeichnen, im Dopingkampf gar als Pionier. 2013 sagte Ajan diese Sätze am Kongress in Taschkent. Er hatte sich da gerade seine Wiederwahl gesichert und erstmals Gegenkandidaten bei der Präsidentenwahl gehabt.
Sein Eigenlob bezüglich tollem Anti-Doping-Kampf erweist sich als selektive Wahrnehmung der Realität.
Damals offenbarte er vor aller Augen seine Geschmeidigkeit – und seine unangefochtene Position im Weltverband. Plötzlich wurden die Delegierten, welche den Präsidenten wählten, auf Kosten des Weltverbandes eingeflogen. Ajan sicherte sich damit viele Stimmen ärmerer Landesverbände. Es war sein zweiter Streich innert weniger Jahre. 2005 weigerte sich der eigene Nationalverband nach zahlreichen Dopingfällen von Gewichthebern in Ungarn, ihn als Präsidenten zu nominieren.
Mit der Mehrheit der Exekutive änderte Ajan die Regeln. Seither darf nicht mehr nur der eigene Verband einen Funktionär für das Topamt vorschlagen.
Seine selektive Wahrnehmung der Realität
Nur: Sein Eigenlob bezüglich guter Verbandsführung und tollem Anti-Doping-Kampf erweist sich dieser Tage als ziemlich selektive Wahrnehmung der Realität. Immerhin offenbarte die ARD-Doku, dass von den 453 Medaillen, die zwischen 2008 und 2017 bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen vergeben wurden, 204 an Athleten gingen, die im selben Jahr kein einziges Mal ausserhalb des Wettkampfs getestet wurden.
Noch gravierender: Es zeigte sich ein zweites Muster, weil bestimmte Länder so gut wie nie kontrolliert wurden – zufälligerweise gelten diese Länder als besonders Ajan-nah.
Sein Schwiegersohn etwa ist die Nummer 2 des Weltverbands.
Wie seltsam löchrig dieser angeblich pionierhafte Verband gegen Doper vorgeht, legte ungewollt gar das IOK offen: Es hat anhand von Nachkontrollen der Spiele von 2008 und 2012 gegen 60 der Kraftathleten überführt – fast alles solche, die der Gewichtheberverband nie erwischte.
Dass darüber hinaus 77 Prozent aller Kontrollen, wie die ARD-Doku zeigte, von der ungarischen Anti-Doping-Agentur getätigt wurden, hatte im Minimum einen Beigeschmack. Schliesslich stammt Ajan aus dem gleichen Land und schätzt Nähe. Sein Schwiegersohn etwa ist die Nummer 2 des Weltverbands, mit einem Jahreslohn von 100'000 Dollar. Das mag nach wenig klingen, ist bei einem Budget von 2,5 Millionen aber stattlich. Wobei Ajan sich selber fürs Ehrenamt gemäss verschiedener Medien gar 300'000 Dollar auszahlen lässt. Stürzen aber könnte er über andere Geldangelegenheiten.
Wo sind die 5,5 Millionen?
2009 plauderte Ajan vor staunenden Funktionären aus, dass der Weltverband über zwei Schweizer Konten verfüge. Der einzige Zeichnungsberechtigte: Tamas Ajan. Rund 23 Millionen wiesen diese Konti auf, Geld des IOK, das es allen seinen Mitgliederverbänden überweist.
Lange schien dem IOK der Dauerbetrug im Gewichtheben egal zu sein.
Nur soll bis heute ein Teil dieses Geldes verschwunden sein – was Ajan bestreitet. Es sind gemäss ARD-Doku mindestens 5,5 Millionen. Auch darum droht ihm nun Strafverfolgung in der Schweiz. Der Sitz des Verbandes ist in Lausanne. Der Anfangsverdacht lautet: Falschbeurkundung, ungetreue Geschäftsbesorgung und Veruntreuung. Für Ajan gilt die Unschuldsvermutung.
Vom IOK abgestraft
Druck kommt nun auch vom IOK. Lange schien diesem der Dauerbetrug im Gewichtheben egal zu sein – einem Sport, der schon bei der Olympia-Premiere 1896 im Programm war. 2017 aber drohte es Ajan und Kollegen, ihren Sport ab 2024 zu entfernen, sollten Reformen ausbleiben. Zugleich reduzierte es die Teilnehmerzahl um 30 Prozent. Kein anderer Verband wurde derart abgestraft.
Die Gewichtheber-Funktionäre reagierten, indem sie die Quotenplätze an die Sauberkeit ihrer Mitgliederverbände koppelten. Darum werden im Sommer in Tokio mehrere gewichtige Länder fehlen, weil sie zu viele Doper in kurzer Zeit produzierten. Obschon die Reformen also das IOK angestossen hat, führt Ajan die Veränderungen auf sein Wirken zurück. Lange konnte er auch wirklich in einer Blase leben: 2010 zeichnete ihn das IOK noch mit dem höchsten Orden aus, den es vergeben kann. Für «besonders herausragendes Mitwirken an der olympischen Bewegung».
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