Brisanter Vergewaltigungsfall«Mit dem Feuer gespielt» – Bundesgericht kippt umstrittenes Urteil
Ein Basler Gericht liess bei einem Täter Milde walten – auch weil das Opfer zuvor Sex mit einem anderen Mann gehabt hatte. Jetzt muss es seinen Schuldspruch anpassen.
«Mit dem Feuer gespielt» habe die Frau und «falsche Signale» an Männer gesendet: Diese Worte verwendete die vorsitzende Richterin am Basler Appellationsgericht vor etwas mehr als zwei Jahren – und löste damit schweizweit Empörung aus. Denn die Worte liessen sich interpretieren als Mitschuld des Opfers an seiner Vergewaltigung.
Mit der Taxierung des Verhaltens der Frau und anderen Argumenten wie einer relativ kurzen Tatdauer hatte die Richterin eine Strafmilderung für einen lange in der Region wohnhaften Portugiesen begründet. Der Beschuldigte im Fall «Elsässerstrasse» war noch in erster Instanz wegen versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von viereinviertel Jahren und acht Jahren Landesverweis verurteilt worden.
Das Appellationsgericht reduzierte die Strafe auf drei Jahre und den Landesverweis auf sechs. Der Täter kam bald frei, denn das mildere Urteil machte es möglich, dass er nur die Hälfte der Strafe absitzen musste.
Doch kein «Mitverschulden» der Frau
Nun hat sich das Bundesgericht über den Fall gebeugt und das umstrittene Urteil gekippt. Gewehrt hatten sich sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Verurteilte, der mit seinem Begehren nach einem Freispruch abblitzte. Die Anklagebehörde hingegen drang mit zentralen Argumenten durch, weshalb nun wohl die Strafe wieder verschärft wird.
An einem frühen Februarmorgen im Jahr 2020 hatten der erwachsene Portugiese und ein damals 17-jähriger Landsmann eine Frau, der sie kurz zuvor begegnet waren, zu Fuss ein Stück weit begleitet, bis zu ihrem Hauseingang in der Gegend der Elsässerstrasse. Zuvor hatten sie mitbekommen, wie die Frau in einer Bartoilette mit einem anderen Mann einvernehmlich Sex gehabt hatte. Gemäss Appellationsgericht gingen die beiden Begleiter davon aus, dass sie ebenfalls einvernehmlichen Geschlechtsverkehr haben könnten.
Doch die Frau wollte dies nicht, wie auch das Appellationsgericht festhielt. Darauf kam es vor ihrem Hauseingang zum gewalttätigen Übergriff mit sexuellen Handlungen durch beide Beschuldigte, wobei der Jugendliche gemäss Staatsanwaltschaft die etwas aktivere Rolle innegehabt haben soll. Das Appellationsgericht hielt fest, dass der Tatentschluss «spontan» erfolgt sei, nachdem die Täter hätten erkennen müssen, dass das Opfer keinen einvernehmlichen Sex wolle.
In der schriftlichen Fassung seines Urteils korrigiert es den nach der mündlichen Verkündung entstandenen Eindruck, «dass die Privatklägerin ein Mitverschulden für die sexuellen Übergriffe trägt». Dies solle keineswegs zum Ausdruck gebracht werden. «Selbstverständlich» hätten die Beschuldigten «spätestens zu jenem Zeitpunkt», also beim Erkennen, dass einvernehmlich kein Sex möglich gewesen sei, von ihrem Vorhaben Abstand nehmen müssen.
Verschulden sicher nicht leicht
Das Appellationsgericht beurteilte aufgrund des Hergangs der Tat und der Zeit unmittelbar davor allerdings die kriminelle Energie beim Erwachsenen als «etwas weniger schwerwiegend» als die Vorinstanz. Das Verschulden sei gerade noch leicht, im Grenzbereich zu mittelschwer.
Das Bundesgericht teilt diese Ansicht nicht – aus zwei Hauptgründen: Erstens schreibt es dem erwachsenen Täter eine Mitschuld zu an einer entwürdigenden Handlung des damals 17-Jährigen. Zweitens kritisiert es, dass die Vorinstanz die Sorgen des Opfers vor einer Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten mit Verweis auf den ungeschützten Sex in der Bartoilette wegwischte. Deshalb muss nun das Appellationsgericht die Strafzumessung neu vornehmen.
Jugendlicher freigesprochen
Das Appellationsgericht steht damit vor einer nicht ganz einfachen Aufgabe. Es muss separat auch über den damals 17-Jährigen urteilen. Dessen Verfahren wird unabhängig geführt, weil der Beschuldigte Anfang 2020 noch minderjährig war.
Das Basler Jugendgericht hat den jungen Mann im November 2021 freigesprochen. Es teilte mit, es sehe «unüberwindbare Zweifel an der Schuld des Beschuldigten». Der Freispruch sei nach dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» erfolgt. Eine genauere Begründung wurde nicht öffentlich.
Das Jugendgericht-Urteil steht im Widerspruch zu allen Urteilen im Erwachsenen-Teil des Verfahrens. Das Basler Appellationsgericht hat den Fall des heute 20-Jährigen sistiert bis zum Entscheid des Bundesgerichts, der jetzt erfolgt ist.
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