Schweizer Mental-Health-Studie«Wir essen mehr Kohlenhydrate, als sinnvoll ist»
Timur Liwinski leitet die Basler Studie zu Keto-Diät und psychischer Gesundheit. Er spricht über Kohlenhydrate, Depressionen und verrät, wann selbst Gesunde von Keto profitieren können.
Herr Liwinski, Sie forschen in Basel zum Zusammenhang von ketogener Ernährung und Psyche. Was ist Keto genau?
Es handelt sich um eine Ernährungsform, bei der Kohlenhydrate radikal reduziert und dafür die Fettmenge erhöht wird. Das Ziel dieser Umstellung ist, in die sogenannte Ketose zu kommen. Das ist der Zustand, in dem der Körper die benötigte Energie nicht mehr aus Kohlenhydraten bezieht, sondern aus sogenannten Ketonkörpern, die die Leber aus Fett herstellen kann.
Sind Kohlenhydrate so schlecht für uns?
Nicht prinzipiell, dafür haben wir nicht genügend Belege. Wir essen aber viel mehr davon, als sinnvoll wäre. Zeugnis dafür ist die kaum zu beherrschende Diabetes-Epidemie, die mittlerweile übrigens auch in den Entwicklungsländern angekommen ist. Das hat klar mit dem Kohlenhydratanteil in der Ernährung zu tun. Vor allem die raffinierten, also beispielsweise Weissmehlprodukte wie Nudeln und Brot, sind das Problem. Und natürlich Zucker.
Darf man keinen Kuchen mehr essen?
Tatsächlich würde ich so weit gehen, zu sagen, dass Zucker kein Lebensmittel ist. Ich vergleiche ihn mit Ethylalkohol. Dieser ist zwar verdaulich, der Körper kann ihn verstoffwechseln und Energie daraus gewinnen. Aber letztlich ist es ein Zellgift, keine Nahrung. Ich würde deshalb für die körperliche und geistige Gesundheit empfehlen, den Zuckerkonsum unbedingt zu reduzieren, optimalerweise ist Zucker aber ganz wegzulassen.
Was bringt eine ketogene Ernährung konkret?
Ich selber ernähre mich seit einem Jahr selbst ketogen, obwohl ich gesund war und bin. Quasi zu Trainingszwecken, damit ich die Teilnehmenden unserer Keto-Studie besser betreuen kann. Und ich stelle fest, dass ich leistungsfähiger bin. Auch meine Stimmung und mein Schlaf haben sich noch verbessert.
Sie erwähnen die Studie. Was untersuchen Sie genau?
Wir wollen herausfinden, welche Rolle die ketogene Ernährung bei Erkrankungen des Gehirns wie beispielsweise Schizophrenie oder Depressionen spielen kann. Man weiss schon lange, dass diese Ernährungsform, die schon von Hippokrates beschrieben wurde, bei Anfallsleiden wie Epilepsie eine gute Therapieform darstellt. Ebenfalls ist bekannt, dass neurologische Erkrankungen wie Epilepsie und psychiatrische Erkrankungen wie eben die Depression viele Gemeinsamkeiten aufweisen, was die Abläufe im Gehirn betrifft. Noch gibt es nicht genügend Forschung. Wir kommen aber gar nicht darum herum, neue oder neue alte Behandlungsformen für Diabetes oder Depressionen zu entdecken.
Weshalb?
Bei beiden Erkrankungen wurde die ketogene Ernährung irgendwann von Medikamenten verdrängt. Es ist einfacher, eine Tablette einzunehmen, als den Lebensstil zu ändern. Trotz der Medikamente haben wir heute aber eine weltweite Epidemie sowohl bei Diabetes-Typ-2 als auch bei Depressionen. Studien aus dem englischsprachigen Raum zeigen, dass jeder zehnte Erwachsene Antidepressiva einnimmt. Und trotzdem reicht es nicht.
Man hat bereits von der mediterranen Ernährung gegen Depressionen gehört. Warum jetzt auf einmal Keto?
Es gibt mutige und fortschrittliche Psychiater wie der Harvard-Professor Chris Palmer und die ebenfalls in Harvard ausgebildete Psychiaterin Georgia Ede, die bereits seit längerem Patienten mit der ketogenen Ernährung behandeln. Erste Studiendaten zeigen, dass diese der mediterranen Diät in diesem Bereich wohl überlegen ist, obgleich ein direkter Vergleich beider Ernährungsformen noch aussteht.
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Wieso ist das so?
Bei schweren Erkrankungen des Gehirns kann es sein, dass das Gehirn Zucker als Energielieferanten nur noch schlecht verwerten kann. Die bei der Ketose aus Fett produzierten Ketonkörper sind jedoch eine gute Energiequelle. Sogar bei nicht depressiven Diabetespatienten, die mit Keto behandelt wurden, hat man festgestellt, dass sich als Nebeneffekt ihre Stimmung verbessert hat. Und die ketogene Ernährung hat noch weitere gesundheitliche Vorteile.
Zum Beispiel?
Sie reduziert beispielsweise Entzündungsvorgänge im Körper, die zahlreiche Krankheiten verursachen können, und hilft bei Diabetes und Übergewicht.
Sollten also am besten alle Menschen ketogen leben?
Das würde ich nicht sagen. Es ist eine experimentelle Therapie, die mit Vorsicht angewandt werden muss. Wenn man einen guten Grund für eine solche Lebensstilveränderung hat und es probieren möchte, sollte man ausserdem unbedingt von einer Fachperson begleitet werden.
Was darf man denn gar nicht mehr essen?
Eben vor allem Kohlenhydrate. Beziehungsweise nur noch rund 20 Gramm am Tag. Nur einige Glückliche können bis 50 oder gar 100 Gramm gehen. Das bedeutet, dass man weder Brot, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Karotten oder irgendwas mit Zucker essen kann. Auf dem Teller landen vor allem Fett, Proteine und vorzugsweise grünes Gemüse.
Was ist mit Obst?
Die modernen, hochgezüchteten Varianten sind leider eher eine Süssigkeit als ein gesunder Snack. Erlaubt sind aber Beeren, ausser Blaubeeren. Gute Energielieferanten sind darüber hinaus Fisch, Eier, Gemüse, Tomaten, Beeren, Avocados, Oliven, einige Nüsse und Kerne sowie Olivenöl und einige andere Öle. Auch Fleisch kann eine sinnvolle Ergänzung darstellen, dabei vorzugsweise fetteres. Meine Art von Keto ist mediterran inspiriert, also jeden Tag viel Gemüse mit gutem Olivenöl.
Was passiert, wenn man doch mal ein Stück Schokolade isst?
Wer sich ketogen ernährt, um sich einfach besser zu fühlen oder abzunehmen, kann schon mal ein-, zweimal im Monat ein paar Löffel eines Desserts vom Partner mitessen. Da fällt man nicht unbedingt gleich aus der Ketose raus. Menschen, die damit eine Epilepsie oder eine psychische Erkrankung behandeln, würde ich davon abraten.
Und was kann man für die Gesundheit tun, ohne gleich ketogen zu leben?
Kohlenhydrate reduzieren und auf Vollkorn umstellen, Zucker streichen, gute Fette integrieren. Damit kann man schon viel erreichen.
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