Buckelrinder beschäftigen BehördenPolizei, Pfändungen und Gerichtsurteile – der aussergewöhnliche Zürcher Kuhstreit
Im Säuliamt liefern sich die Besitzer indischer Buckelrinder und ein Bauer einen erbitterten Kampf. Ein Ende des Streits ist nicht in Sicht.
- Nach einem monatelangen Streit fanden acht Zwergzebus auf dem Juckerhof in Seegräben ein neues Zuhause
- Der Bauer wollte angeblich vereinbarte 400 Franken pro Zebu monatlich einfordern.
- Der Stadtzürcher Verein versuchte mehrmals vergeblich, die Zwergzebus abzuholen.
Nach monatelanger Ungewissheit schwingt an einem sonnigen Herbsttag auf dem Juckerhof im Zürcherischen Seegräben die Heckklappe eines Viehtransporters auf. Nacheinander setzen Mira, Nuria, Carlo sowie fünf weitere indische Buckelrinder ihre Hufe auf ihre neue Weide.
«Wir sind so froh, dass der Bauer endlich die Zebus freigegeben hat», kommentiert die sichtlich erlöste Rinderbesitzerin Sabine V. den Moment. Seit dem Frühjahr waren mehrere Versuche gescheitert, die Zwergzebus von einem Bauernhof im Säuliamt abzuholen.
Der nun geglückte Transport ist der vorläufige Schlusspunkt in einem fast einjährigen Konflikt zwischen den Rinderbesitzern und dem Betreiber des Bauernhofs im Säuliamt. Der Streit um die Rinder führte zu gegenseitigen Strafanzeigen, mehreren Polizeieinsätzen und bisher fünf Gerichtsurteilen. Zahlreiche Behörden, vom Betreibungsamt über die Kantonspolizei und das Veterinäramt bis hin zum Obergericht, waren oder sind mit dem «Fall Zwergzebus» befasst.
Das Herz am richtigen Fleck, aber Zahlungsprobleme
Begonnen hat alles, als Sabine V. und ihr Mann Ende 2021 sechs indische Buckelrinder, auch Zwergzebus genannt, auf einem Walliser Hof entdeckten. Der Betrieb verkauft auch Zebufleisch. Doch für das Paar, das der hinduistischen Religion angehört, sind Kühe heilig und dürfen nicht gegessen werden.
Sabine V. und ihr Mann kauften die Tiere deshalb für 13’000 Franken und schenkten sie einem von ihnen gegründeten Stadtzürcher Verein. Dieser setzt sich dafür ein, dass Rinder nicht nur als Fleisch- und Milchlieferanten gesehen werden. Im Sommer 2022 wurden zwei Kälber auf einem Hof in Solothurn geboren, sodass die Herde auf acht Zwergzebus anwuchs. Dort verblieben die Tiere fast ein Jahr lang, für einen Preis von 250 Franken pro Tier und Monat.
«Die Besitzer haben das Herz am richtigen Fleck, aber das mit dem Zahlen hat nie wirklich funktioniert – sie haben sich mit den Rindern übernommen», sagt die Solothurner Bäuerin heute. Schulden gebe es inzwischen keine mehr, doch die Zwergzebus würde sie nicht noch einmal aufnehmen.
Kampf um Existenz?
Nach dem Weidesommer 2023 suchte der Stadtzürcher Verein für seine Zwergzebus deshalb ein neues Winterquartier. Auf zahlreiche versandte Anfragen meldete sich auch der Bauernhof im Säuliamt. Dort erhalten hilfs- und schutzbedürftige Tiere laut eigenen Angaben ein Zuhause. Doch der Hof steckte offenbar in einer Krise: «Wir kämpfen nun Monat für Monat finanziell ums Überleben. Zudem stossen wir körperlich und seelisch an unsere Grenzen», schrieb der Bauernhof im Sommer 2022 in einem Hilferuf auf seiner offiziellen Facebook-Seite.
Trotzdem zügelten Ende Oktober 2023 die ersten Zwergzebus auf den Hof. Vier Wochen später schlossen die beiden Seiten einen Pensionsvertrag für den Winter ab. Demnach sollten die Stadtzürcher Besitzer monatlich 200 Franken pro Rind zahlen - ein üblicher Preis im Vergleich zu anderen Höfen.
400 Franken sind «völlig überhöht»
Bauer Werner H. sagt, er habe sich beim Zürcher Bauernverband erkundigt, was er für die Unterbringung der Zwergzebus verlangen könne. «Die Antwort war 400 Franken pro Tier und Monat», erklärt er.
Eine Nachfrage beim Zürcher Bauernverband zeigt jedoch, dass dieser Betrag «völlig überhöht» ist. Laut einer Expertin des Bauernverbands liegt der Richtwert für ein Zwergzebu bei etwa 140 Franken pro Monat, selbst bei intensiver Fütterung im Winter.
