Gesetzeslücke bei KryptowährungenBei Bitcoin könnten Erbinnen und Erben leer ausgehen
Hat der Erblasser Teile seines Vermögens in Kryptowährungen angelegt, kann es für die Nachkommen schwierig werden. Dabei geht es um den Zugang und um eine Gesetzeslücke.
Kryptowährungen lassen manche Anlegerinnen sowie Anleger von hohen Gewinnen träumen. Damit sind aber auch einige Risiken verknüpft, denen Bankkundinnen und -kunden nicht ausgesetzt sind: Wird das digitale Konto gehackt oder gehen die Zugangsschlüssel verloren, ist das Kryptogeld in der Regel ein für alle Mal weg. Hinzu kommt, dass es im Zusammenhang mit Bitcoin und anderen Digitalwährungen immer noch einige offene Rechtsfragen gibt, weil die Gesetze der technologischen Entwicklung hinterherhinken.
Rechtliche Fallstricke drohen bei Erbschaften. «Das Erbrecht ist entstanden, als es noch keine Kryptowährungen gab», sagt Cordula Lötscher, Lehrbeauftragte für Privatrecht an der Universität Basel und Autorin des Buchs «Der digitale Nachlass». Wenn ein Erblasser mit Kryptowährungen gehandelt habe, «ist die rechtliche Position der Erben nicht klar».
Ein Problem stellt sich, weil bei Kryptowährungen zu niemandem eine Vertragsbeziehung besteht. Bei einem Finanzintermediär wie einer Bank gibt es eine solche Beziehung. Angehörige können gestützt darauf Ansprüche geltend machen. Denn das Erbrecht basiert auf Rechten und Pflichten, welche auf die Erben übergehen.
Es gibt keine vertragliche Forderung
Die Blockchain zeichnet sich dadurch aus, dass zu niemandem eine Vertragsbeziehung besteht. Werden über eine Blockchain Kryptowährungen überwiesen, so braucht es keinen Finanzintermediär wie eine Bank – das Digitalgeld geht stattdessen direkt vom Sender zum Empfänger. «So besteht keine vertragliche Forderung, die Erbinnen und Erben geltend machen können», sagt Cordula Lötscher. Werden hingegen Kryptowährungen über einen Finanzintermediär gehandelt, besteht zu diesem ein Vertragsverhältnis. Dann unterscheidet sich das Guthaben erbrechtlich nicht vom Vermögen auf einem Bankkonto.
Ein zweites Problem, auf das Lötscher hinweist: Der Bitcoin gilt wie jede andere Kryptowährung nach herrschender Rechtsauffassung nicht als Sache. Bitcoins können nicht wie ein Gemälde, ein Auto oder eine Liegenschaft an jemanden übergeben werden. Kryptowährungen sind eine digitale Datenspur, die in einem weltweiten und dezentralen Netzwerk auf verschiedenen Servern gespeichert wird. Auch rechtlich ist das Digitalgeld gemäss Lötscher immer noch nicht fassbar.
Anspruch auf Pflichtteil könnte hinfällig werden
Als Folge davon wäre es im schlimmstmöglichen Fall denkbar, dass ein Gericht in einem Erbschaftsstreit Kryptowährungen gar nicht zum Erbe zählt, obwohl sie im Vermögen des Verstorbenen vorhanden sind. «Dies würde im Extremfall dazu führen, dass eine Person mit Zugriff auf die Kryptowährungen diese für sich behalten könnte, ohne dass andere Angehörige ihre Pflichtteilansprüche geltend machen können», sagt Rechtsexpertin Cordula Lötscher. Das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz würde dies stützen. Dort wird davon ausgegangen, dass Kryptowährungen nicht wie ein Eigentum behandelt werden können, wie Lötscher erläutert.
Für solche Fragen fehlen derzeit nicht nur eindeutige Rechtsgrundlagen, sondern auch Lehrmeinung und Gerichtspraxis. Lötscher ist allerdings zuversichtlich, dass ein Gericht gestützt auf das Erbrecht Kryptowährungen zum Nachlass zählen dürfte. Zudem lässt sich das Risiko für das erwähnte Worst-Case-Szenario mit einigen Vorkehrungen minimieren. Wichtig ist, dass Kryptowährungen in der Steuererklärung korrekt als Vermögen deklariert werden.
«Wenn ein Erblasser auf Kryptowährungen Vermögenssteuern bezahlt, liegt es auf der Hand, dass diese zu seinem Nachlass gehören», folgert Lötscher.
Ein Erbvertrag schafft Klarheit
In der Praxis sind zudem klare Anordnungen von Kryptoinvestorinnen und -investoren an ihre Angehörigen wichtig. Diese können sie zum Beispiel in einem von allen involvierten Personen unterzeichneten Erbvertrag festlegen. Je nachdem können bei einer ungleichen Verteilung allerdings später die starke Volatilität bei Kryptowährungen zum Thema werden, weil sich einzelne Erben aufgrund von Wertsteigerungen oder Verlusten benachteiligt fühlen.
Die aktuelle Unsicherheit beim Vererben von Kryptowährungen liesse sich wohl am einfachsten beseitigen, wenn der Gesetzgeber diese rechtlich wie eine Sache behandeln würde, meint Expertin Cordula Lötscher. Doch im gleichen Atemzug fügt sie an, dass diese Möglichkeit bisher verpasst worden sei: «Weil nach Einschätzung des Bundesrats für die Weiterentwicklung von Blockchain-Technologien keine Handelshemmnisse bestehen, wurde bewusst auf entsprechende Regelungen verzichtet.»
Im Rahmen des Bitcoins-Specials wurde dieser Text aktualisiert. Er erschien erstmals am 7. Februar 2022.
Fehler gefunden?Jetzt melden.