Doch Werner H. beharrt bis heute auf den angeblich vereinbarten 400 Franken pro Zwergzebu und Monat. «Wir sind uns einig gewesen, 200 Franken in den Vertrag aufzunehmen, und 200 Franken werden von ihnen beim Stallausmisten abgearbeitet», sagt der Bauer. Sabine V. bestreitet solche mündlichen Abmachungen. Sie verweist auf rein freiwillige Hilfe durch sie, ihren Mann und ein weiteres Vereinsmitglied.
Und so gab es schon bald Probleme. Das Stadtzürcher Paar sagt, es habe sich am Hof rasch gezeigt, dass Werner H. mit der Arbeit überfordert gewesen sei. Er betreibt den Bauernhof mit wenigen Helfern neben seiner Arbeit als Handwerker.
Sabine V. und ihr Mann kritisierten unter anderem die fehlende Klauenpflege der Zwergzebus. Diese seien während der Wintermonate rund um die Uhr im Stall eingesperrt gewesen, obwohl der Vertrag einen Weidegang vorsah. «Zebus brauchen auch im Winter dringend Bewegung an der frischen Luft und Sonnenlicht», betont die Stadtzürcherin.
Werner H. bemängelt derweil, dass die Zebubesitzer das Stallausmisten völlig vernachlässigt hätten und die Arbeit an ihm hängen geblieben sei.
Vertraglich geregelt wurde das Stallausmisten nicht. Es ist laut anderen Bauern üblicherweise Aufgabe des Hofs.
Bauer: «Sonst sehe ich kein Geld»
Anfang Februar eskalierte der Streit: Werner H. hängte ein Schreiben an drei Stalltüren auf, mit dem er den Pensionsvertrag für die Zwergzebus kündigte, weil «wesentliche Verpflichtungen» verletzt worden seien.
Kurz darauf brachte der Bauer ein Schloss an der Stalltür der Zwergzebus an, das den Besitzern über mehrere Monate hinweg den Zugang zu ihren Tieren verwehrte – obwohl ihnen vertraglich ein Besuchsrecht zustand. «Er hielt die Tiere zurück, weil er versuchte, so viel Geld wie möglich herauszuholen», sagt Sabine V.
Im März versuchte die Stadtzürcherin zweimal, die Zebus per Viehtransport abholen zu lassen. Der Bauer liess die Rinder über das Betreibungsamt zweimal pfänden und blockierte auch eine Abholung im August. «Natürlich wollte ich die Kühe nicht herausgeben, sonst sehe ich kein Geld», sagt Werner H.
Beschimpfungen, Drohungen und Anzeigen
Beide Parteien werfen sich unter anderem Beleidigungen, Tätlichkeiten und Drohungen vor. Beide haben die jeweils andere Seite angezeigt. Etwa 15 Mal wurde die Polizei gerufen, die auch mehrfach zum Hof ausrückte. Das Veterinäramt erhielt Meldungen über Tiergefährdung. Es setzte dem Bauer eine Frist zur Klauenpflege eines Zwergzebus und drohte andernfalls mit deren Abholung. Einfluss auf die «privatrechtlichen Streitereien» wolle das Veterinäramt aber keinen nehmen.
Das Betreibungsamt sieht den Fall ähnlich. Der zuständige Beamte geriet zwischen die Fronten und sagt: «So einen Fall habe ich in meiner fast 20-jährigen Laufbahn noch nie erlebt.» Die gegenseitigen Anschuldigungen eskalierten bis zu Vorwürfen von Tierquälerei und Mafiaverbindungen. «Die Besitzer wollten sofort die Tiere abholen, der Bauer wollte sein Geld sehen», fasst der Betreibungsbeamte den Konflikt zusammen.
Der Streit könnte weitergehen
Beide Parteien zogen mit Klagen und Beschwerden mehrfach vor das Bezirksgericht Dietikon und teils gar ans Zürcher Obergericht. Am Ende verpasste der Bauer eine Frist, um gegen die gerichtliche Abweisung der Rinderpfändung erneut vorzugehen. Daraufhin forderte das Betreibungsamt ihn auf, die Zwergzebus an ihre Besitzer zurückzugeben, was nun auf dem Juckerhof geschah.
Der Konflikt ist jedoch nicht beendet. Sabine V. und ihr Mann erwägen, Schadenersatz zu fordern, sind jedoch enttäuscht: «Wir haben nach dem langen Hin und Her den Glauben an die Behörden verloren.»
Werner H. kündigte an, eine neue Pfändung der Rinder beantragen zu wollen: «Ich möchte nur eine kleine Entschädigung», sagt er. Der Streitwert liegt inzwischen bei über 30’000 Franken.
Die acht Zwergzebus dürfte das alles kaum kümmern. Sie grasen jetzt bis zum Wintereinbruch auf einer Weide mit Seeblick. Da jedoch am Juckerhof kein freier Winterstall verfügbar ist, beginnt für das Stadtzürcher Ehepaar die Suche nach einem Überwinterungsplatz für ihre indischen Buckelrinder von vorn.
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